Die Lindenallee hat viel Geld gekostet
Die Ludwig-Heilmeyer-Straße in Günzburg hat ab 1. Januar offiziell einen neuen Namen. So haben sich die Stadt und das Bezirkskrankenhaus in den vergangenen Monaten darauf vorbereitet
Günzburg Was haben die Kreisklinik in Günzburg, das Bezirkskrankenhaus und die Dr.-Georg-Simnacher-Stiftung gemeinsam? Sie alle haben ab 1. Januar eine neue Anschrift, obwohl der Standort derselbe bleibt. Aus der Ludwig-Heilmeyer-Straße in Günzburg wird die Lindenallee, das hat der Stadtrat am 29. Juli 2019 mit großer Mehrheit entschieden. Dieser Entschluss hat in den vergangenen Monaten viel Arbeit bei den Betroffenen ausgelöst – und mitunter hohe Kosten verursacht.
Im Bezirkskrankenhaus ist Wilhelm Wilhelm, Regionalleiter Nord des BKH, froh, dass es eine über einjährige Vorlaufzeit bis zur Umbenennung am 1. Januar gab. Anders hätten alle notwendigen Arbeiten gar nicht bewerkstelligt werden können, denn: Viel Personal einfach mal so für die Umbenennung abzustellen sei nicht möglich, schließlich muss der Alltag ganz normal weiterlaufen können. Die Grundfrage für Wilhelm lautete: „Wie machen wir das am effizientesten, um so wenig Personal wie möglich zu binden?“
Das BKH richtete deshalb frühzeitig einen Arbeitskreis mit einer Handvoll Leute ein, die sich Gedanken über die bevorstehenden Aufgaben machte und eine Checkliste erarbeitete, was zentral erledigt wird und was jede Abteilung alleine angehen muss. Diese Herangehensweise bezeichnet Wilhelm im Gespräch mit unserer Redaktion als Schlüssel zum Erfolg. Öffentliche Stellen, Firmen, Dienstleister und vieles mehr mussten über die Adressänderung informiert werden. Um Dubletten zu vermeiden, wurden von allen Abteilungen des BKH die Adressen in einer einzelnen Datei zusammengetragen – am Ende waren es etwa 3000 Briefe, die versandt werden mussten. 500 neue Stempel wurden gekauft, etwa 70000 neue Visitenkarten wurden hergestellt. Auch gibt es seit Oktober neue Briefbögen mit der bevorstehenden Adressänderung – etwa 30 000 Stück wurden vorbereitet. Die sollen laut Wilhelm etwa sechs Monate halten, ab März oder April gibt es dann die endgültigen neuen Briefbögen.
Die Kosten für diese und viele weitere Arbeiten summierten sich auf. Etwa 50000 Euro musste das BKH laut Wilhelm in die Hand nehmen, um die Folgen der vom Stadtrat beschlossenen Straßenumbenennung umzusetzen – die Personalkosten nicht eingerechnet.
Keine Kosten entstanden für das
BKH durch die notwendigen KfzUmstellungen. Für die Flotte von etwa 40 Fahrzeugen gab es einen Sammeltermin. Ebenfalls mussten die Ausweise von Bewohnern und teilweise von Patienten des BKH umgeschrieben werden.
Wilhelm zeigt sich sehr zufrieden mit den vergangenen Monaten. Er vergleicht die Situation mit einer Fahrt in den Urlaub. Immer wieder schaue man in den Koffer, um sich zu vergewissern, dass man nichts vergessen habe. Wilhelm gibt sich zuversichtlich, dass alle Aufgaben rechtzeitig erledigt worden sind.
Auch für die Stadt Günzburg waren es arbeitsreiche Monate: Als der Beschluss bestandskräftig war, kümmerte sich die Stadtverwaltung um die konkrete Umsetzung. Das Stadtbauamt verschickte beispielsweise Bescheide an die Grundstückseigentümer in dem der neue Name mitgeteilt wurde. Ebenso unterrichtete es alle notwendigen Stellen – Deutsche Post, Vermessungsamt, Feuerwehr, Polizei, integrierte Leitstellen der Region, Stadtwerke, Finanzamt. Das Bürger Service Center (BSC) schrieb alle Bewohner an und informierte über die Umbenennung. Dieser Brief zählte Beispiele auf, wo die geänderte Adresse mitgeteilt werden muss.
Der Bauhof übernahm vor Kurzem die Anbringung der beiden neuen Straßenschilder. „Zur leichteren Orientierung bleiben die Schilder mit der Aufschrift ,Ludwig-Heilmeyer-Straße‘ noch einige Zeit hängen und werden bis zur Abnahme mit einem Ungültigkeitsstreifen versehen“, teilt die Stadt Günzburg auf Anfrage mit.
Fast alle Arbeiten sind erledigt, allerdings müssen noch Personalausweise geändert werden. Hier
Auch in Ulm und Freiburg gab es Namensänderungen
wird voraussichtlich Mitte Januar ein Vor-Ort-Termin realisiert. Dieser ist für Personen gedacht, die selbst nur eingeschränkt mobil sind und keinen Betreuer haben.
Wie viel die Namensänderung und deren Folgen die Stadt kosten wird, lasse sich nicht exakt beziffern. Die Stadt teilt mit, dass die finanzielle Belastung für Anwohner so gering wie möglich gehalten wird. Für die Änderungen des Personalausweises und der Fahrzeugpapiere fallen keine Gebühren an.
Doch warum ist die Umbenennung der Ludwig-Heilmeyer-Straße in Lindenallee überhaupt erfolgt?
Der vielfach geehrte Mediziner Ludwig Heilmeyer, der von 1899 bis 1969 gelebt hat, ist in den vergangenen Jahren in Ungnade gefallen. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs war er dem rechtsradikalen Freikorps Epp beigetreten, dem auch mehrere spätere NS-Größen angehört hatten. Von 1933 bis 1935 war er Mitglied im demokratiefeindlichen Stahlhelmbund, mehrfach hatte er sich vergeblich um die Aufnahme in die NSDAP bemüht. Während des Krieges war Heilmeyer in leitender Funktion für die medizinische Aufsicht der Lager mit sowjetischen Kriegsgefangenen zuständig. Fast noch schwerer wiegt der Umstand, dass Heilmeyer nach dem Krieg keinerlei Einsicht in die Verbrechen während der NS-Herrschaft zeigte. Forschungen haben gezeigt, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg positive Gutachten für Ärzte geschrieben hat, die in Verbrechen verstrickt waren.
Wegen dieser Erkenntnisse entschloss sich der Günzburger Stadtrat am 18. Februar 2019 mit 16:4 Stimmen dafür, die seit 1983 bestehende Ludwig-Heilmeyer-Straße umzubenennen. Vier Monate später einigte sich das Gremium auf den Namen Lindenallee – in Anlehnung an den Baumbestand, der die Straße zu den Kliniken säumt. In Freiburg und Ulm, zwei beruflichen Stationen Heilmeyers, wurden ebenfalls Namensänderungen vorgenommen. Der in Ulm bisher nach dem Mediziner benannte Saal im Grünen Hof wurde Dominikanermönch Felix Fabri gewidmet, dem ersten Stadtchronisten Ulms. Die Heilmeyersteige wurde in Eselsbergsteige umbenannt. In Freiburg, wo Heilmeyer 1946 bis 1967 einen Lehrstuhl innehatte, wurde der nach ihm benannte Weg dem ungarischen Chemiker George de Hevesy gewidmet, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus Deutschland geflohen war.
Heilmeyers medizinisch-wissenschaftliche Verdienste sind unbestritten. Etwa bei der Behandlung von Bluterkrankungen, von Tuberkulose oder psychosomatischen Erkrankungen hat der Mediziner Wegweisendes geleistet. In Würdigung dieser Leistungen war Heilmeyer, einer der Gründungsrektoren der Universität Ulm, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Günzburg und die seinerzeit noch selbstständige Gemeinde Reisensburg hatten ihm die Ehrenbürgerwürde zuerkannt. Die nach ihm benannte Straße in Günzburg ist ab 1. Januar allerdings Geschichte.