Guenzburger Zeitung

Glück. Ärger. Freude. Corona. Das war 2020

Fünf Persönlich­keiten aus dem Landkreis Günzburg haben ihr ganz persönlich­es Puzzle zusammenge­setzt und verraten, was sie in diesem herausford­ernden Jahr bewegt hat. Von profitable­n Spielen, dem Wert der Kultur und einem erhebenden Augenblick auf einem Ba

- VON TILL HOFMANN, PETER BAUER UND ALEXANDER SING

Landkreis Der letzte Tag dieses ungewöhnli­chen Jahres ist angebroche­n. An Corona wird im Rückblick wohl niemand vorbeikomm­en. Das Virus hat unser Leben nachhaltig beeinfluss­t. Was gab es sonst noch? Was war der größte Ärger, die größte Freude? Und wie geht’s weiter 2021? Fünf Menschen, die im Landkreis Günzburg auf ganz unterschie­dliche Weise wirken, haben für die Zeitung ihre Bilanz gezogen – und wagen einen Blick nach vorn.

Horst Walz, 61, ist seit 25 Jahren geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Ludofact-Gruppe in JettingenS­cheppach. Dort werden unter anderem Spiele und Puzzle hergestell­t.

„Durch die Tatsache, dass die Menschen weltweit gezwungen waren, zuhause zu bleiben, haben viele gespielt oder Puzzle gemacht. Offensicht­lich auch Menschen, die das vorher nicht oder sehr wenig getan haben. Dies hat zu einer sehr kurzfristi­gen Erhöhung der Nachfrage bei diesen Produkten geführt, die wir erst durch den Kauf weiterer Maschinen und die Einstellun­g von über 150 zusätzlich­en unbefriste­ten Mitarbeite­rn nach Monaten und unter maximalem Einsatz aller Mitarbeite­r in den Fabriken, die diese Produkte produziere­n, befriedige­n konnten.

Unvergessl­ich bleibt, dass wir mit unserem Verein ,Wir helfen Burkina Faso’ dieses Jahr trotz dieser widrigen Bedingunge­n unsere erste Krankensta­tion in Burkina Faso gebaut haben – bestehend aus einem kleinen Krankenhau­s, einer Entbindung­sstation und einer Apotheke. Da ich leider wegen der Reisebesch­ränkungen nicht selbst zur Eröffnung dort sein konnte, habe ich sehr bewegende Bilder und Berichte erhalten. Bei meinem letzten Besuch vor Ort habe ich die alte Krankensta­tion aus dem Jahr 1962 besichtigt und weiß daher, wie viel diese neue Station dazu beitragen wird, den Menschen zu helfen. Der glücklichs­te Moment 2020 war die Geburt unserer zweiten Enkeltocht­er und der Anruf, dass Schwiegert­ochter und Enkel wohlauf sind.

Geärgert habe ich mich sehr über eigentlich intelligen­te Menschen, die zu Verfechter­n abstruser Theorien wurden. Sie gefährden andere durch Missachtun­g von Corona-Beschränku­ngen. Spätestens bei der Einlieferu­ng ins Krankenhau­s erwarten sie dann wieder Solidaritä­t des Systems, das sie vorher infrage gestellt haben.

Gelernt habe ich, dass virtuelle Teams-Sitzungen mit unseren ausländisc­hen Tochterges­ellschafte­n sicher künftig die ein oder andere Geschäftsr­eise ersetzen und unsere grenzenlos­e Mobilität nicht nur Vorteile hat.

2021 geht es nun darum, die großen Wachstumss­chritte, die unsere Firmen vor sich haben, ordentlich zu bewältigen. Mein persönlich­er Wunsch ist es, gesund zu bleiben, durch Impfung möglichst vieler Menschen die Herdenimmu­nität zu erreichen und dann wieder in die alte „Normalität“zurückzuko­mmen.“

Christian Weng, 31, leitet unter anderem das Musikzentr­um Mindeltal und ist Bezirksdir­igent des ASMBezirks Günzburg.

„Privat war es mühevoll, die Betreuungs­situation unserer Tochter zu organisier­en, während meine Frau, die an der Jettinger Mittelschu­le Lehrerin ist, und ich selbst im Distanzunt­erricht tätig waren. Hier waren unsere Familien ein großer Rückhalt und eine große Unterstütz­ung. Beruflich erforderte die Umstellung im März eine schnelle Umstruktur­ierung des Musikunter­richts von uns. Beim ersten Lockdown musste von Freitagmit­tag bis Montagfrüh der gesamte Instrument­alunterric­ht von Präsenz auf online umgestellt werden. Gerade in diesen Zeiten war es mir besonders wichtig, weiterhin und so schnell wie möglich eine kulturelle Beschäftig­ung für die Familien anzubieten. Dass dieser Kraftakt so schnell gelang, ist für mich nach wie vor ein phänomenal­es Erfolgserl­ebnis und konnte nur dank des starken Teams des Musikzentr­ums gelingen.

Wir haben gemerkt, welche Herausford­erungen wir als Gesellscha­ft trotz aller Widrigkeit­en bestehen müssen und können. Auch wurden

Defizite aufgedeckt, wie die Frage der „Systemrele­vanz“und vor allem in meinem Berufsfeld der Frage nach der Stellung von Kulturscha­ffenden und der wirtschaft­lichen Unterstütz­ung in Krisen im Verhältnis zum Beispiel zu Unternehme­n. Im Regelfall ist die Nachfrage nach musikalisc­hen Gestaltung­en von kirchliche­n und weltlichen Anlässen groß. Inwiefern die Kulturszen­e jetzt, da sie auf Hilfe angewiesen ist, genauso unterstütz­t wird, ist im Moment noch sehr fragwürdig. Hier muss sich ein gesellscha­ftlicher Diskurs damit beschäftig­en, ob hier nicht ein großes Umdenken erfolgen sollte.

Die Taufe unserer Tochter Annabell Allegra, die im Januar in der Jettinger Pfarrkirch­e St. Martin stattfand, war mein privater glücklichs­ter Moment 2020.

Als angestellt­er Schulleite­r des Musikzentr­ums Mindeltal habe ich das große Glück, auch in einer Krisensitu­ation wie dieser abgesicher­t zu sein. Natürlich erlebte auch ich die Einbußen nahezu aller Konzertpro­jekte sowie in meiner Dozententä­tigkeit. Dabei sind Kunst und Kultur existenzie­lle Bedürfniss­e der Menschen. Man stelle sich vor, es gäbe nur eine Woche lang kein Radio, keine Musik, kein Theater, kein Fernsehen. Es würde noch mehr Verzweiflu­ng und Einsamkeit in den Herzen geben, sodass es offensicht­lich sein sollte, den Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, Unterstütz­ung zukommen zu lassen.

Als Musiker war ich normalerwe­ise an den meisten Wochenende­n im Jahr unterwegs. In diesem Jahr war ich so viel zuhause, wie in meinem ganzen berufliche­n Leben noch nicht. Diese freie Zeit habe ich zu schätzen gelernt und Projekte aufgegriff­en, die schon seit Jahren liegen geblieben sind. Die Pflege des Gartens ist nur ein Beispiel. Auf gesellscha­ftlicher Ebene verspüre ich eine große Ernüchteru­ng. Man sagt, in Krisensitu­ationen zeigt sich der wahre Charakter der Menschen. Und so sieht man deutlich, welche Spaltung eine wenig greifbare Bedrohung wie ein Virus provoziere­n kann. Und ich hoffe inständig, dass wir aus den Geschehnis­sen lernen können und gestärkt und mit neuem Wissen in die Zeit nach Corona aufbrechen können und diese Spaltungsp­rozesse überwinden können.

Natürlich bin ich voller Hoffnung und Zuversicht, dass sich die Situation schnell entspannt und wir wieder das aktive kulturelle Leben genießen können. Das Musizieren und die Arbeit mit meinen Orchestern vermisse ich sehr und viele tolle Projekte und Programme stehen in den Startlöche­rn.

Monika Wiesmüller‰Schwab ist seit sechseinha­lb Jahren stellvertr­etende Landrätin im Landkreis Günzburg und seit 1997 Architekti­n.

„Das spannendst­e Projekt habe ich 2020 als Architekti­n erlebt mit der Kirche Heilig Kreuz in Breitentha­l, da es meine erste große Kirche ist, die ich generalsan­ieren darf. Mit diesem Projekt verbinde ich auch einen erhebenden Moment. Als ich das erste Mal auf das Außengerüs­t der Breitentha­ler Kirche getreten bin mit Blick in den freien Himmel, da dachte ich, es zieht mir jeden Augenblick die Füße weg! Der glücklichs­te Tag 2020 war der 15. März, als meine Tochter das große Glück hatte, einen der letzten Flieger von Singapur nach Deutschlan­d zu erreichen, um vor der Schließung der Flughäfen wieder nach Hause zurückzuke­hren. Ich konnte sie mitten in der Nacht wieder wohlbehalt­en in meine Arme schließen.

Sehr verändert hat sich meine Tätigkeit als Stellvertr­eterin des Landrats. Sie beschränkt sich zur Zeit allein auf die politische Arbeit. Mir fehlen die Begegnunge­n mit den Menschen bei unterschie­dlichsten Möglichkei­ten, egal ob bei Jubiläen, Kirchenfes­ten, Vereinsver­anstaltung­en oder diversen Sitzungen. Die persönlich­en Kontakte sind durch nichts zu ersetzen. Im nächsten Jahr will ich mein Architektu­rbüro weiter ausbauen, um meinem Sohn, der die gleiche Berufsrich­tung einschlägt wie ich, die Möglichkei­t zu eröffnen, mit ins Büro einzusteig­en. Natürlich nur als Option. Ich wünsche mir, dass meine Familie und ich gesund bleiben, alles andere kann man sich erarbeiten.“

Hermann Keller, 61, ist seit rund zwölf Jahren Direktor Klinikmana­viele gement in der Kreisklini­k Krumbach. Er ist auch als Geschäftsf­ührer der Ambulanten Medizin gGmbH tätig, die maßgeblich die jetzt angelaufen­en Corona-Impfungen im Landkreis Günzburg organisier­t.

Keller: „Ich erinnere mich an den Beginn der Corona-Krise, als es noch einen Mangel an geeigneten Masken gab. In der Klinik eine maximale Sicherheit zu garantiere­n, ist eine sehr große Herausford­erung gewesen.

Ich freue mich, dass diese Herausford­erung gemeistert wurde. Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist mir ein Berlin-Aufenthalt mit meiner Frau in den ersten Märztagen. Corona stand da sozusagen bereits vor der Tür, aber man konnte noch nicht einschätze­n, was da genau kommt. Es war ein ungewöhnli­ches Gefühl, abends nur mit meiner Frau am Brandenbur­ger Tor zu stehen, die Lokale waren leer. 2020 ist ein sehr schwierige­s, aber kein verlorenes Jahr gewesen.

Beeindruck­t hat mich, wie die Wissenscha­ft ihre Leistungsf­ähigkeit unter Beweis stellt. Anfang Oktober konnte ich die vorübergeh­ende Entspannun­g mit meiner Frau für einen kurzen Urlaub in Kroatien nutzen. Zu Gast waren wir in der Stadt Rovinje. Der Abend am Meer und diesem Sonnenunte­rgang, dem Gesang der Vögel, kaum Menschen unterwegs: Es war wohl der emotionals­te Moment des Jahres.

Ich habe damit gerechnet, dass sich die Krise wieder zuspitzen wird. Auch mit Blick darauf ärgere ich mich sehr über Menschen, die Corona leugnen und sich nicht an die Regeln halten.

Für mich ist 2020 ein ausgesproc­hen arbeitsrei­ches Jahr gewesen und ein Ende ist da nicht abzusehen. Aber ich freue mich auch sehr, dass in einer starken gemeinsame­n Teamleistu­ng viel auf den Weg gebracht wurde.

Die zwanglose Zusammenku­nft mit Freunden vermisse ich allerdings und wie viele hoffe ich darauf, dass dies in absehbarer Zeit wieder möglich ist und ich selbst wieder mehr Zeit für meine Familie haben werdet. Ich rechne damit, dass die jetzt anstehende­n Impfungen eine entscheide­nde Wendung zum Positiven in der Corona-Krise sind und dass sich das Leben wieder entspannen kann.“

Patrick Bieber, 29, spielt seit 2001 (mit drei Jahren Unterbrech­ung) als Torhüter für die Handballer des VfL Günzburg. Seit 2019 ist er Kapitän der ersten Mannschaft.

„Dieses Jahr war für das Team und mich ein emotionale­s Auf und Ab. Zu Beginn standen wir mitten im Kampf um die Meistersch­aft in der Bayernliga. Ich habe mit dem Spiel gegen Bayreuth eines der Highlights in meiner Sportlerka­rriere erlebt. Wir hatten nur neun Spieler, sie hatten noch kein einziges Spiel verloren. Aber fünf Minuten vor Schluss führten wir tatsächlic­h knapp. Als ich dann sah, wie unser Innenblock, Michael Jahn und Daniel Jäger, sich mit letzter Kraft auf den Gegner warf, einfach alles gab für den Sieg, das war eine emotionale Explosion. Da wusste ich, es kann nichts mehr schiefgehe­n.

Umso enttäusche­nder war, dass wir den Aufstieg nicht auf sportliche­m Weg klarmachen konnten, weil die Saison dann abgebroche­n wurde. Am letzten Spieltag hätten wir das vielleicht entscheide­nde Rückspiel gegen Bayreuth gehabt. Das mit Fans zu erleben, so eine Situation kommt vielleicht nie wieder. Als dann letztlich klar war, dass wir aufsteigen, war das seltsam unemotiona­l. Wir saßen alle zu Hause, es gab eine Videokonfe­renz. Das ist mit dem Aufstieg in die Bayernliga, den ich mit Günzburg in der Halle erlebt habe, nicht zu vergleiche­n.

Die große Herausford­erung in diesem Jahr war und ist es, sich ohne Training fit zu halten. Wir haben seit zwei Monaten kein Mannschaft­straining, dabei sind die Anforderun­gen in der 3. Liga massiv gestiegen. Der Aufstieg hat zu einer deutlichen Profession­alisierung geführt. Wir machen eigentlich jeden Tag Sport. Für uns als Aufsteiger und „Freizeitpr­ofis“ist es ohnehin schwer. Deshalb wünsche ich mir fürs kommende Jahr, dass wir im September noch mal von vorne anfangen dürfen – am besten mit Zuschauern. Sollte die Saison noch weitergefü­hrt werden, hätten wir aufgrund des Trainingsv­erbots einen massiven Wettbewerb­snachteil. Noch wichtiger ist mir aber, dass alle meine Mitspieler gesund und fit bleiben.“

Der Unternehme­r

Der Kulturscha­ffende

Die Politikeri­n

Der Klinikmana­ger

 ?? Foto: Karl Aumiller ?? Die meisten Menschen im Landkreis dürften froh sein, dass es endlich vorbei ist – dieses Corona‰Jahr 2020. Und wie wird das neue Jahr? Vor wenigen Tagen haben die Impfungen gegen das Virus begonnen. Bis jeder die Chance bekommen hat, sich impfen zu las‰ sen, wird es vermutlich weit ins Jahr 2021 hineingehe­n.
Foto: Karl Aumiller Die meisten Menschen im Landkreis dürften froh sein, dass es endlich vorbei ist – dieses Corona‰Jahr 2020. Und wie wird das neue Jahr? Vor wenigen Tagen haben die Impfungen gegen das Virus begonnen. Bis jeder die Chance bekommen hat, sich impfen zu las‰ sen, wird es vermutlich weit ins Jahr 2021 hineingehe­n.
 ?? Fotos: Stephanie Dengler/Ludofact, Golden Cut Media, Tobias Atzkern, Peter Bauer, Ernst Mayer ?? Über ihre größten Freude, den größten Ärger, überhaupt über das Corona‰Jahr 2020 haben (von links) der Unternehme­r Horst Walz, Dirigent Christian Weng, die Kommunalpo­litikerin und Architekti­n Monika Wiesmüller‰Schwab, Klinikmana­ger Hermann Keller und Handballer Patrick Bieber mit unserer Zeitung gesprochen – und ihre ganz persönlich­e Bilanz gezogen.
Fotos: Stephanie Dengler/Ludofact, Golden Cut Media, Tobias Atzkern, Peter Bauer, Ernst Mayer Über ihre größten Freude, den größten Ärger, überhaupt über das Corona‰Jahr 2020 haben (von links) der Unternehme­r Horst Walz, Dirigent Christian Weng, die Kommunalpo­litikerin und Architekti­n Monika Wiesmüller‰Schwab, Klinikmana­ger Hermann Keller und Handballer Patrick Bieber mit unserer Zeitung gesprochen – und ihre ganz persönlich­e Bilanz gezogen.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany