Glück. Ärger. Freude. Corona. Das war 2020
Fünf Persönlichkeiten aus dem Landkreis Günzburg haben ihr ganz persönliches Puzzle zusammengesetzt und verraten, was sie in diesem herausfordernden Jahr bewegt hat. Von profitablen Spielen, dem Wert der Kultur und einem erhebenden Augenblick auf einem Ba
Landkreis Der letzte Tag dieses ungewöhnlichen Jahres ist angebrochen. An Corona wird im Rückblick wohl niemand vorbeikommen. Das Virus hat unser Leben nachhaltig beeinflusst. Was gab es sonst noch? Was war der größte Ärger, die größte Freude? Und wie geht’s weiter 2021? Fünf Menschen, die im Landkreis Günzburg auf ganz unterschiedliche Weise wirken, haben für die Zeitung ihre Bilanz gezogen – und wagen einen Blick nach vorn.
Horst Walz, 61, ist seit 25 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der Ludofact-Gruppe in JettingenScheppach. Dort werden unter anderem Spiele und Puzzle hergestellt.
„Durch die Tatsache, dass die Menschen weltweit gezwungen waren, zuhause zu bleiben, haben viele gespielt oder Puzzle gemacht. Offensichtlich auch Menschen, die das vorher nicht oder sehr wenig getan haben. Dies hat zu einer sehr kurzfristigen Erhöhung der Nachfrage bei diesen Produkten geführt, die wir erst durch den Kauf weiterer Maschinen und die Einstellung von über 150 zusätzlichen unbefristeten Mitarbeitern nach Monaten und unter maximalem Einsatz aller Mitarbeiter in den Fabriken, die diese Produkte produzieren, befriedigen konnten.
Unvergesslich bleibt, dass wir mit unserem Verein ,Wir helfen Burkina Faso’ dieses Jahr trotz dieser widrigen Bedingungen unsere erste Krankenstation in Burkina Faso gebaut haben – bestehend aus einem kleinen Krankenhaus, einer Entbindungsstation und einer Apotheke. Da ich leider wegen der Reisebeschränkungen nicht selbst zur Eröffnung dort sein konnte, habe ich sehr bewegende Bilder und Berichte erhalten. Bei meinem letzten Besuch vor Ort habe ich die alte Krankenstation aus dem Jahr 1962 besichtigt und weiß daher, wie viel diese neue Station dazu beitragen wird, den Menschen zu helfen. Der glücklichste Moment 2020 war die Geburt unserer zweiten Enkeltochter und der Anruf, dass Schwiegertochter und Enkel wohlauf sind.
Geärgert habe ich mich sehr über eigentlich intelligente Menschen, die zu Verfechtern abstruser Theorien wurden. Sie gefährden andere durch Missachtung von Corona-Beschränkungen. Spätestens bei der Einlieferung ins Krankenhaus erwarten sie dann wieder Solidarität des Systems, das sie vorher infrage gestellt haben.
Gelernt habe ich, dass virtuelle Teams-Sitzungen mit unseren ausländischen Tochtergesellschaften sicher künftig die ein oder andere Geschäftsreise ersetzen und unsere grenzenlose Mobilität nicht nur Vorteile hat.
2021 geht es nun darum, die großen Wachstumsschritte, die unsere Firmen vor sich haben, ordentlich zu bewältigen. Mein persönlicher Wunsch ist es, gesund zu bleiben, durch Impfung möglichst vieler Menschen die Herdenimmunität zu erreichen und dann wieder in die alte „Normalität“zurückzukommen.“
Christian Weng, 31, leitet unter anderem das Musikzentrum Mindeltal und ist Bezirksdirigent des ASMBezirks Günzburg.
„Privat war es mühevoll, die Betreuungssituation unserer Tochter zu organisieren, während meine Frau, die an der Jettinger Mittelschule Lehrerin ist, und ich selbst im Distanzunterricht tätig waren. Hier waren unsere Familien ein großer Rückhalt und eine große Unterstützung. Beruflich erforderte die Umstellung im März eine schnelle Umstrukturierung des Musikunterrichts von uns. Beim ersten Lockdown musste von Freitagmittag bis Montagfrüh der gesamte Instrumentalunterricht von Präsenz auf online umgestellt werden. Gerade in diesen Zeiten war es mir besonders wichtig, weiterhin und so schnell wie möglich eine kulturelle Beschäftigung für die Familien anzubieten. Dass dieser Kraftakt so schnell gelang, ist für mich nach wie vor ein phänomenales Erfolgserlebnis und konnte nur dank des starken Teams des Musikzentrums gelingen.
Wir haben gemerkt, welche Herausforderungen wir als Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten bestehen müssen und können. Auch wurden
Defizite aufgedeckt, wie die Frage der „Systemrelevanz“und vor allem in meinem Berufsfeld der Frage nach der Stellung von Kulturschaffenden und der wirtschaftlichen Unterstützung in Krisen im Verhältnis zum Beispiel zu Unternehmen. Im Regelfall ist die Nachfrage nach musikalischen Gestaltungen von kirchlichen und weltlichen Anlässen groß. Inwiefern die Kulturszene jetzt, da sie auf Hilfe angewiesen ist, genauso unterstützt wird, ist im Moment noch sehr fragwürdig. Hier muss sich ein gesellschaftlicher Diskurs damit beschäftigen, ob hier nicht ein großes Umdenken erfolgen sollte.
Die Taufe unserer Tochter Annabell Allegra, die im Januar in der Jettinger Pfarrkirche St. Martin stattfand, war mein privater glücklichster Moment 2020.
Als angestellter Schulleiter des Musikzentrums Mindeltal habe ich das große Glück, auch in einer Krisensituation wie dieser abgesichert zu sein. Natürlich erlebte auch ich die Einbußen nahezu aller Konzertprojekte sowie in meiner Dozententätigkeit. Dabei sind Kunst und Kultur existenzielle Bedürfnisse der Menschen. Man stelle sich vor, es gäbe nur eine Woche lang kein Radio, keine Musik, kein Theater, kein Fernsehen. Es würde noch mehr Verzweiflung und Einsamkeit in den Herzen geben, sodass es offensichtlich sein sollte, den Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, Unterstützung zukommen zu lassen.
Als Musiker war ich normalerweise an den meisten Wochenenden im Jahr unterwegs. In diesem Jahr war ich so viel zuhause, wie in meinem ganzen beruflichen Leben noch nicht. Diese freie Zeit habe ich zu schätzen gelernt und Projekte aufgegriffen, die schon seit Jahren liegen geblieben sind. Die Pflege des Gartens ist nur ein Beispiel. Auf gesellschaftlicher Ebene verspüre ich eine große Ernüchterung. Man sagt, in Krisensituationen zeigt sich der wahre Charakter der Menschen. Und so sieht man deutlich, welche Spaltung eine wenig greifbare Bedrohung wie ein Virus provozieren kann. Und ich hoffe inständig, dass wir aus den Geschehnissen lernen können und gestärkt und mit neuem Wissen in die Zeit nach Corona aufbrechen können und diese Spaltungsprozesse überwinden können.
Natürlich bin ich voller Hoffnung und Zuversicht, dass sich die Situation schnell entspannt und wir wieder das aktive kulturelle Leben genießen können. Das Musizieren und die Arbeit mit meinen Orchestern vermisse ich sehr und viele tolle Projekte und Programme stehen in den Startlöchern.
Monika WiesmüllerSchwab ist seit sechseinhalb Jahren stellvertretende Landrätin im Landkreis Günzburg und seit 1997 Architektin.
„Das spannendste Projekt habe ich 2020 als Architektin erlebt mit der Kirche Heilig Kreuz in Breitenthal, da es meine erste große Kirche ist, die ich generalsanieren darf. Mit diesem Projekt verbinde ich auch einen erhebenden Moment. Als ich das erste Mal auf das Außengerüst der Breitenthaler Kirche getreten bin mit Blick in den freien Himmel, da dachte ich, es zieht mir jeden Augenblick die Füße weg! Der glücklichste Tag 2020 war der 15. März, als meine Tochter das große Glück hatte, einen der letzten Flieger von Singapur nach Deutschland zu erreichen, um vor der Schließung der Flughäfen wieder nach Hause zurückzukehren. Ich konnte sie mitten in der Nacht wieder wohlbehalten in meine Arme schließen.
Sehr verändert hat sich meine Tätigkeit als Stellvertreterin des Landrats. Sie beschränkt sich zur Zeit allein auf die politische Arbeit. Mir fehlen die Begegnungen mit den Menschen bei unterschiedlichsten Möglichkeiten, egal ob bei Jubiläen, Kirchenfesten, Vereinsveranstaltungen oder diversen Sitzungen. Die persönlichen Kontakte sind durch nichts zu ersetzen. Im nächsten Jahr will ich mein Architekturbüro weiter ausbauen, um meinem Sohn, der die gleiche Berufsrichtung einschlägt wie ich, die Möglichkeit zu eröffnen, mit ins Büro einzusteigen. Natürlich nur als Option. Ich wünsche mir, dass meine Familie und ich gesund bleiben, alles andere kann man sich erarbeiten.“
Hermann Keller, 61, ist seit rund zwölf Jahren Direktor Klinikmanaviele gement in der Kreisklinik Krumbach. Er ist auch als Geschäftsführer der Ambulanten Medizin gGmbH tätig, die maßgeblich die jetzt angelaufenen Corona-Impfungen im Landkreis Günzburg organisiert.
Keller: „Ich erinnere mich an den Beginn der Corona-Krise, als es noch einen Mangel an geeigneten Masken gab. In der Klinik eine maximale Sicherheit zu garantieren, ist eine sehr große Herausforderung gewesen.
Ich freue mich, dass diese Herausforderung gemeistert wurde. Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist mir ein Berlin-Aufenthalt mit meiner Frau in den ersten Märztagen. Corona stand da sozusagen bereits vor der Tür, aber man konnte noch nicht einschätzen, was da genau kommt. Es war ein ungewöhnliches Gefühl, abends nur mit meiner Frau am Brandenburger Tor zu stehen, die Lokale waren leer. 2020 ist ein sehr schwieriges, aber kein verlorenes Jahr gewesen.
Beeindruckt hat mich, wie die Wissenschaft ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellt. Anfang Oktober konnte ich die vorübergehende Entspannung mit meiner Frau für einen kurzen Urlaub in Kroatien nutzen. Zu Gast waren wir in der Stadt Rovinje. Der Abend am Meer und diesem Sonnenuntergang, dem Gesang der Vögel, kaum Menschen unterwegs: Es war wohl der emotionalste Moment des Jahres.
Ich habe damit gerechnet, dass sich die Krise wieder zuspitzen wird. Auch mit Blick darauf ärgere ich mich sehr über Menschen, die Corona leugnen und sich nicht an die Regeln halten.
Für mich ist 2020 ein ausgesprochen arbeitsreiches Jahr gewesen und ein Ende ist da nicht abzusehen. Aber ich freue mich auch sehr, dass in einer starken gemeinsamen Teamleistung viel auf den Weg gebracht wurde.
Die zwanglose Zusammenkunft mit Freunden vermisse ich allerdings und wie viele hoffe ich darauf, dass dies in absehbarer Zeit wieder möglich ist und ich selbst wieder mehr Zeit für meine Familie haben werdet. Ich rechne damit, dass die jetzt anstehenden Impfungen eine entscheidende Wendung zum Positiven in der Corona-Krise sind und dass sich das Leben wieder entspannen kann.“
Patrick Bieber, 29, spielt seit 2001 (mit drei Jahren Unterbrechung) als Torhüter für die Handballer des VfL Günzburg. Seit 2019 ist er Kapitän der ersten Mannschaft.
„Dieses Jahr war für das Team und mich ein emotionales Auf und Ab. Zu Beginn standen wir mitten im Kampf um die Meisterschaft in der Bayernliga. Ich habe mit dem Spiel gegen Bayreuth eines der Highlights in meiner Sportlerkarriere erlebt. Wir hatten nur neun Spieler, sie hatten noch kein einziges Spiel verloren. Aber fünf Minuten vor Schluss führten wir tatsächlich knapp. Als ich dann sah, wie unser Innenblock, Michael Jahn und Daniel Jäger, sich mit letzter Kraft auf den Gegner warf, einfach alles gab für den Sieg, das war eine emotionale Explosion. Da wusste ich, es kann nichts mehr schiefgehen.
Umso enttäuschender war, dass wir den Aufstieg nicht auf sportlichem Weg klarmachen konnten, weil die Saison dann abgebrochen wurde. Am letzten Spieltag hätten wir das vielleicht entscheidende Rückspiel gegen Bayreuth gehabt. Das mit Fans zu erleben, so eine Situation kommt vielleicht nie wieder. Als dann letztlich klar war, dass wir aufsteigen, war das seltsam unemotional. Wir saßen alle zu Hause, es gab eine Videokonferenz. Das ist mit dem Aufstieg in die Bayernliga, den ich mit Günzburg in der Halle erlebt habe, nicht zu vergleichen.
Die große Herausforderung in diesem Jahr war und ist es, sich ohne Training fit zu halten. Wir haben seit zwei Monaten kein Mannschaftstraining, dabei sind die Anforderungen in der 3. Liga massiv gestiegen. Der Aufstieg hat zu einer deutlichen Professionalisierung geführt. Wir machen eigentlich jeden Tag Sport. Für uns als Aufsteiger und „Freizeitprofis“ist es ohnehin schwer. Deshalb wünsche ich mir fürs kommende Jahr, dass wir im September noch mal von vorne anfangen dürfen – am besten mit Zuschauern. Sollte die Saison noch weitergeführt werden, hätten wir aufgrund des Trainingsverbots einen massiven Wettbewerbsnachteil. Noch wichtiger ist mir aber, dass alle meine Mitspieler gesund und fit bleiben.“
Der Unternehmer
Der Kulturschaffende
Die Politikerin
Der Klinikmanager