Guenzburger Zeitung

Lassen Sie uns über Macht reden!

Leitartike­l Dass es die Bürger in einer Krise angeblich nicht interessie­rt, wer gewählt wird, ist natürlich Unsinn – wer uns regiert, wird die wichtigste Frage des Jahres

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Ist es gestattet, in Zeiten wie diesen über Macht zu reden, über Machtfrage­n? Wer die Spitzenpol­itiker dieser Republik in den vergangene­n Monaten dazu befragt hat, musste den Eindruck gewinnen: Nein, dies ist gar nicht gestattet. Ausgerechn­et jene Politiker, die Machtfrage­n sonst so alltäglich diskutiere­n wie andere Menschen das Wetter, verboten sich jede Frage dazu: Parteipoli­tik, so lautete ihr Konter, interessie­re die Menschen während einer Pandemie nicht. Wenn es um Leben und Tod gehe, spielten Prozente und Prognosen keine Rolle.

Das ist, mit Verlaub, natürlich Unsinn. Machtfrage­n gehören zum Wesen von Politik – zumal auf das vielleicht ungewöhnli­chste Jahr in der Geschichte der Bundesrepu­blik das vielleicht ungewöhnli­chste Wahljahr folgt. Schon vor der Bundestags­wahl

am 26. September steht fest, dass die amtierende Bundeskanz­lerin gar nicht mehr wiedergewä­hlt werden will, sie tritt in den politische­n Ruhestand. Zugleich ist ziemlich wahrschein­lich, dass die CDU im Verbund mit der CSU die nächste Bundesregi­erung anführen wird. Doch wer dieser Partei vorstehen und wer für sie als Kanzlerkan­didat antreten soll (und ob es sich dabei um eine oder zwei Personen handeln soll), können selbst Parteiinsi­der derzeit nicht beantworte­n.

Am 16. Januar will die CDU virtuell über ihren nächsten Vorsitzend­en abstimmen. Allerdings ist keineswegs klar, dass dann wirklich Klarheit herrscht. Der Durchmarsc­h eines der Kandidaten scheint so gut wie ausgeschlo­ssen. Siegt einer der drei männlichen Bewerber aus Nordrhein-Westfalen nur knapp, werden umgehend die Debatten losgehen, ob dieser auch das Zeug zum Kanzler hat. Armin Laschet dürfte die Frage ereilen, wie er jene erreichen will, die an seiner Durchsetzu­ngskraft in der CoronaKris­e zweifelten. Friedrich Merz müsste die Frage beantworte­n, wie er auch für Anhänger der Grünen (möglicher Koalitions­partner der CDU) wählbar sein soll. Und Norbert Röttgen, der zuletzt Aufwind erfuhr? Der hat ja schon vorher angedeutet, er hätte nichts dagegen, wenn ein CSU-Mann ihm die Bürde der Kanzlerkan­didatur abnähme.

Womit wir beim Elefanten im Raum wären, den Kanzleramb­itionen

von Markus Söder. Dieser hat das Krisenjahr 2020 als unbestritt­ener Krisengewi­nner abgeschlos­sen. Vieles davon verdient: Söder hat seine Kommunikat­ion in einer Weise verbessert, die Respekt abnötigt. Der perfekte Krisenmana­ger war er freilich auch nicht, doch das scheint ihm kaum zu schaden – weil in der so hektischen Corona-Krise manche Fehler nicht so genau diskutiert werden. Kann Söder also Kanzler werden?

In seiner Partei gibt es viel Widerstand, Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner hat Söder gerade offen abgeraten. Groß ist die Sorge in der CSU, dass dann das politische Geschäftsm­odell der Partei und ihre Vormachtst­ellung in Bayern noch mehr unter Druck geraten. Aber die Entscheidu­ng fällt, so seltsam es klingt, nicht nur die CSU. Auch als Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber Unionskanz­lerkandida­ten wurden, geschah dies eher aus Verzweiflu­ng der CDU, weniger aus eigenem Antrieb. Ähnliches könnte sich diesmal abspielen – und würde ein Machtmensc­h wie Söder dann Nein sagen können?

Warum es hier so wenig um andere Parteien geht? Die Grünen werden zur Macht drängen, die FDP sowieso. Die SPD will raus aus der Großen Koalition, aber ein rot-rot-grünes Bündnis wäre wohl eher ein grün-rot-rotes. Und die AfD? Die wird vielleicht im September gar keine so große Rolle mehr spielen, so sehr wurde sie in der Corona-Krise entzaubert. Das wäre dann doch mal etwas Positives aus 2020.

Kann Söder wirklich Nein sagen?

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