Lassen Sie uns über Macht reden!
Leitartikel Dass es die Bürger in einer Krise angeblich nicht interessiert, wer gewählt wird, ist natürlich Unsinn – wer uns regiert, wird die wichtigste Frage des Jahres
Ist es gestattet, in Zeiten wie diesen über Macht zu reden, über Machtfragen? Wer die Spitzenpolitiker dieser Republik in den vergangenen Monaten dazu befragt hat, musste den Eindruck gewinnen: Nein, dies ist gar nicht gestattet. Ausgerechnet jene Politiker, die Machtfragen sonst so alltäglich diskutieren wie andere Menschen das Wetter, verboten sich jede Frage dazu: Parteipolitik, so lautete ihr Konter, interessiere die Menschen während einer Pandemie nicht. Wenn es um Leben und Tod gehe, spielten Prozente und Prognosen keine Rolle.
Das ist, mit Verlaub, natürlich Unsinn. Machtfragen gehören zum Wesen von Politik – zumal auf das vielleicht ungewöhnlichste Jahr in der Geschichte der Bundesrepublik das vielleicht ungewöhnlichste Wahljahr folgt. Schon vor der Bundestagswahl
am 26. September steht fest, dass die amtierende Bundeskanzlerin gar nicht mehr wiedergewählt werden will, sie tritt in den politischen Ruhestand. Zugleich ist ziemlich wahrscheinlich, dass die CDU im Verbund mit der CSU die nächste Bundesregierung anführen wird. Doch wer dieser Partei vorstehen und wer für sie als Kanzlerkandidat antreten soll (und ob es sich dabei um eine oder zwei Personen handeln soll), können selbst Parteiinsider derzeit nicht beantworten.
Am 16. Januar will die CDU virtuell über ihren nächsten Vorsitzenden abstimmen. Allerdings ist keineswegs klar, dass dann wirklich Klarheit herrscht. Der Durchmarsch eines der Kandidaten scheint so gut wie ausgeschlossen. Siegt einer der drei männlichen Bewerber aus Nordrhein-Westfalen nur knapp, werden umgehend die Debatten losgehen, ob dieser auch das Zeug zum Kanzler hat. Armin Laschet dürfte die Frage ereilen, wie er jene erreichen will, die an seiner Durchsetzungskraft in der CoronaKrise zweifelten. Friedrich Merz müsste die Frage beantworten, wie er auch für Anhänger der Grünen (möglicher Koalitionspartner der CDU) wählbar sein soll. Und Norbert Röttgen, der zuletzt Aufwind erfuhr? Der hat ja schon vorher angedeutet, er hätte nichts dagegen, wenn ein CSU-Mann ihm die Bürde der Kanzlerkandidatur abnähme.
Womit wir beim Elefanten im Raum wären, den Kanzlerambitionen
von Markus Söder. Dieser hat das Krisenjahr 2020 als unbestrittener Krisengewinner abgeschlossen. Vieles davon verdient: Söder hat seine Kommunikation in einer Weise verbessert, die Respekt abnötigt. Der perfekte Krisenmanager war er freilich auch nicht, doch das scheint ihm kaum zu schaden – weil in der so hektischen Corona-Krise manche Fehler nicht so genau diskutiert werden. Kann Söder also Kanzler werden?
In seiner Partei gibt es viel Widerstand, Landtagspräsidentin Ilse Aigner hat Söder gerade offen abgeraten. Groß ist die Sorge in der CSU, dass dann das politische Geschäftsmodell der Partei und ihre Vormachtstellung in Bayern noch mehr unter Druck geraten. Aber die Entscheidung fällt, so seltsam es klingt, nicht nur die CSU. Auch als Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber Unionskanzlerkandidaten wurden, geschah dies eher aus Verzweiflung der CDU, weniger aus eigenem Antrieb. Ähnliches könnte sich diesmal abspielen – und würde ein Machtmensch wie Söder dann Nein sagen können?
Warum es hier so wenig um andere Parteien geht? Die Grünen werden zur Macht drängen, die FDP sowieso. Die SPD will raus aus der Großen Koalition, aber ein rot-rot-grünes Bündnis wäre wohl eher ein grün-rot-rotes. Und die AfD? Die wird vielleicht im September gar keine so große Rolle mehr spielen, so sehr wurde sie in der Corona-Krise entzaubert. Das wäre dann doch mal etwas Positives aus 2020.
Kann Söder wirklich Nein sagen?