Guenzburger Zeitung

Wer folgt Angela Merkel?

Mit sechs Landtagswa­hlen und einer Bundestags­wahl wird 2021 ein ganz besonderes Jahr. Sicher ist bislang nur, dass dabei nichts sicher ist

- VON STEFAN LANGE UND RUDI WAIS

Berlin „Es ist Zeit, dass die Verhältnis­se in Deutschlan­d geklärt werden.“Franz Münteferin­g steht im Foyer der Parteizent­rale und wird gefeiert, als habe er gerade eine Wahl gewonnen. Minutenlan­g klatschen die Genossen Beifall, obwohl die SPD gerade nach fast 40 Jahren ihr Stammland Nordrhein-Westfalen an die CDU verloren hat. Weil die Union über den Bundesrat der rot-grünen Koalition in Berlin das Regieren damit noch schwerer machen wird, setzen Parteichef Münteferin­g und Bundeskanz­ler Gerhard Schröder alles auf eine Karte und streben vorgezogen­e Neuwahlen an. Wie ein Boxer, der in seine Ecke gedrängt ist, holt Schröder aus zu einem letzten verzweifel­ten Schlag.

Keine Landtagswa­hl vorher und nachher hat die politische Tektonik der Bundesrepu­blik so nachhaltig beeinfluss­t wie die in NordrheinW­estfalen am 22. Mai 2005. Angela Merkel verdankt ihr letztlich ihre Kanzlersch­aft – während für die SPD eine lange Leidenszei­t begann. Ähnlich geschichts­trächtig war allenfalls noch die Wahl in BadenWürtt­emberg im März 2011, kurz nach der Reaktorkat­astrophe von Fukushima. Sie bescherte der Republik den ersten grünen Ministerpr­äsidenten und der SPD die bittere Erkenntnis, dass sie kein Abonnement mehr hat auf Platz zwei im deutschen Parteiensy­stem.

Das Wahljahr 2021 mit insgesamt sechs Landtagswa­hlen und einer Bundestags­wahl wird ebenfalls ein besonderes – und das keineswegs nur wegen Corona. Angela Merkel zieht sich aus der Politik zurück, was für sich genommen schon eine Zäsur ist, angesichts der nach wie vor ungeklärte­n Führungsfr­age in der CDU aber noch zusätzlich­e Brisanz birgt. Kann die Union, mit wem auch immer, das Kanzleramt

Gelingt der SPD ein politische­s Wunder, denn nichts anderes wäre eine Koalition mit Grünen und Linken unter einem Bundeskanz­ler Olaf Scholz? Oder schaffen am Ende gar ein Grüner oder eine Grüne den Sprung ins Kanzleramt? Parteichef Robert Habeck jedenfalls hat die Latte hoch gelegt: „Erstmals kämpft eine dritte Partei um die Führung dieses Landes.“

Ein erster Stimmungst­est für die Grünen steht bereits Mitte März an, dann wählt Baden-Württember­g einen neuen Landtag. Zieht der Amtsbonus des populären Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n dort noch einmal? Oder geht der Sieg an die CDU, die in den Umfragen die Nase gerade knapp vorne hat? In Rheinland-Pfalz, wo am gleichen Tag gewählt wird, liegt die CDU ebenfalls vor der SPD mit Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer. Sollte die Staatskanz­lei in Mainz tatsächlic­h an die Union fallen, würde das die Chancen von Scholz bei der Bundestags­wahl vermutlich stark schmälern. Die Gefahr, dass er und seine Partei zu den traurigen Figuren des Wahljahres werden, wäre groß.

Nicht anders ergeht es dem FDPVorsitz­enden Christian Lindner. In Rheinland-Pfalz regiert seine Partei noch in einer Ampelkoali­tion mit, Baden-Württember­g ist das liberale Stammland – mit zwei Niederlage­n an einem Wahlabend aber wäre die Zeit Lindners an der Parteispit­ze vermutlich schneller vorbei, als es ihm lieb ist. Die Angst, noch einmal den Einzug in den Bundestag zu verpassen, sitzt tief in der FDP.

Hätte, wäre, wenn. Als Corona Anfang dieses Jahres eher noch eine Ahnung denn eine reale Gefahr war, hatte die Bundespoli­tik noch andere Sorgen als den Kampf gegen hohe Infektions­zahlen. Die Regierungs­parteien CDU, CSU und SPD wurden von einem heftigen Streit über die Ausrichtun­g der gemeinsame­n Politik gelähmt, zeitweise schien die

Koalition gar auf der Kippe zu stehen. Dann aber verabredet­en alle Fraktionen im Bundestag mit Ausnahme der AfD, die üblichen Auseinande­rsetzungen hintanzust­ellen und gemeinsam den Kampf gegen das Virus aufzunehme­n. Bei den Christdemo­kraten war es zuvor bereits zum schon länger erwarteten Knall gekommen. Die Parteivors­itzende Annegret Kramp-Karrenbaue­r vermisste vor dem Hintergrun­d der Regierungs­krise in Thüringen den nötigen Rückhalt und kündigte ihren Verzicht auf die Kanzlerkan­didatur sowie ihren Rücktritt als CDU-Chefin an.

So beginnt das Superwahlj­ahr am 16. Januar mit einem Parteitag, der entweder Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen zum

Vorsitzend­en der CDU wählen wird. Die Veranstalt­ung könnte die erste faustdicke Überraschu­ng im neuen Jahr bringen, denn im Rennen um den Parteivors­itz hat der Außenpolit­iker Röttgen überrasche­nd Boden gutgemacht. Ihm wird mittlerwei­le sogar der Sieg zugetraut. Dazu kursiert im Regierungs­viertel folgendes Szenario: Keiner der drei Kandidaten erreicht im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit, Laschet bekommt die wenigsten Stimmen, ist bei der Stichwahl nicht mehr dabei, und seine Unterstütz­er wandern ins Röttgen-Lager, der sich dann gegen Merz durchsetzt. In diesen Gedankensp­ielen ist damit aber Schluss für Röttgen. Dass der frühere Umweltmini­ster die bundesweit­e Strahlkraf­t besitzt, um auch zum Kanzlerkan­didaten ausgerufen zu werden, scheint vielen derzeit eher unwahrsche­inlich. Die Wetten laufen da auf den CSU-Vorsitzend­en Markus Söder zu. Dem bayerische­n Ministerpr­äsiverteid­igen? denten wird am ehesten zugetraut, in die Fußstapfen von Angela Merkel zu treten. Söder ziert sich zwar, doch wenn alle ihn fordern, ihm ein CDU-Chef Röttgen womöglich gar die Kandidatur anträgt, müsste er wohl ran – ob er nun will oder nicht.

Auch bei den Grünen ist eine womöglich entscheide­nde Personalfr­age noch ungeklärt. Sie müssen sich entscheide­n, wen sie im Falle eines Falles ins Kanzleramt schicken wollen – ihre Vorsitzend­e Annalena Baerbock oder deren Kompagnon Robert Habeck. Sollte die Öko-Partei nach der Bundestags­wahl tatsächlic­h die stärkste politische Kraft in Deutschlan­d werden, worauf die aktuellen Umfragewer­te allerdings nicht schließen lassen, müssten sie gleichzeit­ig womöglich noch eine Richtungse­ntscheidun­g treffen: Grün-Schwarz nach Kretschman­ns Vorbild oder eine Dreierkons­tellation mit den Linken und der SPD?

Die Sozialdemo­kraten kommen bislang nicht in den Tritt. Es bewahrheit­et sich, was Umfragen schon Anfang dieses Jahres prognostiz­ierten: Den nach dem Rücktritt von Andrea Nahles zu neuen Vorsitzend­en gewählten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans traute von Anfang an nur ein knappes Viertel der Mitglieder zu, die Partei erfolgreic­h in die Zukunft führen zu können. Nicht nur in Rheinland-Pfalz, auch in Berlin und Mecklenbur­gVorpommer­n wackeln daher die Ministerpr­äsidenten der SPD.

Unklar ist auf der anderen Seite, ob CDU und CSU ihren Corona-Bonus in eine Zeit hinüberret­ten können, in der die Pandemie nicht mehr das einzige beherrsche­nde Thema ist. Mit etwas Glück könnte die Corona-Krise im kommenden Sommer halbwegs überwunden sein. Das wäre genau die Zeit, in der ein Bundestags­wahlkampf üblicherwe­ise in die heiße Phase geht und andere Themen möglicherw­eise wieder in den Vordergrun­d treten.

Röttgen hat Boden gutgemacht

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Noch ist Angela Merkel die Nummer eins der deutschen Politik. Im Herbst 2021 zieht sie sich zurück. Wird Markus Söder ihr Nachfolger?
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Noch ist Angela Merkel die Nummer eins der deutschen Politik. Im Herbst 2021 zieht sie sich zurück. Wird Markus Söder ihr Nachfolger?

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