Ein Präsident aus der Asche
Am 20. Januar wird Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Doch der Amtsantritt des Demokraten wird überschattet von seinem Vorgänger und der Sorge um künftige politische Mehrheiten
20. Januar vereidigt“, spielt ein Biden-Sprecher den Aufstand herunter. Tatsächlich ist für Biden viel bedeutsamer, was am Tag zuvor rund 1000 Kilometer südlich in Georgia passiert. In dem traditionell konservativen Bundesstaat, der Weltkonzerne wie Coca-Cola und CNN beheimatet, werden bei einer Stichwahl zwei Sitze im Washingtoner Senat vergeben. Die Amtsinhaber sind Republikaner. Gelingt es den Demokraten, beide Mandate zu erobern, gäbe es im bislang republikanischen Senat ein Patt mit jeweils 50 Stimmen, das die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris zugunsten der Regierung auflösen könnte.
Die Umfragen sagen ein Kopfan-Kopf-Rennen mit leichten Vorteilen für die demokratischen Herausforderer. Angesichts der erbitterten Auseinandersetzungen über die Präsidentschaftswahl könnte es eine nervenaufreibende Zitterpartie geben. Doch klar ist, dass die Wahl die Weichen für Bidens politisches Schicksal stellt: Gegen eine republikanische Senatsmehrheit unter Führung des Machtstrategen Mitch McConnell kann der künftige Präsident zentrale Vorhaben wie eine Erhöhung der Unternehmenssteuern, eine Ausweitung der Krankenversicherung oder Milliarden-Investitionen in den Klimaschutz gleich vergessen. „Wir brauchen diese beiden Sitze“, hat Biden bei einer internen Sitzung eindringlich gemahnt. Am Montag will er nach Atlanta fliegen, um bei einer Kundgebung erneut für seine Parteifreunde zu werben.
Doch selbst mit einer hauchdünnen Mehrheit im Senat würde das Regieren für den künftigen Präsidenten zu einem schwierigen Balanceakt. Nicht bei allen Themen sind die Demokraten einer Meinung. Zudem sind für wichtige Gesetzgebungsvorhaben 60 Stimmen erforderlich. Auch deshalb hat Biden auf Schärfen im Wahlkampf verzichtet und stets für eine Überwindung der politischen Spaltung geworben. Der Polit-Veteran vertraut auf seine 36-jährige Erfahrung im Senat und persönliche Kontakte zu Ex-Kollegen im republikanischen Lager. „Sobald Trumps Schatten verblasst, werdet ihr eine Menge Veränderung sehen“, prophezeite er seinen Unterstützern. Doch es ist keineswegs sicher, dass die traditionellen politischen Gesetze in dem vergifteten Klima Washingtons noch gelten.
Ob es genügend Republikaner gibt, die zu einer konstruktiven Zusammenarbeit und einem Konflikt mit ihrer fanatisierten Basis bereit sind, wird sich schnell zeigen. Bidens Kabinett muss vom Senat bestätigt werden. Hinter den Kulissen werben die Kandidaten schon jetzt im anderen Lager um Unterstützung. Die auch bei Konservativen geschätzte künftige Finanzministerin Janet Yellen dürfte dabei weniger Probleme haben als etwa Neera Tanden, die das wichtige Budgetbüro im Weißen Haus leiten soll. Die Tochter indischer Einwanderer steht bei linken Demokraten im Verdacht einer zu großen Nähe zur Wallstreet, während sie die Republikaner mit Trump-kritischen Tweets gegen sich aufgebracht hat. Die Posts sind längst gelöscht, und die 50-Jährige bemüht sich um Vertrauensbildung. Doch nicht jeder kann eine solche Charme-Offensive fahren wie der designierte Außenminister Tony Blinken: Der HobbyGitarrist hat seine besten Songs bei Spotify eingestellt.