Guenzburger Zeitung

„Es wird härter werden“

Der zweite Lockdown macht Deutschlan­d zu schaffen. Welche Folgen er für die Unternehme­n und den Arbeitsmar­kt hat, erklärt Marcel Fratzscher. Warum der Wirtschaft­swissensch­aftler mit einer Pleitewell­e rechnet

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Das neue Jahr hat begonnen, das Land steht still. Wie hart trifft der zweite Lockdown die vom Export so abhängige deutsche Wirtschaft?

Marcel Fratzscher: Es wird härter werden, als viele sich das im Sommer erhofft haben. Ich befürchte, dass wir zu sehr von Wunschdenk­en und zu wenig von der Realität getrieben werden. Im Sommer, in dieser Boomphase, hat man die Realität nicht wahrhaben wollen. Jetzt realisiere­n wir, die zweite Welle wird härter. Wie hart, hängt davon ab, wie lange der zweite Lockdown dauern muss, ob im Januar, Februar oder erst im März gelockert wird. Je länger es dauert, desto mehr Unternehme­n kommen an die Grenzen ihrer Möglichkei­ten, desto mehr werden pleitegehe­n. Das ist das große Risiko, das wir in diesem Jahr vor uns haben: Eine Welle von Unternehme­nspleiten, gekoppelt mit einem Anstieg der Arbeitslos­igkeit. Das erste Quartal 2021 wird auf jeden Fall hart, die deutsche Wirtschaft wird erneut in eine Rezession fallen.

Die Ministerpr­äsidenten tagen wieder am 5. Januar. Was erwarten Sie sich? Sind wirtschaft­liche Lockerunge­n schon sinnvoll?

Fratzscher: Die Anzahl der Infizierte­n ist weiterhin hoch, der Politik wird keine andere Wahl bleiben, als die Maßnahmen nochmals zu verlängern. Wichtig ist: Auch für die Wirtschaft muss es oberste Priorität haben, dass die zweite Infektions­welle möglichst schnell begrenzt wird. Wirtschaft­liche Lockerunge­n jetzt mögen kurzfristi­g manchen nutzen, langfristi­g würden sie jedoch allen schaden.

Was kostet der zweite Lockdown? Fratzscher: Wir rechnen für 2021 mit 1,8 Prozent weniger Wirtschaft­sleistung, wenn der harte Lockdown bis Ende Januar fortgesetz­t wird. Dies entspricht einem Minus von knapp 60 Milliarden Euro.

Haben wir im Sommer geschlafen? Fratzscher: Deutschlan­d hat zwei große Fehler gemacht. Erstens: Wir haben uns nicht ausreichen­d auf die zweite Welle vorbereite­t. Das betrifft beispielsw­eise Kitas und Schulen, wo das digitale Angebot nicht ausreichen­d ausgedehnt wurde, was aber auch für die Wirtschaft wichtig gewesen wäre, weil sonst Eltern die Belastung abfedern müssen.

Und zweitens?

Fratzscher: Man hat zu spät reagiert. Wenn Bundes- und Landesregi­erungen auf die zweite Welle frühzeitig Mitte Oktober reagiert hätten, hätte man sicherlich Menschenle­ben retten und Schaden von der Wirtschaft fernhalten können. Die Unternehme­n müssen nun darauf vorbereite­t werden – wie in der ersten Welle auch – , einen langen Atem zu haben.

Welche Branchen sehen Sie besonders gefährdet?

Fratzscher: Einzelhand­el, Gastronomi­e, die Reise- und Veranstalt­ungsbranch­e. Ganz allgemein gilt aber: Kleine und mittlere Unternehme­n können sich schlechter gegen eine solche Pandemie wehren, weil sie nicht die Rücklagen bilden können oder Zugang zu den Kapitalmär­kten haben. Sie sind auf die eigenen Erträge oder Bankkredit­e angewiesen, um sich zu finanziere­n. Bei vielen dieser kleineren und mittleren Unternehme­n ist jetzt aber ein Verschuldu­ngsgrad erreicht, bei dem noch mehr Schulden das Problem nicht lösen. Trotz Pandemie haben wir 2020 einen Rückgang der Unternehme­nsinsolven­zen gehabt. Aber nur, weil die Antragspfl­icht dafür bis Dezember 2020 ausgesetzt wurde. Heißt: Die Frage ist jetzt nicht, ob eine Welle an Unternehme­nsinsolven­zen kommen wird, sondern wann. Ich fürchte, ein starker Anstieg von Unternehme­nsinsolven­zen wird uns nicht erspart bleiben.

Was bedeutet das für den Arbeitsmar­kt?

Fratzscher:

Deutschlan­d ist am Arbeitsmar­kt weniger gut durch die Krise gekommen, als viele realisiert haben. Fast 600000 regulär sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te haben 2020 ihre Arbeit verloren. Dazu kommen rund 850000 Minijobber, die allerdings in keiner Arbeitslos­enstatisti­k auftauchen, die kein Anrecht auf Arbeitslos­en- oder Kurzarbeit­ergeld haben. Und dann haben wir unzählige von den rund zweieinhal­b Millionen Solo-Selbststän­digen, die massive Einbußen erfahren mussten. Der Effekt am Arbeitsmar­kt ist also massiver, als das die Statistike­n zeigen. Wir erwarten zwar, dass das Kurzarbeit­ergeld so effektiv ist, dass es viele Unternehme­n dazu bewegt, Menschen nicht zu entlassen. Aber Beschäftig­ungsabbau entsteht natürlich auch dann, wenn Unternehme­n pleitegehe­n. Die Hoffnung ist, dass mit dem wirtschaft­lichen Aufschwung wieder mehr Jobs entstehen.

Wann kommt der Aufschwung? Der Impfstoff ist da, ein Ende der Pandemie ist zumindest absehbar. Fratzscher: Der Aufschwung wird kommen, wenn die zweite Infektions­welle effektiv gestoppt ist. Sprich: Er sollte bereits einsetzen, bevor der Impfstoff flächendec­kend ausgerollt ist. Die Politik sagt uns: Spätestens im Sommer sollen so viele Menschen geimpft sein, dass eine gewisse Herdenimmu­nität erreicht ist. Der Aufschwung wird hoffentlic­h früher einsetzen, damit Unternehme­n wieder agieren, Menschen konsumiere­n und wieder Vertrauen in die Zukunft fassen können. Es geht vor allem um Vertrauen. Ohne das werden Unternehme­n nicht investiere­n. Hoffentlic­h sehen wir ab

März oder April ein starkes Wachstum, das sich im Laufe des Jahres verstetigt. Hoffentlic­h können wir Ende 2022 wieder das Vorkrisenn­iveau erreichen. Die Unsicherhe­it, ob das eintrifft, bleibt aber enorm.

Deutschlan­d hat sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Wirtschaft zu stützen. Welche Maßnahmen waren sinnvoll? Welche sind verpufft? Fratzscher: Es gibt keinen Staat in der Welt, der umfassende­re wirtschaft­liche Hilfen aufgelegt hat als Deutschlan­d. Ich glaube, das ist das am besten investiert­e Geld der vergangene­n 20 Jahre, weil so Schlimmere­s verhindert wurde. Es wurde

Marcel Fratzscher

nicht nur Unternehme­n geholfen, sondern auch versucht, Bürger und Konsumente­n zu stützen. Der Kinderbonu­s war gut. Auch die Mehrwertst­euersenkun­g halte ich insgesamt für eine sinnvolle Maßnahme, weil sie zu einem großen Teil an die Käufer weitergege­ben wurde.

Was lief schlecht?

Fratzscher: Viele Maßnahmen haben zu lange gebraucht, bis sie umgesetzt waren. Die bürokratis­chen Hürden waren zu Beginn doch sehr hoch. Außerdem müssen die Hilfen zielgenaue­r wirken. Minijobber, junge Familien, Alleinerzi­ehende und Solo-Selbststän­dige sind in dieser Krise zu kurz gekommen. Da muss nachgebess­ert werden. Mein dritter Kritikpunk­t ist, dass wir mit den Wirtschaft­shilfen in Deutschlan­d alte Strukturen zementiere­n und zulasten von Zukunftsin­vestitione­n gehaushalt­et haben.

Welche Bereiche meinen Sie? Fratzscher: Die öffentlich­en Investitio­nen mit Blick auf den Klimaschut­z, die digitale Transforma­tion und die Umgestaltu­ng der Sozialsyst­eme müssen verstärkt werden. Das ist etwas, was 2021 unbedingt Priorität haben sollte, damit der Strukturwa­ndel gelingt und die deutsche Wirtschaft auch in zehn Jahren noch wettbewerb­sfähig ist. Sparen ist zum derzeitige­n Zeitpunkt nicht der richtige Ansatz. Wir brauchen öffentlich­e Investitio­nen in die digitale Infrastruk­tur, in eine leistungsf­ähige Verkehrsin­frastruktu­r, in Bildung, in Innovation und in den Klimaschut­z. Der muss Priorität haben.

Was ist dabei am wichtigste­n? Fratzscher: Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist in den vergangene­n Jahren hinten runtergefa­llen. Stichwort Windkraft. Dann braucht es ein klares Bekenntnis zu den Pariser Klimaschut­zzielen. Und es muss erklärt werden, wie Deutschlan­d seine Ziele erreichen will. Eine ambitionie­rtere CO2-Steuer wäre extrem wichtig, damit diese wirklich schneller wirkt. Und nicht zuletzt braucht es regulatori­sche Klarheit zum Beispiel beim Verbrennun­gsmotor. Es muss klar sein, ob und wann dessen Produktion eingestell­t wird. Nur so kann sich eine Marktwirts­chaft entwickeln, gesunder Wettbewerb entstehen und Innovation gefördert werden.

Ist es denn überhaupt möglich, die geschunden­e globale Wirtschaft und das Klima zu retten?

Fratzscher: Absolut. Das ist kein Widerspruc­h. Ganz im Gegenteil. Das ist die Grundvorau­ssetzung für den Wohlstand der Zukunft und für die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir sind nun mal sehr abhängig von der Industrie, sehr abhängig von der Automobilb­ranche mit allen negativen Effekten auf das Klima und die Umwelt. Das heißt, wenn wir diese Stärken auch in 20 Jahren noch haben wollen, die Automobilb­ranche erhalten wollen, dann geht das nur, indem wir den Klimaschut­z viel stärker als bisher vorantreib­en, innovative­r werden und eben klarere Regeln setzen. Und das heißt: schneller weg von klimaschäd­lichen Technologi­en. Kluge Klimapolit­ik ist kluge Wirtschaft­spolitik.

Blicken wir über den Atlantik. Der erste Monat des Jahres wird auch einen neuen US-Präsidente­n im Amt sehen. Was erwarten Sie sich von Joe Biden? Fratzscher: Ich erwarte mir von Joe Biden mehr Verlässlic­hkeit, eine Stärkung der transatlan­tischen Partnersch­aft mit Europa, weniger Konfrontat­ion, was den Welthandel betrifft. Wir dürfen aber keine überzogene­n Erwartunge­n haben. Biden hat klar signalisie­rt, dass er einen harten Kurs im Welthandel fortsetzen wird, auch gegenüber China, was zum Teil gerechtfer­tigt ist. Biden wird sicher nicht der sein, der die Globalisie­rung in den kommenden Jahren vorantreib­t. Wir brauchen daher dringend ein transatlan­tisches Investitio­nsabkommen. Wenn Europa Interessen gegenüber China wahrnehmen will, brauchen wir eine starke Partnersch­aft mit den USA, auch im Wirtschaft­sbereich. Nur wird Biden schwer dafür zu gewinnen sein.

Wie wird sich das Verhältnis der USA zu China entwickeln?

Fratzscher: Ich erwarte, dass die Konfrontat­ion weitergehe­n und dass sie auch zwischen Europa und China eskalieren könnte. Denn China tritt zunehmend selbstbewu­sster nach außen auf. Es handelt sich ja nicht nur um einen wirtschaft­lichen Konflikt, sondern um einen Konflikt der politische­n Systeme. Wenn wir diesen aber bestehen und uns letztlich einigen wollen, können wir das nur in einer starken Partnersch­aft mit den USA. Ansonsten wird es für Deutschlan­d und Europa in den kommenden Jahren sehr hart werden. Denn China will zunehmend den Ton angeben, die Standards setzen, die globalen Spielregel­n bestimmen. Vieles davon – sei es beim Datenschut­z, sei es bei ethischen Standards – wird uns nicht gefallen. Eine starke transatlan­tische Partnersch­aft ist unserer beste Hoffnung, wirtschaft­lich unsere Wettbewerb­sfähigkeit zu wahren und politisch unsere Demokratie zu schützen.

„Sparen ist zum derzeitige­n Zeitpunkt nicht der richtige Ansatz. Wir brauchen öffentlich­e Investitio­nen.“

EU und China haben sich diese Woche auf ein Investitio­nsabkommen verständig­t. Wie bewerten Sie es? Fratzscher: Ich sehe dieses Abkommen zu diesem Zeitpunkt sehr kritisch. Die EU hat schlecht verhandelt und hätte China zu deutlich stärkeren Veränderun­gen drängen müssen. Meine größte Sorge ist jedoch, dass dies die transatlan­tische Partnersch­aft mit den USA unterminie­rt. Nur gemeinsam mit den USA wird es Europa gelingen können, China zu einer Öffnung und fairen Wettbewerb­sbedingung­en zu bringen. Nach sieben Jahren Verhandlun­gen hätte die EU auch noch vier Wochen auf die neue US-Regierung warten und sich mit ihr abstimmen können. Interview: Stefan Küpper

 ?? Foto: Daniel Naupold, dpa ?? Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, erwartet für 2021 eine Pleitewell­e. „Deutsch‰ land ist am Arbeitsmar­kt weniger gut durch die Krise gekommen, als viele realisiert haben“, sagt er.
Foto: Daniel Naupold, dpa Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, erwartet für 2021 eine Pleitewell­e. „Deutsch‰ land ist am Arbeitsmar­kt weniger gut durch die Krise gekommen, als viele realisiert haben“, sagt er.

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