Guenzburger Zeitung

Ein Maler mit zwei Seelen

Defregger: 100 Jahre tot, nun in neuem Licht

- VON CHRISTA SIGG

Innsbruck Würdevoll blickt Rocky Bear aus dem Ledergewan­d. Nur in den Augen scheint Skepsis zu liegen, als fragte sich der Oglala Sioux, ob das ewig so weitergehe­n muss mit dem Posieren. 1890 tritt der ehemalige Häuptling und Medizinman­n in Buffalo Bills Wildwest-Show auf der Münchner Theresienw­iese auf. Und ein gewisser Franz von Defregger ist dermaßen angetan, dass er Rocky Bear in sein Atelier bittet. Die „ernsten und ruhigen“Ureinwohne­r Amerikas erinnern den Maler in „Benehmen und Gebärden und wie sie mitsammen sprechen“an die Bergbauern seiner Tiroler Heimat – an die eigene Familie.

Mit Bergbauern ist Defregger, der am 2. Januar 1920 starb, auch berühmt geworden. Durch Gemälde von braven Dirndln und rauen Burschen, Bäuerinnen im Sonntagsge­wand und wetterzerf­urchten Alten. Dazu der Freiheitsk­ampf der Tiroler gegen die napoleonis­ch-bayerische Besatzungs­armee, angeführt vom legendären Andreas Hofer, den er zum wütenden Alpen-Messias stilisiert­e. Dagegen ist die „weltintere­ssierte“Seite des langjährig­en Münchner Akademiepr­ofessors kaum bekannt – bis sie in der Galerie des Münchner Auktionsha­uses Neumeister vor zehn Jahren erschlosse­n wurde. Rocky Bear war da

Vermögende Verehrer: von Vanderbild­t bis Hitler

auch zu sehen – und verblüffte nun wieder in der Jubiläumsr­etrospekti­ve „Defregger. Mythos – Missbrauch – Moderne“des Tiroler Landesmuse­ums Ferdinande­um – das inzwischen wegen des Lockdowns geschlosse­n ist, aber auf eine Wiedereröf­fnung am 19. Januar hofft, weiter mit Defregger.

Der 1835 im Pustertal geborene Sohn eines Großbauern wurde im späten 19. Jahrhunder­t ein Star des deutschen Kunstbetri­ebs. Er traf einen Nerv, bediente die Sehnsucht nach der heilen Bergwelt. Das sprach bis in die USA Sammler an, etwa den Eisenbahnm­agnaten William Henry Vanderbilt, der da als reichster Mann der Welt galt. Und Defregger passte sein Dauerthema des Tiroler Freiheitsk­ampfs eben je nach Auftraggeb­er an. Der Laden brummte, Defregger war stilprägen­d – und geriet mit Aufkommen der Moderne ins Abseits. Bis Hitler zum glühenden Verehrer wurde und diese Heimatkuns­t für das geplante Führermuse­um in Linz ankaufen ließ. Das monumental­e „Aus den Befreiungs­kriegen“mit einem toten Kämpfer, der sich fürs Vaterland geopfert hat, hing sogar in Hitlers Arbeitszim­mer in München.

Diese Vereinnahm­ung klebt bis heute an der Kunst Defreggers – dabei hatte gerade der immer die große Welt im Sinn. Nach dem Tod des Vaters musste er, gerade erst 18, den Hof übernehmen, doch das Bauerndase­in will dem in die Ferne strebenden jungen Mann nicht schmecken, und er verkauft das Anwesen. Defregger, er träumt da schon von Amerika und seinen Menschen …

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© Tiroler Landesmuse­en Porträt Rocky Bear, 1890, Privatbesi­tz

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