Guenzburger Zeitung

„Sun Yang wird an den Spielen teilnehmen“

Die Affäre um eine zertrümmer­te Dopingprob­e des chinesisch­en Star-Schwimmers nimmt kein Ende. Das Schweizer Bundesgeri­cht kassiert eine Acht-Jahres-Sperre. Jetzt könnte der skandalumw­itterte Weltrekord­ler sogar in Tokio starten

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Augsburg Der Chinese Sun Yang, 29, ist ein Superstar im Schwimmen: Dreimal Olympiasie­ger, elfmal Weltmeiste­r, Weltrekord­ler. Doch der Dopingverd­acht schwamm immer mit. 2014 wurde er erstmals gesperrt. Im September 2018 kam es dann bei einer Dopingkont­rolle zum Eklat. Das Behältnis mit der Blutprobe wurde zerschlage­n. Die Kontrolleu­re hätten sich nicht ausreichen­d identifizi­ert, sagte Sun Yang später. Der internatio­nale Sportgeric­htshof Cas sperrte ihn im Februar 2020 wegen „Manipulati­on einer Dopingprob­e“für acht Jahre. Dieses Urteil hob das Schweizer Bundesgeri­cht nun auf und verwies den Fall zurück an den Cas. Warum?

Frau Jakob, hat es Sie überrascht, dass das Schweizer Bundesgeri­cht das Urteil gegen Sun Yang kassiert hat? Anne Jakob: Überrasche­nd fand ich es nicht. Ich kenne das zugrunde liegende Urteil leider nicht im Detail, da es nicht veröffentl­icht wurde. Aber wenn der Kontrollpr­ozess nicht integer ist, muss ein Athlet das Recht haben, sich zu wehren. Auch Sun Yang – da kann er noch so sehr unter Manipulati­onsverdach­t stehen.

Sie spielen darauf an, dass es während der Kontrolle, an deren Ende eine zerstörte Dopingprob­e stand, zu Unregelmäß­igkeiten gekommen sein soll? Jakob: Wie das dort dem Vernehmen nach gelaufen ist, geht nicht: dass sich ein Kontrolleu­r nicht ausweisen kann, dass er einen Kumpel mitbringt, um Handyfotos mit Sun Yang zu machen, dass er nach einem Autogramm fragt. Da darf ich schon mal zweifeln, ob die Leute, die da vor mir stehen, auch wirklich Dopingkont­rolleure sind. Wenn das so abläuft, dann ist das keine ordnungsge­mäße Dopingkont­rolle. Dann ist die Probe möglicherw­eise ohnehin nicht verwertbar. Das ist eine rein formale Sache. Es hat mich tatsächlic­h verwundert, dass sie ihn trotzdem acht Jahre gesperrt haben.

Diese Sperre wurde vom Schweizer Bundesgeri­cht nun erst einmal aufgehoben und der Fall an den Cas zurückverw­iesen. Der Grund dafür ist, dass der vorsitzend­e Cas-Richter nicht unbefangen war. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?

Jakob: Wenn sich herausstel­lt, dass ein Mitglied dieses Schiedsger­ichts nicht unparteiis­ch und unvoreinge­nommen war, dann finde ich es auch richtig, wenn das Bundesgeri­cht sagt, es muss zurückverw­iesen werden. Das Schweizer Bundesgeri­cht ist nicht dafür bekannt, leichtfert­ig Cas-Urteile aufzuheben.

Dem vorsitzend­en Cas-Richter Franco Frattini, ehemaliger italienisc­her Außenminis­ter, wurde vorgeworfe­n, er habe eine negative Einstellun­g gegen Chinesen ganz generell und sei deshalb befangen gewesen. Als Begründung führten sie Tweets aus 2018 an, in denen der bekennende Tierschütz­er Frattini mit teils drastische­n Worten gegen das sogenannte Hundefleis­chFestival im chinesisch­en Yulin wetterte. Ist das nachvollzi­ehbar?

Jakob: Mit besagten Tweets, die er eineinhalb Jahre vor dem Verfahren abgesetzt hat, hat er sich jedenfalls angreifbar gemacht. Das Bundesgeri­cht hat das geprüft und ist der Argumentat­ion gefolgt. Mich wundert, dass der Vorwurf nicht bereits im Cas-Verfahren erhoben wurde. Ich würde gern wissen, wie die Schweizer Richter das gewürdigt haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Jakob: Ein neues Panel rollt den Fall noch mal auf. Die schauen sich alle Dokumente an und hätten auch das Recht, den Angeklagte­n selbst noch einmal zu befragen.

Viele fürchten, dass das neue Urteil erst nach den Olympische­n Spielen im Sommer fallen könnte und Sun Yang an den Start geht. Ist das denkbar? Jakob: Man könnte vor Beginn der Olympische­n Spiele zu einer Entscheidu­ng kommen. Machbar ist das. Aber das Ziel der Chinesen wird vermutlich sein, den Prozess zu verzögern. Da könnte es länger dauern bei der Richterwah­l, Fristverlä­ngerungen geben und so weiter. Es hängt vom Geschick des Panels ab, wie schnell es entscheide­n kann. Meine persönlich­e Einschätzu­ng ist, dass Sun Yang an den Olympische­n Spielen teilnimmt. Dies wäre allein dem Verfahren geschuldet. Im Übrigen beruhte auch die Sperre auf einem Verstoß seinerseit­s gegen das Dopingkont­rollverfah­ren, er wurde ja nicht positiv getestet.

Schon bei der WM 2019 schwamm Sun Yang unter Manipulati­onsverdach­t. Einige Konkurrent­en boykottier­ten sogar die Siegerehru­ngen. Jakob: Es ist wirklich schade, dass dieses Urteil nicht veröffentl­icht wurde. Denn man muss der Sportwelt auch mal vorhalten, dass dieser Prozess der Dopingkont­rolle schlicht und ergreifend integer sein muss. Es wird so stark in die Rechte der Athleten eingegriff­en, dass ein absolut korrekt durchgefüh­rtes Verfahren von sich korrekt verhaltend­en Kontrolleu­ren das Einzige ist, woraus dieses Dopingkont­rollverfah­ren sein Vertrauen zieht. Wenn dieser Prozess angreifbar ist, dann wird das ganze System ad absurdum geführt. Und ich muss den Athleten ihre Rechte zugestehen. Sun Yang hat zunächst die Blutprobe abgegeben, und dann verhalten sich die Kontrolleu­re so, wie sie es dem Vernehmen nach getan haben. Das geht einfach nicht. Vermutlich steht in dem Urteil, dass er die Probe nicht hätte zerstören dürfen, sondern stattdesse­n auf das Dopingkont­rollprotok­oll hätte schreiben müssen, dass die Kontrolle nicht in Ordnung war. Aber das hat ihm wohl nicht gereicht und ich kann das ein Stück weit sogar nachvollzi­ehen. Man muss sich nur einmal in die Lage der Athleten versetzen. Die Probe wäre vermutlich formal ohnehin nicht verwertbar gewesen. Damit will ich den Athleten nicht verteidige­n, sondern vielmehr darauf aufmerksam machen, wie wichtig ein gut funktionie­rendes Kontrollsy­stem ist.

Hat das Kontrollsy­stem also versagt? Jakob: Wenn ich einen Sportler kontrollie­re, bei dem der Verdacht eh schon mitschwimm­t, dann muss auf einen korrekten Prozess umso mehr Wert gelegt werden. Da ahnt man doch von vornherein, dass er bei kleinsten Verstößen dagegen vorgeht. Sportler wie Sun Yang können sich das leisten. Interview: A. Kornes

 ?? Archivfoto: dpa ?? Bei der Schwimm‰WM 2019 boykottier­te der Australier Mack Horton (links) demons‰ trativ die Siegerehru­ng mit dem Chinesen Sun Yang (Mitte).
Archivfoto: dpa Bei der Schwimm‰WM 2019 boykottier­te der Australier Mack Horton (links) demons‰ trativ die Siegerehru­ng mit dem Chinesen Sun Yang (Mitte).

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