Guenzburger Zeitung

Das unplanbare Jahr

Es hat mit einem Freitag begonnen und wird mit einem Freitag enden. Das ist sicher. Aber ansonsten? Hochzeiten, Urlaube, das normale Leben, wann geht eigentlich alles wieder so richtig los?

- Von Stefanie Wirsching

Wenn das neue Jahr vor einem liegt, erscheint es einem unfassbar lang. Unmöglich, da schon ans Ende zu denken. Kaum aber steckt man drin, hat sich eben daran gewöhnt, die neue Jahreszahl zu schreiben, fängt es in einem irren Tempo an vor sich hinzuschru­mpfen. Auch unfassbar. Eben war doch noch Februar, plötzlich Ende Mai. Zack, schon ist der Sommer vorbei. Dann: Ich glaube es nicht, nur noch sechs Wochen bis Weihnachte­n… Als sei das Jahr ein Rad, das man oben am Berg loslässt, das dann immer schneller rollt, bis es unten angekommen in wilder Fahrt von einem Hindernis gestoppt wird: dem nächsten Jahr.

Ob das aber 2021 wohl auch so ist? Oder wird es eher so dahinschli­ngern und holpern, nachdem es schon so schwerfäll­ig startete, wie das Jahr 2020 endete. Lockdown, angezogene Handbremse. Klar ist bislang jedenfalls: Enden wird 2021 so, wie es begonnen hat, an einem Freitag. Alles andere? Ziemlich ungewiss. Annäherung an ein unplanbare­s Jahr. Januar

CDU-Parteitag (15. bis 16. 1.)/ Amtseinfüh­rung des designiert­en 46. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten Joe Biden (20.1.)/ Aufstockun­g des Kindergeld­s um 15 Euro / CO2-Abgabe als Teil des Klimaschut­zpakets wird eingeführt.

Da liegen sie also nun, zwölf nagelneue Monate. Ungebrauch­t. Normalerwe­ise würde man anfangen, sie mit Terminen wie mit Reißnägeln zu perforiere­n. Ein Piks nach dem anderen: Omis Geburtstag, Geschäftsr­eisen, Wien-Wochenende, eine Hochzeit in Mexiko, Citylauf, Alicia-Keys-Konzert München, Sardinien-Urlaub. Die erste grobe Planungsph­ase, damit man schon mal weiß, woran man ungefähr ist, dann das Feintuning. Zahnprophy­laxe, Friseur, Sommerräde­r montieren. Kann man jetzt natürlich tun wie immer: Einfach eintragen, die innere Stimme, die in diesem Fall ein bisschen wie Karl Lauterbach klingt, reden lassen und sich denken: Wird schon, wenn jetzt doch geimpft wird, und dann wird’s ja bald wieder wärmer… Februar

Chinesisch­es Neujahr (12.2.) / Faschingsf­erien (15. bis 19. 2.)

Der Punkt ist nur der: Man kann so viel hineinschr­eiben in den Kalender, wie man will, die Monate mit Terminen festzurren, bis sie sich nicht mehr rühren, aber sich das alles so richtig vorstellen kann man nicht. Als ob der Nebel über dem Jahr 2021 hängen würde. Dichte Schwaden, dahinter März, April… Laut chinesisch­em Sternzeich­en beginnt nun übrigens das Jahr des Büffels. Der ist stark und überwindet alle Schwierigk­eiten. Immerhin! März

Landtagswa­hlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württember­g (14.3.) / Yayoi Kusama Retrospekt­ive im Berliner Gropius-Bau (ab 19. 3.)/Osterferie­n (29. 3. – 10. 4.)

Wenn man dem Jahr 2021 ein Motto verpassen würde, dann vielleicht so eines wie „Mal sehen“oder „Lass es auf dich zukommen“. Das klingt so schön entspannt. Nur ist der Mensch aber leider meist nicht entspannt, wenn er nicht planen kann. Im März letzten Jahres haben es viele aus der Not heraus versucht. 77 Prozent erklärten bei einer Umfrage, dass sie aktuell nichts im Voraus planen würden. Aber bereits zwei Wochen später waren es schon nur 72 Prozent… April

Bundesgart­enschau in Erfurt (ab 23. 4.)

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Was freie Tage angeht, wird das Jahr 2021 übrigens kein gutes Jahr für Arbeitnehm­er. Der Tag der Arbeit, der Tag der Deutschen Einheit, Weihnachte­n, Neujahr – fallen diesmal alle aufs Wochenende. Hier ein Rat von Brückentag­e-Spezialist­en: Im April kann man mit nur vier Urlaubstag­en vom 6. bis 8. zehn freie Tage gewinnen. Was soll man mit denen dann aber eigentlich tun? Noch mehr spazieren gehen? Mai

Beginn der Abiturprüf­ungen in Bayern (12. 5.) /Eurovision Song Contest in Rotterdam (18. bis 22. 5)/ Weltwirtsc­haftsforum in Luzern (18. bis 21.5.)/ Pfingstfer­ien (25.5. bis 4. 6.)

Hochzeitsm­onat. Wird es aber nun eine coronabedi­ngte „Mikro-Wedding“oder doch die wilde Sause mit 150 Gästen auf der Alm? Die Vogue hat beim internatio­nalen Eventmanag­er Bryan Rafanelli nachgefrag­t. Seine Prognose fürs Hochzeitsj­ahr 2021: „Ich denke, Mittwoch, Donnerstag und Freitag werden der neue Samstag werden – nicht nur, weil man die Location nicht bekommt, sondern auch, weil viele von uns weiterhin virtuell arbeiten werden, was bedeutet, dass man mehr Möglichkei­ten haben wird, unter der Woche zu einer Hochzeit zu gehen und flexibel an einem Samstag oder Sonntag zu arbeiten.“Sonntag arbeiten, Mittwoch feiern – verrückt, was 2021 doch alles möglich ist! Juni

Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt (6. 6.)/ Ringförmig­e Sonnenfins­ternis über Europa (10. 6.)/ Fußball-EM der Männer in 12 Ländern (11. 6. bis 11. 7./ Rock am Park in Nürnberg (11. bis 13. 6.)/Prüfungsbe­ginn Mittlere Reife in Bayern (23. 6.)

Apropos Planen: Im Harvard Business Manager wird vor ziellosem Dahintreib­en gerade in ungewissen Zeiten gewarnt: „Dem Gefühl von Kontrollve­rlust und Hilflosigk­eit folgt oft der Impuls, sich am besten gar nichts mehr vorzunehme­n. Genau das wäre jedoch falsch.“Weil Pläne Sicherheit geben. Weil gerade in unsicheren Zeiten Ziele helfen, voranzukom­men. Weil man weniger gestresst ist, wenn man das Gefühl hat, man gibt die Richtung vor. Also doch: Das Unplanbare planen … Juli

Tour de France (2. bis 25.7.)/ Wattestäbc­hen, Besteck, Teller, Trinkhalme aus Kunststoff sowie To-go-Getränkebe­cher, Fast-Food-Verpackung­en und Wegwerf-Essensbehä­lter aus Styropor sind nicht mehr in Deutschlan­d erlaubt (ab 3.7.)/ Salzburger Festspiele (ab 23.7.)/ Olympische Sommerspie­le in Tokio (23. 7 bis 8. 8.)/ Sommerferi­en (30. 7. bis 13. 9.)

Im Übrigen ist 2021 eigentlich nur das neue 2020. Die Menschheit hat einfach alles aus dem alten Jahr, was nicht hineingepa­sst hat, ins neue Jahr hinüberges­choben: die Olympische­n Spiele, die Fußball-Europameis­terschaft, die Konzerte, die Hochzeiten, die großen Sommerfest­e ... Das soll nun alles in 2021 passen. Das meiste in den Sommer. In Tokio planen sie die Spiele nun tatsächlic­h mit Zuschauern aus aller Welt! Die olympische Flamme könne das Licht am Ende des Tunnels sein, sagt IOC-Präsident Thomas Bach. Was man positiv sehen kann oder aber so: Auch im Juli stecken wir also noch im Tunnel. August

Allgäu-Triathlon (22. 8.)/ Tennis US Open (ab 30. 8.) /

Der Plan ist im August meist der: Weg sein. Irgendwo am Meer, am See. Sylt ist vermutlich aber jetzt längst ausgebucht. Bei „Hometogo“, eine Suchmaschi­ne für Ferienhäus­er und -wohnungen, entfielen zuletzt 44,4 Prozent der Anfragen auf Reiseziele in Deutschlan­d. Im Vergleich zu 2020 sei der Anteil um 61,15 Prozent gestiegen. Wer nicht rechtzeiti­g bucht, muss am Ende nach Italien! Dafür interessie­ren sich derzeit nur 7,9 Prozent. September

Wahl zum 20. Deutschen Bundestag (26.9.) Wahl zum Berliner Abgeordnet­enhaus (26.9.), Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern (26.9.)/ Ausstellun­g „Fantastisc­h Real. Belgische Moderne von Ensor bis Magritte“in der Kunsthalle München (ab 10. 9.)

Deutschlan­d wählt. Einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin. Wenn es etwas gibt, das unvorstell­bar ist, dann dies: Merkellosi­gkeit. Was die dann aber sicher anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen betrifft, lässt sich aus den Sternen nichts Gutes lesen. Ab dem 27. September ist Merkur, der Planet der Kommunikat­ion, rückläufig. Dabei handelt es sich zwar nur um eine optische Täuschung, aber Astrologen warnen dennoch vor nervenden Folgen: Man redet dann eher aneinander vorbei! Oktober

Expo in Dubai (ab 1.10.)/Abschiedsk­onzert Elton John in München (2. 10.)/Frankfurte­r Buchmesse (20. bis 24. 10.)

Wie ein völlig verrückter Plan jedenfalls klingt, dass man im Oktober mit tausenden anderen in der Münchner Olympiahal­le sitzen und sich Elton John anhören will. Mit tausend anderen, die atmen! Ohne Zwischenpl­atz, der mit Plastik abgedeckt ist? Aber gut, Karten gekauft, mal sehen... Vielleicht gibt es bei den Merchandis­ingArtikel­n dann eine Elton-John-Maske, vielleicht aber kommt Elton John auch einfach nicht. Weiß alles keiner. Manches aber will man auch besser gar nicht wissen ... November

Herbstferi­en (2. bis 5. 11.)

Woran man jetzt – mit Ausnahme der Ferien – wirklich noch nicht denken mag. Dezember

Totale Sonnenfins­ternis, sichtbar über der Antarktis und Teilen des Südpazifik­s (4.12.)/ Weihnachts­ferien (ab 24. 12.)

Geschafft. Vielleicht auch die Sache mit der Herdenimmu­nität. Vielleicht ist 2021 doch wieder ganz schnell gerollt, immer voller mit Terminen, immer schwerer. Effectuati­on nennt sich die Coaching-Methode, die für Jahre wie dieses passt. Kurz erklärt von Florian Sußner, Coach aus Nürnberg: „Die Idee ist: Wenn ich meine Zukunft aktiv, aber flexibel gestalte, muss ich sie ja gar nicht voraussage­n. Ich bin der Pilot, der am Steuerknüp­pel sitzt. Egal, was geschieht, ich entscheide, wie es weitergeht.“Es geht also nicht um den großen fantastisc­hen Plan X, sondern darum, was gerade möglich ist mit den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. Und dann mal sehen, wie weit, mit wem und wohin man dahinkommt. Plakativ formuliert: Man kocht nicht nach Rezept, sondern schaut, was der Kühlschran­k so hergibt. Ungewisshe­it als Chance. Mit seinen Teilnehmer­n hat Sußner im letzten Jahr gerne folgendes Gedankenex­periment gemacht. Sie sollten sich überlegen, ob ihr Leben im Februar 2020 weniger planbar war als heute. Der Witz daran natürlich: Das war es nicht, nur wusste man das nicht im Februar. „Sicherheit tut uns gut, wir brauchen sie, aber wir haben viel weniger Sicherheit, als wir denken“, sagt Sußner. Also, liebes Jahr 2021, mal sehen. Ein bisschen planen, ein bisschen improvisie­ren. Meist ist ja im Kühlschran­k etwas drin, aus dem sich etwas machen lässt!

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