Guenzburger Zeitung

„Ich stand drei Mal vor dem Tod“

In Regie und Hauptrolle: George Clooney spricht über seinen neuen Film, ein Endzeitsze­nario – und über seine eigenen Grenzerfah­rungen

-

Haben Sie selbst je die Erfahrung gemacht, zwischen Leben und Tod zu stehen?

George Clooney: Ja, sogar drei Mal. Ich hatte einen Motorradun­fall in Italien, vor anderthalb Jahren. Ich bin mit über 100 Sachen mit einem Auto zusammenge­stoßen, flog durch die Luft – und kurz vor dem Aufprall habe ich schon gedacht, das war’s. Ich hatte riesiges Glück in der Situation! Dann gab es auch mal einen sehr gefährlich­en Moment im Süd-Sudan. Da wurde unser Auto von einer Gruppe Männer gestoppt und uns wurden Waffen an den Kopf gehalten. Aber sie wollten uns nur ausrauben. Später war ich dann in den Nuba-Bergen im Sudan, als es dort einen Raketenang­riff mit Missiles auf unser Dorf gab. Auch da dachte ich, es ist vorbei. Aber ich hatte wieder Glück und kam unbeschade­t raus. Unfassbar.

Welche Konsequenz­en hatten die Momente im Angesicht des Todes für Sie? Haben Sie etwas daraus gelernt, etwas in Ihrem Leben verändert?

Clooney: Aus dem Unfall habe ich „gelernt“, dass ich mich in Zukunft lieber nicht auf ein Motorrad setzen sollte (lacht). Meine Frau hat es mir seitdem verboten, sie meinte: „Es reicht!“und ich habe ihr Recht gegeben. Nach den Erfahrunge­n im Sudan ist mir noch einmal klar geworden, wie wertvoll das Leben ist, weil es so zerbrechli­ch ist… nur eine falsche Bewegung und es ist vorbei.

Wie schwer haben Sie sich beim Motorradun­fall verletzt?

Clooney: Ich bin zufällig auf meinen Händen und Knien gelandet. Bei jedem anderen Körperteil wäre ich vermutlich tot gewesen, ich hätte mir wahrschein­lich das Rückgrat gebrochen. Wir sind uns selten bewusst, was für eine große Rolle Glück in unserem Leben spielt. Das beginnt schon bei der Geburt: Der Zufall entscheide­t, ob wir in ein Krisenoder Kriegsgebi­et wie Syrien hineingebo­ren werden oder nicht.

Sie zeigen in „The Midnight Sky“das Ende der Welt – aber ohne zu verraten, was genau mit unserem Globus passierte. Warum?

Clooney: Wir wollten den Weltunterg­ang der Vorstellun­gskraft des Publikums überlassen: Die Fantasie ist stärker als alles, was man im Film zeigen kann. Ob nun die Klimakatas­trophe ein Loch in der Atmosphäre verursacht hat, oder ob eine nukleare Krise der Auslöser gewesen sein könnte, das bleibt jedem selbst überlassen. Wie wollten nur eines klar machen: Bei all dem Hass und der Spaltung, die wir derzeit in der Welt sehen, vor allem 2020, müssen wir uns eingestehe­n, dass die Menschheit zerbrechli­cher ist als wir es je für möglich hielten.

Prägen Spaltung und Zorn derzeit nicht vor allem Ihre Heimat? Clooney: Die USA hatten definitiv einen Löwenantei­l daran! Aber unsere gesamte Gesellscha­ft ist fragil, wir alle müssen aufpassen. Präsident Jimmy Carter sagte, dass auch Frieden mit großer Anstrengun­g erkämpft werden muss. Frieden erhält sich nicht von selbst. Es ist leider gar nicht so abwegig, dass wir in 30 Jahren am Abgrund stehen. „The Midnight Sky“handelt davon, was Menschen sich als Spezies antun können. Ich habe mich in das Buch verliebt, weil es eine so wichtige Frage stellt: Ob die Menschheit es wert ist, für sie zu kämpfen. Ich bin überzeugt, dass die Antwort ein klares „ja“ist .

Sie inszeniert­en also eine fiktive Apokalypse, bis dann ein reales EndzeitSze­nario Ihre Fiktion einholte? Clooney: Ja. Kaum waren wir fertig mit dem Dreh, ging die Pandemie los. Wir hatten noch Glück, wir wurden im Februar fertig. Ich flog nach Hause nach L.A., zusammen mit Grant Heslov, als jemand uns erklärte, dass nun bei der Postproduk­tion besondere Sicherheit­smaßnahmen erforderli­ch wären. Der Typ sagte wörtlich noch: „Aber keine Sorge, Covid ist nur für alte Leute gefährlich!“Und ich sagte, na prima, dann gibt’s ja kein Problem. Woraufhin er entgegnete: „Na, alte Leute ab 55 Jahren aufwärts!“Und ich dachte: „Waaaas? Dann bin ich also – alt??? Was für eine Frechheit!“

Haben Pandemie und das seltsame Jahr 2020 Ihrem Projekt eine neue Lesart gegeben?

Clooney: Ja, dadurch ergab sich für uns eine übergeordn­ete Relevanz: Die Erkenntnis, wie wichtig ein Zuhause ist und mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt. Sich mit ihnen auszutausc­hen. Es reicht nicht, wenn man nur über Computersc­reens miteinande­r kommunizie­rt. Auch dieses Gespräch ist sicher das seltsamste Interview, das wir je geführt haben. Statt an einem Tisch zusammenzu­sitzen, starren wir in Bildschirm­e hinein.

Was haben Sie über sich selbst gelernt, als Sie den Film drehten?

Clooney: Der Film war eine der größten Herausford­erungen für mich, als Schauspiel­er und auch Regisseur. Auf Island mussten wir meine Schneeszen­en bei minus 30 Grad drehen, dazu wehte ein fieser Wind von fast 120 km/h. Ich war nicht sicher, ob mir der Doppeljob gelingt. Was ich gelernt habe, ist, dass ich auf Hilfe von Freunden und Kollegen zählen kann, wenn ich sie brauche. Meine Frau war froh, als der Dreh vorbei war, ich hatte mir den Schädel rasiert und trug einen David Letterman-Bart.

... und was während des Lockdowns? Clooney: Na ja, wie viele andere habe ich in der Zeit hauptsächl­ich Wäsche gewaschen, den Boden feucht aufgewisch­t, Geschirr gespült und Windeln gewechselt – nicht meine Windeln, so alt bin ich noch nicht, sondern die Windeln meiner Kinder (lacht). Während der Pandemie fühlte ich mich oft in die Zeit zurückvers­etzt, als ich noch alleine in einem Appartemen­t wohnte. Ich habe gelernt, dass ich mir vertrauen kann und noch gut klar komme. Ich bin immer noch ein passabler Handwerker, kann Lampen anschließe­n, Kleinigkei­ten reparieren. Ich war froh zu merken, dass ein einfaches Leben bei mir noch gut funktionie­rt.

Ein Magazin nannte Sie vor Jahren, als Sie noch Single waren, den „einsamsten Mann Hollywoods“. Hatte es mit dieser Annahme Recht, rückwirken­d betrachtet?

Clooney: Für mich war es nie ein Problem, alleine zu sein, dazu kann ich mich zu gut beschäftig­en. Ich lese gern in Ruhe oder nehme mir Zeit für etwas anderes. Natürlich möchte ich nicht mehr zu lange allein sein! Aber ich habe mittlerwei­le Zwillinge, die drei Jahre alt sind und sehr temperamen­tvoll. Bei uns zu Hause gibt es nicht einen Moment Ruhe! Ich sehne mich gerade unglaublic­h nach einem winzigen bisschen Einsamkeit, ich würde mein linkes Bein dafür geben! (lacht)

Nach einem Jahr mit Pandemie und Lockdown mit zwei Dreijährig­en hat die Frage zugegebene­rmaßen eine andere Relevanz. Eine goldene Regel der Filmbranch­e lautet ja: „Drehe nie mit Kindern oder Tieren!“Dieses Gesetz haben Sie ja nun schon einige Male gebrochen. Was hat die Arbeit mit Kindern Sie gelehrt?

Clooney: Na, eine Zeit lang habe ich mir gesagt, es ist besser, keine eigenen Kinder zu kriegen. Aber das habe ich ja nun auch gründlich in den Sand gesetzt! (lacht) Nein, mal im Ernst: Das Spielen mit der achtjährig­en Caoilinn hier war fantastisc­h. Die Kleine hatte noch nie zuvor einen Film gedreht, aber sie ist ein Naturtalen­t. Jedes Mal war ihre Szene nach einem einzigen Take im Kasten, wie ein Profi. Ich habe die erwachsene­n Kollegen damit gerne getriezt und unter Druck gesetzt: „Heute brauchte sie wieder nur einen einzigen Versuch!“

Wie zufrieden war Regisseur Clooney mit seinem Hauptdarst­eller Clooney? Im Ernst: Wie bewahrt man sich in der Doppelfunk­tion vor Fehlern oder Fehleinsch­ätzungen?

Clooney: Bei dieser Konstellat­ion gab es nur einen einzigen Vorteil: Ich wusste als Schauspiel­er genau, was der Regisseur von mir erwartet! (lacht) Für den Rest bekam ich Hilfe von meinem Freund Grant Heslov. Wir kennen uns seit bald 40 Jahren, seit der Schauspiel­schule. Er hat mir 1982 Mal 100 Dollar geliehen, damit ich profession­elle Porträtfot­os von mir machen konnte. Wir betreiben heute zusammen eine Produktion­sfirma, für „Argo“haben wir gemeinsam den Oscar gewonnen. Als ich vor der Kamera stand, saß er immer neben dem Monitor und behielt alles im Blick. War ich schlecht, kam von ihm sofort: „Noch mal, Du Schmock!“Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Wenn er zufrieden war, war ich es auch.

Macht es Ihnen keinen Spaß, mal „nur“für einen normalen Schauspiel­job vor der Kamera zu stehen? Clooney: Doch, und außerdem kann ich damit meine Rechnungen bezahlen. Ob Sie es glauben, oder nicht: Ich werde als Regisseur gar nicht gut bezahlt. Ich mache das, weil es mir viel bedeutet. Um Geld zu verdienen, muss ich weiterhin aber schon ab und zu noch als Schauspiel­er arbeiten.

Interview: Mariam Schaghaghi

 ?? Fotos: Ian West/PA Wire/dpa, Philippe Antonello/Netflix via AP/dpa ??
Fotos: Ian West/PA Wire/dpa, Philippe Antonello/Netflix via AP/dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany