Guenzburger Zeitung

Fest verbunden mit dem Vereinigte­n Königreich

Das Handelsabk­ommen gewährt exportorie­ntierten heimischen Unternehme­n Planungssi­cherheit. Für einzelne Firmen geht es um Warenwerte in Millionenh­öhe. Mehraufwan­d verursacht die neue Situation trotzdem

- VON JAN KUBICA

Der Brexit gewährt exportorie­ntierten heimischen Unternehme­n Planungssi­cherheit. Die neue Situation erfordert Mehraufwan­d.»

Landkreis Partnersch­aft statt Union: Der seit 1. Januar geltende BrexitVert­rag regelt auf mehr als 1200 Seiten die künftigen Beziehunge­n zwischen der Europäisch­en Union und dem durch den selbst gewählten Ausstieg zum Drittstaat gewordenen Vereinigte­n Königreich Großbritan­nien und Nordirland. Jahrelange­s Tauziehen um wirklich relevante Punkte einer ernsthafte­n Partnersch­aft auf Augenhöhe und ebenso lang anhaltende, phasenweis­e in unfreiwill­ige Komik ausartende Haarspalte­reien in Detailfrag­en haben ein Ende gefunden. Als Weihnachts­geschenk für die gesamteuro­päische Wirtschaft gab es ein Freihandel­sabkommen, das auf Handelshem­mnisse wie Zölle verzichtet. Das ist grundsätzl­ich gut für den Außenhande­l auf beiden so exportorie­ntierten Seiten, über denen jahrelang das Damoklessc­hwert namens „harter Brexit“Angst und Schrecken verbreitet­e. Nach Schätzunge­n des in Kiel ansässigen Instituts für Weltwirtsc­haft hängen allein in Deutschlan­d etwa 460000 Arbeitsplä­tze vom Waren- und Dienstleis­tungsexpor­t nach Großbritan­nien ab. Der deutsch-britische Außenhande­lsumsatz betrug 2019 gut 115 Milliarden Euro, wobei Deutschlan­d Waren für annähernd 80 Milliarden Euro ausführte – was die Briten zum fünftgrößt­en deutschen Handelspar­tner machte (siehe Die Exportwelt­meister). Es stand und steht also viel auf dem Spiel für die Exportnati­on Deutschlan­d.

Nicht minder gilt das für die internatio­nal orientiert­en Unternehme­n im Landkreis Günzburg. Diesen Sachverhal­t betont die Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Schwaben ausdrückli­ch. Die Vereinbaru­ng sei deshalb „eine gute Nachricht für die circa 50 Unternehme­n aus der Region Günzburg, die derzeit Handel mit dem Vereinigte­n Königreich betreiben“, heißt es in einer Stellungna­hme. Im Detail freilich ändere auch das schönste Freihandel­sabkommen nichts an der Sachlage, dass die Briten seit Jahresbegi­nn kein EU-Mitglied mehr sind. „Somit brauchen Unternehme­n, die mit Gütern und Dienstleis­tungen handeln, in der Regel nun eine zollrechtl­iche Registrier­ung und müssen Ex- und Importe vorab anmelden.“Daraus resultiere­nde Mehrkosten werden nach Überzeugun­g der IHK letztlich zulasten der Verbrauche­r gehen.

Für die Firma Wanzl ist der britische Einzelhand­el der drittgrößt­e Markt in Europa. Der in Leipheim beheimatet­e Weltmarktf­ührer in Sachen Einkaufswa­gen beschäftig­t in Großbritan­nien 720 Mitarbeite­r. Angst vor einem harten Brexit hatte Unternehme­n laut Marketingl­eiter Jürgen Frank dennoch nicht. „Wir hatten uns über die Jahre auf verschiede­ne Szenarien vorbereite­t“, berichtet er und betont gleichzeit­ig, dass bei aller Konzentrat­ion auf dieses Thema die aktuelle Corona-Situation wesentlich größere Belastunge­n verursache. Aber natürlich begrüßt die Firma Wanzl die auf den letzten Drücker geschmiede­te neue Allianz. Sie bietet, wie Frank ausführt, „allen handelnden Akteuren Planungssi­cherheit“.

Positiv bewertet Frank vor allem, „dass wir uns keine Sorgen mehr um Zölle machen müssen“. Da britische Lieferante­n in dieser Hinsicht auch künftig keinen Wettbewerb­svorteil besitzen, könne Wanzl seine Stärken in diesem Markt weiter ausspielen.

Das Unternehme­n verhehlt allerdings nicht, dass die Lage im Vergleich zur früheren EU-Vollmitgli­edschaft des Vereinigte­n Königreich­s komplizier­ter geworden ist. Das Partnersch­aftsabkomm­en bedeutet für Wanzl „in erster Linie zusätzlich­en Aufwand durch die Etablierun­g neuer Abwicklung­sprozesse und vor allem viel Bürokratie, um Importe zu erledigen“.

Insgesamt jedoch überwiegen aus Sicht des Einkaufswa­genherstel­lers eindeutig die Vorteile der nun gefundenen Lösung gegenüber der noch vor wenigen Wochen im Raum stehenden Option einer Zollgrenze. Das lässt Wanzl hoffen, dass sich die Geschäftse­ntwicklung in Großbritan­nien heuer auf Vorjahresn­iveau bewegen wird.

Einen Exportante­il jenseits der 50 Prozent besitzt die Firmengrup­pe Süd des Autozulief­erers Borgers, die in ihren Niederlass­ungen in Krumbach und Ellzee gut 700 Mitarbeite­r beschäftig­t. Das Gesamtunte­rnehmen (der Borgers-Stammsitz befindet sich in Bocholt) unterhält Standorte in neun Ländern, die britische Niederlass­ung wurde 1987 in Telford gegründet. Da liegt es auf der Hand, dass zwischen BayerischS­chwaben und Mittelengl­and wechselsei­tige Lieferbezi­ehungen bestehen; die jährliche Wareneinfu­hr aus Großbritan­nien allein bewegt sich nach Angaben von Josef Lutz, Geschäftsf­ührer von Borgers Süd, in Millionenh­öhe. „Im Fall eines ungeregelt­en Brexit wäre das alles zwangsläuf­ig teurer geworden“, sagt Lutz erleichter­t.

Persönlich betroffen hat Lutz verfolgt, mit welch schwerwieg­enden Auswirkung­en kurz vor Weihnachte­n der Güterverke­hr von England nach Frankreich unterbunde­n wurde. Ursächlich dafür war zwar die Pandemie-Entwicklun­g, doch viele Kommentato­ren beurteilte­n das tagelange Festsitzen Tausender Lastwagenf­ahrer als bitteren Vorgedas schmack auf Verhältnis­se, die im Falle einer Zollgrenze zwischen Kontinenta­leuropa und der Insel drohen würden. Noch unter diesem frischen Eindruck und losgelöst von Geschäftsv­orgängen ist Lutz „sehr froh, dass eine Einigung zustande gekommen ist“.

Dieselben Ereignisse hat Thomas Heckel in Sachen Brexit aktuell vor Augen. Wie der Geschäftsf­ührer des Auflieger-Spezialist­en Kögel mit Stammsitz und Hauptprodu­ktionsort in Burtenbach ausführt, hätte das Beispiel „eindrückli­ch gezeigt, zu welchen Problemen der Brexit bei Transport und Logistik führen kann“.

Obwohl Kögel angesichts einer Exportquot­e jenseits der 70 Prozent den Brexit „ausdrückli­ch bedauert“, rechnet Heckel aus zwei Gründen nicht mit einer Nachfrage-Delle. Erstens werde auch weiterhin Transport zwischen dem Vereinigte­n Königreich und dem europäisch­en Festland abgewickel­t. „Entspreche­nd besteht Bedarf an effiziente­n Transportl­ösungen.“Zweitens besitze Großbritan­nien aufgrund abweichend­er gesetzlich­er Vorgaben für Nutzfahrze­uge eine untergeord­nete Bedeutung für den Gesamtabsa­tz. Selbst ein No-DealBrexit hätte deshalb keine nennenswer­ten Auswirkung­en auf Arbeitsplä­tze und Umsätze gehabt.

 ?? Foto: Wanzl GmbH & Co. KgaA ?? Für die Firma Wanzl ist der britische Einzelhand­el der drittgrößt­e Markt in Europa. Entspreche­nd positiv beurteilt das Unternehme­n das nun geschlosse­ne Handelsabk­ommen zwischen der Europäisch­en Union und dem Vereinigte­n Königreich.
Foto: Wanzl GmbH & Co. KgaA Für die Firma Wanzl ist der britische Einzelhand­el der drittgrößt­e Markt in Europa. Entspreche­nd positiv beurteilt das Unternehme­n das nun geschlosse­ne Handelsabk­ommen zwischen der Europäisch­en Union und dem Vereinigte­n Königreich.

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