Wie ein Vulkan
Porträt Seine Ziele schreibt Augsburgs Torhüter Gikiewicz auf Zettel, die er an den Kühlschrank hängt. Wie ehrgeizig er sein kann, bekommen seine Mitspieler zu spüren
An seinem Kühlschrank kleben Zettel. Jedes Mal, wenn Rafal Gikiewicz die Türe aufzieht, springen ihn seine sportlichen Ziele an. Als würde er sich mit der Nahrung zugleich Ansporn und Antrieb verabreichen. Die Notizen erinnern den Torhüter des FC Augsburg daran, warum er jeden Tag im Training alles gibt. Warum er Schmerzen erträgt. Warum er weder sich noch andere schont. Und warum ihn jeder Fehler maßlos ärgert.
Wer das weiß, kann sein Verhalten besser einordnen. Leidenschaftlich, beinahe verbissen geht der 33-Jährige seiner Arbeit auf dem Platz nach. Überkommt ihn das Gefühl, seine Mitspieler gehen ihre Aufgaben nicht annähernd so pflichtbewusst an wie er, explodiert er. Gikiewicz reißt dann die Augen auf und staucht seine Teamkollegen zusammen. Ob das in der Spielerkabine
passiert oder vor einer Fernsehkamera, scheint den Ballfänger dabei wenig zu stören. Gikiewicz ist ein Vulkan. Wenn es in ihm brodelt, droht jederzeit der Ausbruch. Wie nach dem Spiel in Bremen, als er im TVInterview mutmaßte, nur ihn würde die Niederlage betroffen machen. „Wir verlieren ein wichtiges Spiel und lachen jetzt. Das kann ich nicht akzeptieren. Das geht für mich nicht.“Die öffentliche Schelte kam bei den FCA-Verantwortlichen weniger gut an. Dass sich Gikiewicz deshalb künftig zurückhält, scheint eher unwahrscheinlich. Seine Emotionen wird er weiterhin offen ausleben. Schließlich ist seine Kritik Ausdruck jenes Siegeswillens,
den sich die Entscheider des FC Augsburg mit seiner Verpflichtung versprachen. Gikiewicz ist in Olsztyn, einer größeren Stadt im Nordosten Polens, geboren. Als Profisportler wurde ihm nichts geschenkt, er musste hart arbeiten, sich durchsetzen. In seiner Heimat tingelte er von Verein zu Verein, ehe er im Sommer 2014 nach Deutschland wechselte. Über den Zweitligisten Eintracht Braunschweig und als Ersatzmann des SC Freiburg fand er den Weg zu Union Berlin. Erst dort etablierte sich Gikiewicz als Bundesliga-Stammkraft. Nach dem Aufstieg in die erste Liga ließ er sich ein Union-Logo auf den linken Unterarm tätowieren. Für ihn bleibt der Kultklub eine Herzensangelegenheit – trotz der Trennung im Sommer. Gikiewicz wollte bleiben, sah sich in einem Einjahresvertrag aber nicht ausreichend gewertschätzt. Statt bei einem TopKlub Ersatzmann zu werden, wählte er den Stammplatz in Augsburg. Vorzüge im Privaten, etwa die Nähe zu Familie und Freunden in Polen, gab er auf, seine Frau und seine zwei Kinder begleiteten ihn stattdessen ins Bayerisch-Schwäbische.
Dort überzeugt der Ehrgeizling, erweist sich als Rückhalt. An ihm liegt es weniger, dass der FCA sich nach gutem Start in der Tabelle nach unten orientieren muss. Am Mittwoch droht ein weiteres Negativerlebnis (20.30 Uhr/Sky). Sollte der FCA gegen den FC Bayern verlieren, sollten Gikiewicz’ Mitspieler aus Eigeninteresse möglichst enttäuscht wirken. Johannes Graf