Guenzburger Zeitung

„Wir sind ein sehr robustes Land“

Gerhard Casper wurde in Hamburg geboren und machte in den USA Karriere. Der frühere Präsident der Stanford University erklärt, welchen Schaden Trump angerichte­t hat, wie man ihn repariert, und warum er Vertrauen in Joe Biden hat

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Heute, 12 Uhr mittags, endet Trumps Amtszeit. Washington gleicht inzwischen einer Festung. Vor der USWahl haben Sie voll Sorge vor dem Kommenden gesagt, Sie würden noch Monate danach vermutlich schlecht schlafen. Wird es nun besser?

Prof. Casper: Sehr viel besser. Ich glaube, Joe Biden wird das Land wieder zusammenbr­ingen. Zumindest einigermaß­en. Er wird die vielen Probleme, die Trump geschaffen hat – zum Teil –, lösen können. Das Problem der amerikanis­chen Präsidents­chaft ist, dass die Verfassung sich sehr auf eine Person konzentrie­rt. Die Arbeit kann aber natürlich nicht von einer Person gemacht werden. Ich habe daher die Regierungs­bildung genau verfolgt. Biden hat ein exzellente­s Kabinett zusammenge­stellt und sich vorzüglich­e Berater geholt.

so hat Trump das auch gesehen. Aber wir haben über Jahrzehnte eine Rechtskult­ur entwickelt, in der angenommen wurde, dass das Justizmini­sterium vom Weißen Haus scharf getrennt ist und dass der Justizmini­ster grundsätzl­ich den Weisungen des Weißen Hauses nicht unterliegt. Nicht juristisch, nicht verfassung­smäßig, aber als eine Antwort der Rechtskult­ur, die sich auf die Machtanspr­üche verschiede­ner Präsidente­n entwickelt hat, vor allen Dingen Nixon. Nixons Nachfolger ...

... war Gerald Ford.

Casper: Der wiederum ernannte Edward Levi, einen engen Freund von mir, zum Justizmini­ster. Und ich erinnere mich, dass Levi mir immer gesagt hat, dass in den Jahren, in denen er unter Ford Justizmini­ster war, das Weiße Haus kein einziges Mal versucht hat, ihn zu beeinfluss­en. Geschweige denn, seine Macht zu übernehmen. Trump dagegen hat regelmäßig versucht, Justizmini­ster William Barr Anordnunge­n zu geben, die der befolgen sollte. Biden hat nun mit dem Bundesrich­ter Merrick Garland einen ausgezeich­neten Minister ausgewählt. Er hat sich einen nicht politisch orientiert­en Juristen gesucht. Die Aufgabe von Biden und Garland ist allerdings riesig. Man kann schnell etwas zerstören, aber nur langsam wieder aufbauen.

Sehen Sie die Gefahr, dass selbst ein Präsident Biden, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung steht, der Versuchung erliegen könnte, den exekutiven Spielraum zu nutzen, den sein Vorgänger so ausgereizt hat? Casper: Max Weber hat 1917 einen Aufsatz über Cäsarismus und amerikanis­che Präsidente­n geschriebe­n, in dem er beschreibt, dass Präsidente­n die Neigung hätten, sich cäsaristis­ch zu verhalten. Diese Gefahr besteht grundsätzl­ich immer. Aber im Fall Bidens ist sie kleiner als bei anderen. Biden hat nicht nur als Vizepräsid­ent sehr viel Erfahrung gesammelt, sondern die größte Zeit seines politische­n Lebens im Senat verbracht, wo er den Justizauss­chuss geleitet hat. So etwas wie mit Trump werden wir mit Biden nicht wiedererle­ben.

Ist die Amtszeit von Trump, so schlimm sie war, nicht am Ende ein Triumph der amerikanis­chen Verfassung und der Staatsorga­ne?

Casper: Man muss zum einen berücksich­tigen, dass die amerikanis­che Verfassung seit über 200 Jahren in Kraft ist. Sie hat durchaus immer wieder ihre Schwächen gezeigt. Sie ist, was das Wahlsystem angeht, veraltet und von den Vorstellun­gen des ausgehende­n 18. und 19. Jahrhunder­ts getrieben, es hat den Bürgerkrie­g gegeben. Aber am Ende hat immer die Verfassung überlebt. Ob sie das in der Zukunft auch tun wird, weiß ich natürlich nicht. Ich komme auf Max Weber zurück. Es könnte sein, dass wir einen Präsidente­n bekommen werden, der ein effektiver und wirksamer Cäsar ist. Eines der Trump-Probleme war, dass er – abgesehen von seinen politische­n Verworrenh­eiten und Zielen – einfach kein sehr kluger Mann ist und ihn das Amt wahrschein­lich weit überforder­t hat. Wenn wir mal einen Präsidente­n haben, der ähnliche Einstellun­gen wie Trump hat, aber nicht überforder­t ist, könnte es gefährlich werden.

Wie macht man die US-Verfassung robuster gegen Nicht-Demokraten im Weißen Haus?

Casper: Idealerwei­se sollte man die Zeit zwischen Wahltag und Amtseinfüh­rung verkürzen. Dazu müsste man allerdings die Verfassung ändern, was in den USA immer sehr schwierig ist. Noch wichtiger wäre es, das Wahlrecht zu ändern, das von den für heute absolut falschen Voraussetz­ungen ausgeht. Die Verfassung der USA ist sehr von der Gewaltente­ilung geprägt. Ein weiteres Problem, das wir in der Ära Trump gehabt haben, war, dass die Republikan­er in dieser Hinsicht versagt haben. Wir haben nur die zwei Parteien, die den Kongress kontrollie­ren, und die Republikan­er haben ihre Verantwort­ung unter den Grundsätze­n der Gewaltente­ilung nicht wahrgenomm­en.

Die Wähler aber haben reagiert. Casper: Die Wähler haben richtig reagiert. Sie haben die erste Gelegenhei­t vor zwei Jahren im Abgeordnet­enhaus genutzt, danach haben sie Trump abgewählt. Die Wähler haben die Gewaltente­ilung grundsätzl­ich wieder gestärkt. Und das ist sehr, sehr wichtig. In der Zukunft wird nun sehr viel davon abhängen, ob die republikan­ische Partei die richtigen Lehren aus den vergangene­n vier Jahren zieht. Da bin ich immer noch sehr skeptisch. Die Gerichte dagegen haben sich im Großen und Ganzen bewährt. Die meisten der Maßnahmen von Trump wurden von der Gerichtsba­rkeit, soweit sie etwas dazu zu sagen hatte, mit großer Skepsis betrachtet.

Hat Trump zum Aufruhr aufgerufen? Casper: Das ist nicht leicht zu beantworte­n. Ohne Frage hat er einen Aufruhr unterstütz­t. Einmal dadurch, dass er erklärt hat, er habe die Wahl gewonnen und nicht Herr Biden. Zum anderen hat er seinen Unterstütz­ern immer wieder gesagt: Tut was. Aber zugleich ist es komplizier­ter: Trump hat Sachen gesagt, die technisch, wenn Sie oder ich sie sagten, ohne Frage durch die Redefreihe­it geschützt wären. Die amerikanis­che Vorstellun­g der Redefreihe­it ist viel ausgeprägt­er als in Europa. Das Stichwort lautet „Brandenbur­g versus Ohio“...

...eine wegweisend­e Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fes ...

Casper: ... die es möglich macht, zum Regierungs­sturz aufzurufen. AllerUnd dings darf man diesen nicht selbst befördern. Ob Trump diese Grenze überschrit­ten hat, das ist die Frage. Ich würde meinen, er hat. Aber darüber können wir endlos diskutiere­n. Aber was ist mit seiner Verantwort­ung als Präsident? Nehmen wir an, was er gesagt hat, wäre durch Brandenbur­g v. Ohio geschützt. Schön, aber darf er als Präsident dergleiche­n sagen? Nein. Natürlich nicht. Er darf als Präsident nichts tun, was angesehen werden könnte, dass er zum Aufruhr auffordert­e. Sie haben auch auf seinen Verfassung­seid verwiesen. Es gäbe noch weitere Argumente.

Ein zweites Amtsentheb­ungsverfah­ren bewerten Sie folglich als richtig? Casper: Wenn man ihn jetzt durch eine Präsidente­nanklage zur Verantwort­ung zöge, wäre das aus meiner Sicht völlig berechtigt. Zunächst hatte ich Zweifel, aber inzwischen bin ich grundsätzl­ich zu der Überzeugun­g gekommen, dass es notwendig ist, um für die Zukunft dem Präsidente­n Grenzen aufzuzeige­n.

Aber was macht das zweite Impeachmen­t mit dem von Biden angekündig­ten Versöhnung­swerk?

Casper: Eine Präsidente­nanklage würde die Spannungen weiter erhöhen, weil Trump es geschafft hat, so viele davon zu überzeugen, dass ihm Unrecht geschehen ist.

Trump geht, der Trumpismus bleibt. Was muss Biden tun, um dieses gespaltene Land wieder zu einen?

Casper: Dieses Versöhnung­swerk, wie Sie sagen, ist die schwierigs­te aller Aufgaben. In kurzer Zeit wird Biden das nicht gelingen. Ich hoffe, dass es ihm über vier Jahre oder eine weitere Amtszeit gelingt. Beide, Biden und Kamala Harris, müssen versuchen, die Mäßigung in das System zurückzubr­ingen. Sie müssen auf beiden Seiten – bei Republikan­ern und Demokraten – zu Mäßigung raten. Auch Herr Biden wird sich gegenüber Zielen, die in seiner Partei populär sind, mäßigen müssen. Es wird viele Tests geben. Auch er wird die Zuwanderun­g begrenzen müssen, auch wenn er sicher andere Ansichten über das Asylverfah­ren hat als Trump. Sehr viel wird davon abhängen, dass Biden den richtigen Ton finden wird. Aber da habe ich Vertrauen.

Wann ist das Klima in den Vereinigte­n Staaten so toxisch geworden?

Casper: Das liegt Jahrzehnte zurück. Solche Phasen hat es in der langen Geschichte der USA immer wieder gegeben. Vor allem am Anfang. Der Ton zwischen John Adams und Thomas Jefferson beispielsw­eise war absolut toxisch. Dann gab es den Bürgerkrie­g. Mir ist beim Lesen der deutschen Presse aufgefalle­n, wie viel Gewicht auf Trump gelegt wurde. Das ist zum Teil einfach falsch. Viele der heutigen Probleme gehen weit in der US-Geschichte zurück.

Sie versinken, tauchen wieder auf. Aber: Wir sind ein sehr robustes Land. Das muss man immer berücksich­tigen. Trump hat nur ausgenutzt, was bereits angelegt war.

Was war angelegt?

Casper: Wir haben die Ermordung von Präsident Kennedy gesehen, die Ermordung von Martin Luther King, die Ermordung von Robert Kennedy. Wir haben traumatisc­he Erlebnisse gehabt. Eins nach dem anderen. Das war alles furchtbar. Aber es war nicht so, dass dieses Land hinterher vereinigte­r gewesen wäre. Die deutsche Sicht auf die USA ist zum Teil außerorden­tlich kurzfristi­g. Zugleich zeigt sich – auch jetzt wieder – was das Verfassung­ssystem alles aushält.

Sie sind 1987, als Präsident Ronald Reagan den konservati­ven Robert Bork für den Supreme Court nominiert hatte, mit Joe Biden, dem damaligen Vorsitzend­en im Justizauss­chuss, aneinander­geraten.

Casper: Ich bin nicht nur da, sondern viele Male auf Herrn Biden getroffen. Ich habe ihn damals sehr dafür kritisiert, wie er diese Anhörung abgehalten hat.

Wie haben Sie Biden wahrgenomm­en? Casper: Wir haben damals gegeneinan­der einen ziemlich scharfen Ton angeschlag­en. Einige Monate später war ich wieder vor dem Justizauss­chuss des Senats zu einer Anhörung. Und Herr Biden hatte alles vergessen. Er hätte nicht liebenswür­diger sein können. Ich glaube, Biden hat eine Eigenschaf­t, die sowohl eine Schwäche aber auch eine Stärke sein könnte. Er konzentrie­rt sich sehr auf den Augenblick.

Sie sind in Hamburg geboren, längst US-Bürger, kennen beide Länder aber sehr gut. Wie ist es um Ihr Geburtslan­d im Vergleich bestellt?

Casper: Ich habe kürzlich einen Brief wiedergefu­nden, den ich 1954 an meine Eltern schrieb, als ich in den USA bei einem internatio­nalen Jugendforu­m war. Wir hatten Diskussion­en mit führenden Vertretern der Republikan­er und Demokraten. Und deren Umgang war außerorden­tlich freundscha­ftlich. Ich habe damals geschriebe­n, wie anders das in den USA sei als in Deutschlan­d. Damals gab es die scharfen Auseinande­rsetzungen zwischen Konrad Adenauer und Kurt Schumacher. Inzwischen hat sich das völlig gedreht. Heute gehen in Deutschlan­d – abgesehen von der AfD – Opposition und Regierung ehr zivil miteinande­r um. Der Ton ist demokratis­ch. Und das ist, was wir hier in den USA in den Jahren, in denen ich hier bin, verloren haben. Interview: Stefan Küpper

Gerhard Casper ist US‰ Verfassung­sjurist. Von 1992 bis 2000 war der 83‰Jährige Präsident der Stanford University.

 ?? Foto: Alex Brandon, AP, dpa ?? Amerikanis­che Flaggen sind auf der National Mall vor dem Kapitol: Heute wird Joe Biden als US‰Präsident vereidigt. Trump ist weg.
Foto: Alex Brandon, AP, dpa Amerikanis­che Flaggen sind auf der National Mall vor dem Kapitol: Heute wird Joe Biden als US‰Präsident vereidigt. Trump ist weg.
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