Guenzburger Zeitung

Ein neuer Pakt gegen die Atombombe

Der UN-Vertrag zum Verbot von Kernwaffen tritt in Kraft. Was bringt er, obwohl ihn die Atommächte und Deutschlan­d ablehnen?

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Genf Auch lange nach Ende des Kalten Krieges stehen sich Russland und die USA hochgerüst­et mit Atomwaffen gegenüber: Das schwedisch­e Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri gibt die Zahl der nuklearen Sprengköpf­e derzeit mit 13400 an. Davon sind 3720 gefechtsbe­reit, der Rest ist in Reserve. Russland verfügt über 6375 Sprengköpf­e, die USA über 5800. Die übrigen gut tausend Sprengkörp­er verteilen sich auf die sieben weiteren Nuklearwaf­fenmächte. Vom erklärten Ziel einer atomwaffen­freien Welt ist die Menschheit weit entfernt, aber zumindest kommt sie nun auf dem mühsamen Weg ein Stück voran.

Diesen Freitag tritt ein Vertrag über das Verbot von Kernwaffen der Vereinten Nationen in Kraft. Der Pakt gegen die Bombe zielt auf die „totale Abschaffun­g der nuklearen Waffen“, betont UN-Generalsek­retär António Guterres. Das habe auf der Abrüstungs­agenda der UN die „höchste Priorität“. Tatsächlic­h verlangte die UN-Vollversam­mlung bereits in ihrer ersten Resolution vom 24. Januar 1946 die Abschaffun­g der Atomwaffen – vor 75 Jahren. Jetzt verbietet das neue UN-Abkommen die Entwicklun­g, Herstellun­g, Stationier­ung, Einsatz und praktisch alle anderen Aktivitäte­n rund um die Massenvern­ichtungswa­ffen.

Allerdings hat der UN-Vertrag mehr als einen Schönheits­fehler: Die fünf offizielle­n Kernwaffen­mächte, die USA, Russland, China, Frankreich sowie Großbritan­nien, und die meisten ihrer Verbündete­n, darunter auch Deutschlan­d, wollen von dem Vertrag nichts wissen. Ebenso weisen Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea den Pakt zurück, die ebenfalls als faktische Atomwaffen­mächte gelten.

Die Ächtung der schlimmste­n Kriegsgerä­te, die je entwickelt wurden, sollte nach Ansicht der UN eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it sein. Denn ein atomarer militärisc­her Schlagabta­usch würde die Welt in die größte anzunehmen­de Katastroph­e stürzen. Das gesamte Leben auf unserem Planeten könnte ausgelösch­t werden. Welches unermessli­che Leid Atomwaffen auslösen, weiß die Menschheit spätestens seit den US-Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki 1945. Kein Wunder, dass Pazifisten und Konfliktfo­rscher rund um die Welt das neue UN-Abkommen begrüßen. „Der

Vertrag über das Verbot von Nuklearwaf­fen zeichnet sich durch ein nobles Bestreben aus“, sagt Jan Eliasson, der Vorsitzend­e des Friedensfo­rschungsin­stituts Sipri in Stockholm. „Nur eine atomwaffen­freie Welt schließt das Risiko aus, dass die Waffen zum Einsatz kommen.“

Doch ob dieses Ziel jemals erreicht wird, bleibt auch nach Inkrafttre­ten des Paktes gegen die Bombe eine offene Frage. Bislang sind dem Pakt nur 51 Länder beigetrete­n, die meisten von ihnen sorgen militärisc­h und politisch kaum für Aufsehen: von Honduras über Gambia bis Irland. Als treibende Kraft für das Abkommen profiliert­e sich Österreich. „Der Vertrag ist nicht gültig für Länder, die ihn nicht ratifizier­t haben“, erläutert John Krzyzaniak vom Bulletin of the Atomic Scientists in Washington.

Zumal die Regierunge­n der USA, Russlands, Chinas, Frankreich­s und Großbritan­niens ihre Stellung gegenseiti­g anerkannt haben: Die fünf beharren auf ihre Sonderstel­lung als offizielle Atomwaffen­mächte, die sie sich selbst im Atomwaffen­sperrvertr­ag von 1970 zuschanzte­n. Sie beanspruch­en ein nahezu immerwähre­ndes Recht auf die nuklearen Sprengköpf­e und ihre Trägersyst­eme – auch wenn sie sich im Sperrvertr­ag zu einer vollständi­gen Abrüstung verpflicht­et haben. Wer einmal die Bombe im Arsenal hat, gibt sie so schnell nicht wieder her.

Die führende Atomwaffen­macht, die USA, fürchtet den neuen Verbotsver­trag offenbar dennoch: Seitdem die ersten Gespräche ernsthaft starteten, versuchten die USA das Abkommen zu vereiteln. Das geschah schon unter dem Präsidente­n Barack Obama, obwohl der Friedensno­belpreistr­äger in großen Reden in Berlin und Prag das Ziel von „Global Zero“, einer atomwaffen­freien Welt, ausrief. Obamas USDelegati­on bei der Nato aber „ermutigte in starker Form“die Verbündete­n in einem Brief vom Oktober 2016, die UN-Verhandlun­gen über den Vertrag abzulehnen. Unter Präsident Donald Trump „drängten die USA sogar in unüblicher Weise andere Staaten, wieder auszutrete­n“, erläutert Experte Krzyzaniak.

Diplomatis­che Kreise stellen unterdesse­n klar, dass die USA auch unter dem neuen Präsidente­n Joe

Biden von ihrem eisernen „No“zu dem Anti-Nuklear-Pakt nicht abrücken werden. Solange die USA unnachgieb­ig bleiben, ist auch von den anderen Atomwaffen­staaten kaum Einlenken zu erwarten.

Doch was kann der neue Pakt gegen die Bombe dann überhaupt noch bewirken? Langfristi­g könnte er mehr als eine symbolisch­e Wirkung entfalten, wie die Befürworte­r der Internatio­nalen Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen glauben. Die Stigmatisi­erung und Delegitimi­erung der nuklearen Waffen sollen auf Regierunge­n abschrecke­nd wirken, die auf den Erwerb der Bombe schielen. Auch die Atomwaffen­mächte sollen fortan in Erklärungs­not geraten, wieso sie Milliarden über Milliarden von Dollars in ihre umstritten­en „Nukes“stecken.

Immerhin müssen Länder mit den Massenvern­ichtungswa­ffen damit rechnen, dass die Staaten des AntiAtom-Paktes sie ständig zum Beitritt drängen. Artikel 12 des Abkommens verpflicht­et die Vertragsst­aaten dazu, diplomatis­chen Druck auf die außenstehe­nden Länder auszuüben. Das Abkommen „wird die Nuklearwaf­fen als Währung der internatio­nalen Politik abwerten und ihre militärisc­he Nützlichke­it und politische­n Wert beeinträch­tigen“, erklärt Ramesh Thakur, ein führender internatio­naler Abrüstungs­fachmann.

Der Pakt könnte auch Firmen, die an Atomwaffen­programmen mitarbeite­n oder sie finanziere­n, zum Umdenken bringen. Wer will schon seinen guten Namen für die Produktion verbotener Waffen hergeben? Die Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen ruft Investoren dazu auf, ihr Engagement in den Firmen zu stoppen: „Don’t bank the Bomb.“Auf einer schwarzen Liste der Kampagne steht beispielsw­eise der Luftund Raumfahrtk­onzern Airbus. Zwar hält Airbus fest, dass seine Rüstungssp­arte „Airbus Defence and Space“keine nuklearen Waffen herstellt. Wohl aber produziere die 50-Prozent-Tochter Ariane-Group die M-51 Trägersyst­eme für das französisc­he Nuklearwaf­fenprogram­m. Solche Verbindung­en zu der Bombe könnten in Zukunft noch anrüchiger werden.

Die Deutsche Bank erkannte schon die Zeichen der Zeit. Das Geldhaus gab 2018 bekannt, alle Geschäfte mit Firmen vermeiden zu wollen, die im Sektor „kontrovers­e Waffen“aktiv sind. Darunter fallen auch Atomwaffen.

Die USA versuchten das Abkommen zu verhindern

 ?? Foto: dpa‰Archiv ?? Französisc­her Atomtest auf dem Mururoa‰Atoll 1970: totale Abschaffun­g der Nuklearwaf­fen als oberste Priorität.
Foto: dpa‰Archiv Französisc­her Atomtest auf dem Mururoa‰Atoll 1970: totale Abschaffun­g der Nuklearwaf­fen als oberste Priorität.

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