Der Modehandel fürchtet um seine Existenz
Da ihre Geschäfte seit Wochen geschlossen sind, schlagen Geschäftsleute Alarm. Ihre Läden sind voll mit Winterware, aber die Käufer dürfen nicht kommen. Dafür drängt nun schon die nächste Kollektion ins Lager
Augsburg Pullover, Daunenjacken, Chino-Hosen für Männer mit dezentem Karomuster – im Augsburger Modehaus Jung hätten Kunden derzeit eine Riesenauswahl. Hätten. Denn seit dem zweiten Lockdown in der Corona-Krise am 16. Dezember hat das Geschäft geschlossen.
Die Kunden fehlen, die Ware findet keine Abnehmer. „Die Lage in unserer Branche spitzt sich dramatisch zu“, sagt Alexander Ferstl, Geschäftsführer des Traditionsbetriebs.
„Wir leben von der Beratung der Kunden, jetzt bleiben wir voll auf der Winterware sitzen.“Fachleute warnen, dass der Textilhandel auf eine gigantische Krise zusteuert, wenn nicht schnell gegengesteuert wird, insbesondere, wenn jetzt der Lockdown nochmals bis Mitte Februar verlängert wird. Die Insolvenz der Modehandelskette Adler ist dafür ein Hinweis.
Der Handelsverband Textil schlägt Alarm. „Der beschlossene Lockdown wird zahlreiche Modegeschäfte, Schuhläden und Kaufhäuser in den Ruin treiben“, warnt der Verband. Im stationären Handel – also in den Geschäften vor Ort – werde sich eine Lawine von einer halben Milliarde unverkaufter Modeartikel auftürmen. Selbst wenn die Geschäfte im Frühjahr wieder aufmachen, hilft dies wenig. „Wer kauft an Ostern noch Winterjacken?“, sagt Alexander Ferstl. „Durch den Wert- und Preisverfall der Ware am Saisonende sind die Einbußen später nicht mehr aufzuholen“, erklärt auch Rolf Pangels,
Hauptgeschäftsführer des BTE Handelsverbandes Textil.
Ferstl vom Modehaus Jung geht davon aus, dass er seit dem Lockdown im Dezember rund 95 Prozent seines Umsatzes verloren hat. Damit geht es ihm wie den meisten seiner Kollegen. Seine gut 50 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Der Modehändler versucht, einen kleinen Teil der Ware online oder über „Click & Collect“-Dienstleistungen zu verkaufen. Einen Teil kann er bei den Lieferanten mit Abschlägen gegen Sommerware tauschen oder zurückschicken. Die Artikel aufzubewahren sei kaum möglich: „Der Großteil unserer Ware ist topaktuell und hochmodisch, unsere Kunden verlangen immer die neuesten Trends. Wir können nicht einfach die gleichen Artikel aus der letzten Saison im nächsten Jahr erneut anbieten“, sagt Ferstl. Auf dieses besondere Problem im Modehandel weist auch Wolfgang Puff hin, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern. „Einen Rasenmäher kann man vielleicht im nächsten Jahr noch verkaufen, topmodische Kleidungsstücke nicht“, sagt er. „Sie verlieren extrem an Wert.“
Derzeit stehen die Textilhändler vor noch einem Problem: „Anfang Februar kommt bei den Händlern die Ware für die neue Saison an“, sagt Puff. Die Frühjahrs- und Sommermode. Diese Ware muss von den Händlern bezahlt werden. Normalerweise geschieht dies mit den Umsätzen aus dem Herbst und Winter. Diese fehlen jetzt. „Das zehrt das Eigenkapital auch gesunder Betriebe auf“, warnt Puff. „Es ist enormer Druck im Kessel.“
In dieser Situation befindet sich auch der Schuh- und Kleidungshändler Schuh Schmid aus Augsburg, zu dem die K&L-Filialen gehören. „Wir machen derzeit null Euro Umsatz“, sagt Inhaber Robert Schmid. „Die Frühjahrsware kommt aber inzwischen bei uns an, sie muss bezahlt, angenommen, verräumt und gepflegt werden.“Darüber hinaus muss sein Haus bereits die kommende Herbstsaison planen. Das alles kostet Geld. In den Geschäften stapeln sich aber noch Winterschuhe und -kleidungsstücke. Die Lager quellen über.
Eigentlich hat der Staat Hilfen versprochen, diese kommen aber im Handel anscheinend kaum an. „Ich habe bisher keinen Euro staatliche Unterstützung erhalten“, beschreibt Schmid die Situation. Ferstl vom Modehaus Jung hat bisher die Soforthilfe aus dem Frühjahr 2020 bekommen. Die Überbrückungshilfen für Oktober, November und Dezember 2020 sind beantragt. „Die Hilfen federn die Probleme ab, sind aber nur ein kleiner Beitrag“, sagt er. „Im bayerischen EinzelhanZudem del kommen die Hilfen nur schleppend oder gar nicht an“, bestätigt Verbandschef Puff.
Die Bundesregierung will jetzt nachsteuern. Die Pläne vom Dienstag sehen vor, im besonders betroffenen Einzelhandel die Abschreibungen auf nicht verkäufliche Saisonware bei den Fixkosten zu berücksichtigen. Der Bund will auch die Zugangsvoraussetzungen zu den Hilfen vereinfachen und die Förderhöchstbeträge anheben. Zudem will die Regierung die Abschlagszahlungen erhöhen und selbst auszahlen. Wolfgang Puff hofft, dass das Geld diesmal ankommt: „Die Situation ist bisher absolut unbefriedigend“, sagt er. Längst fürchtet man in der Branche eine Insolvenzwelle.
Bereits vor der Corona-Krise stand die Branche unter Druck, vor allem durch den Online-Boom. Händler Robert Schmid glaubt aber fest an den stationären Handel, an Beratung und den Service vor Ort, zum Beispiel bei Kinderschuhen. Hier hat sich sein Haus besondere Expertise erarbeitet. Vieles wäre leichter, wenn es gleiche Marktbedingungen gäbe, argumentiert er. Drei Dinge müssten sich ändern: „Internationale Konzerne wie Amazon werden mit billigem Kapital überschüttet, zahlen Steuern aber im Ausland“, kritisiert Schmid. „Wenn Online-Händler wie Amazon oder Zalando vier Monate nichts verkaufen dürften wie wir derzeit, hätten sie auch Probleme“, sagt er.
fände er es fair, wenn es eine Abgabe auf Pakete gäbe: „Eine Nutzungsgebühr von einem Euro pro Paket für die Infrastruktur, die der deutsche Steuerzahler finanziert, wäre nicht viel, würde aber beitragen, den Lieferverkehr zu senken.“Schließlich wünscht er sich, sonntags öffnen zu dürfen. „Der OnlineHandel macht sonntags große Umsätze, wenn auch wir die Geschäfte aufsperren könnten, hätte der stationäre Handel kein Problem mehr.“
Ein Ladensterben würde die Innenstädte stark verändern. Die Händler wollen deshalb schnell öffnen. „Sobald es das Infektionsgeschehen zulässt“, sagt Handelsverbandschef Puff. Je schneller die Menschen geimpft werden, desto besser sei es für das Wirtschaftsleben. „Am besten sofort“, sagt Unternehmer Robert Schmid. „Mit den sicheren FFP2-Masken kann man das Infektionsgeschehen praktisch auf null bringen. Je größer die Handelsflächen, desto mehr Abstand ist zwischen den Menschen da“, sagt er. „Es müssen dann auch nicht alle beim Abholen der Pakete in der Post-Station Schlange stehen und den gleichen Kugelschreiber in die Hand nehmen, der dort am Bändchen hängt.“
Im Modehaus Jung hat Alexander Ferstl das Wintergeschäft fast abgeschrieben. Fast 120 Jahre ist das Modehaus inzwischen alt, geschlossen war es mit Ausnahme der Weltkriege noch nie. Ferstls Devise: „Positiv denken – wir werden auch diese Krise überstehen.“Bald werden die Mitarbeiter die Frühjahrsmode aufstellen.
Staatliche Hilfe kam bisher kaum an