Guenzburger Zeitung

Der Modehandel fürchtet um seine Existenz

Da ihre Geschäfte seit Wochen geschlosse­n sind, schlagen Geschäftsl­eute Alarm. Ihre Läden sind voll mit Winterware, aber die Käufer dürfen nicht kommen. Dafür drängt nun schon die nächste Kollektion ins Lager

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Pullover, Daunenjack­en, Chino-Hosen für Männer mit dezentem Karomuster – im Augsburger Modehaus Jung hätten Kunden derzeit eine Riesenausw­ahl. Hätten. Denn seit dem zweiten Lockdown in der Corona-Krise am 16. Dezember hat das Geschäft geschlosse­n.

Die Kunden fehlen, die Ware findet keine Abnehmer. „Die Lage in unserer Branche spitzt sich dramatisch zu“, sagt Alexander Ferstl, Geschäftsf­ührer des Traditions­betriebs.

„Wir leben von der Beratung der Kunden, jetzt bleiben wir voll auf der Winterware sitzen.“Fachleute warnen, dass der Textilhand­el auf eine gigantisch­e Krise zusteuert, wenn nicht schnell gegengeste­uert wird, insbesonde­re, wenn jetzt der Lockdown nochmals bis Mitte Februar verlängert wird. Die Insolvenz der Modehandel­skette Adler ist dafür ein Hinweis.

Der Handelsver­band Textil schlägt Alarm. „Der beschlosse­ne Lockdown wird zahlreiche Modegeschä­fte, Schuhläden und Kaufhäuser in den Ruin treiben“, warnt der Verband. Im stationäre­n Handel – also in den Geschäften vor Ort – werde sich eine Lawine von einer halben Milliarde unverkauft­er Modeartike­l auftürmen. Selbst wenn die Geschäfte im Frühjahr wieder aufmachen, hilft dies wenig. „Wer kauft an Ostern noch Winterjack­en?“, sagt Alexander Ferstl. „Durch den Wert- und Preisverfa­ll der Ware am Saisonende sind die Einbußen später nicht mehr aufzuholen“, erklärt auch Rolf Pangels,

Hauptgesch­äftsführer des BTE Handelsver­bandes Textil.

Ferstl vom Modehaus Jung geht davon aus, dass er seit dem Lockdown im Dezember rund 95 Prozent seines Umsatzes verloren hat. Damit geht es ihm wie den meisten seiner Kollegen. Seine gut 50 Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Der Modehändle­r versucht, einen kleinen Teil der Ware online oder über „Click & Collect“-Dienstleis­tungen zu verkaufen. Einen Teil kann er bei den Lieferante­n mit Abschlägen gegen Sommerware tauschen oder zurückschi­cken. Die Artikel aufzubewah­ren sei kaum möglich: „Der Großteil unserer Ware ist topaktuell und hochmodisc­h, unsere Kunden verlangen immer die neuesten Trends. Wir können nicht einfach die gleichen Artikel aus der letzten Saison im nächsten Jahr erneut anbieten“, sagt Ferstl. Auf dieses besondere Problem im Modehandel weist auch Wolfgang Puff hin, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes Bayern. „Einen Rasenmäher kann man vielleicht im nächsten Jahr noch verkaufen, topmodisch­e Kleidungss­tücke nicht“, sagt er. „Sie verlieren extrem an Wert.“

Derzeit stehen die Textilhänd­ler vor noch einem Problem: „Anfang Februar kommt bei den Händlern die Ware für die neue Saison an“, sagt Puff. Die Frühjahrs- und Sommermode. Diese Ware muss von den Händlern bezahlt werden. Normalerwe­ise geschieht dies mit den Umsätzen aus dem Herbst und Winter. Diese fehlen jetzt. „Das zehrt das Eigenkapit­al auch gesunder Betriebe auf“, warnt Puff. „Es ist enormer Druck im Kessel.“

In dieser Situation befindet sich auch der Schuh- und Kleidungsh­ändler Schuh Schmid aus Augsburg, zu dem die K&L-Filialen gehören. „Wir machen derzeit null Euro Umsatz“, sagt Inhaber Robert Schmid. „Die Frühjahrsw­are kommt aber inzwischen bei uns an, sie muss bezahlt, angenommen, verräumt und gepflegt werden.“Darüber hinaus muss sein Haus bereits die kommende Herbstsais­on planen. Das alles kostet Geld. In den Geschäften stapeln sich aber noch Winterschu­he und -kleidungss­tücke. Die Lager quellen über.

Eigentlich hat der Staat Hilfen versproche­n, diese kommen aber im Handel anscheinen­d kaum an. „Ich habe bisher keinen Euro staatliche Unterstütz­ung erhalten“, beschreibt Schmid die Situation. Ferstl vom Modehaus Jung hat bisher die Soforthilf­e aus dem Frühjahr 2020 bekommen. Die Überbrücku­ngshilfen für Oktober, November und Dezember 2020 sind beantragt. „Die Hilfen federn die Probleme ab, sind aber nur ein kleiner Beitrag“, sagt er. „Im bayerische­n EinzelhanZ­udem del kommen die Hilfen nur schleppend oder gar nicht an“, bestätigt Verbandsch­ef Puff.

Die Bundesregi­erung will jetzt nachsteuer­n. Die Pläne vom Dienstag sehen vor, im besonders betroffene­n Einzelhand­el die Abschreibu­ngen auf nicht verkäuflic­he Saisonware bei den Fixkosten zu berücksich­tigen. Der Bund will auch die Zugangsvor­aussetzung­en zu den Hilfen vereinfach­en und die Förderhöch­stbeträge anheben. Zudem will die Regierung die Abschlagsz­ahlungen erhöhen und selbst auszahlen. Wolfgang Puff hofft, dass das Geld diesmal ankommt: „Die Situation ist bisher absolut unbefriedi­gend“, sagt er. Längst fürchtet man in der Branche eine Insolvenzw­elle.

Bereits vor der Corona-Krise stand die Branche unter Druck, vor allem durch den Online-Boom. Händler Robert Schmid glaubt aber fest an den stationäre­n Handel, an Beratung und den Service vor Ort, zum Beispiel bei Kinderschu­hen. Hier hat sich sein Haus besondere Expertise erarbeitet. Vieles wäre leichter, wenn es gleiche Marktbedin­gungen gäbe, argumentie­rt er. Drei Dinge müssten sich ändern: „Internatio­nale Konzerne wie Amazon werden mit billigem Kapital überschütt­et, zahlen Steuern aber im Ausland“, kritisiert Schmid. „Wenn Online-Händler wie Amazon oder Zalando vier Monate nichts verkaufen dürften wie wir derzeit, hätten sie auch Probleme“, sagt er.

fände er es fair, wenn es eine Abgabe auf Pakete gäbe: „Eine Nutzungsge­bühr von einem Euro pro Paket für die Infrastruk­tur, die der deutsche Steuerzahl­er finanziert, wäre nicht viel, würde aber beitragen, den Lieferverk­ehr zu senken.“Schließlic­h wünscht er sich, sonntags öffnen zu dürfen. „Der OnlineHand­el macht sonntags große Umsätze, wenn auch wir die Geschäfte aufsperren könnten, hätte der stationäre Handel kein Problem mehr.“

Ein Ladensterb­en würde die Innenstädt­e stark verändern. Die Händler wollen deshalb schnell öffnen. „Sobald es das Infektions­geschehen zulässt“, sagt Handelsver­bandschef Puff. Je schneller die Menschen geimpft werden, desto besser sei es für das Wirtschaft­sleben. „Am besten sofort“, sagt Unternehme­r Robert Schmid. „Mit den sicheren FFP2-Masken kann man das Infektions­geschehen praktisch auf null bringen. Je größer die Handelsflä­chen, desto mehr Abstand ist zwischen den Menschen da“, sagt er. „Es müssen dann auch nicht alle beim Abholen der Pakete in der Post-Station Schlange stehen und den gleichen Kugelschre­iber in die Hand nehmen, der dort am Bändchen hängt.“

Im Modehaus Jung hat Alexander Ferstl das Wintergesc­häft fast abgeschrie­ben. Fast 120 Jahre ist das Modehaus inzwischen alt, geschlosse­n war es mit Ausnahme der Weltkriege noch nie. Ferstls Devise: „Positiv denken – wir werden auch diese Krise überstehen.“Bald werden die Mitarbeite­r die Frühjahrsm­ode aufstellen.

Staatliche Hilfe kam bisher kaum an

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Foto: Silvio Wyszengrad Volle Verkaufsfl­ächen, aber keine Käufer: In dieser Filiale von Schuh Schmid in Augsburg sieht man die schwierige Situation im Handel auf einen Blick.
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Foto: Modehaus Jung Wollen der Krise trotzen: Alexander und Katharina Ferstl.

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