Sie war der eigentliche Star der Amtseinführung in den USA
Porträt Bei der Amtseinführung von Joe Biden berührte Lyrikerin Amanda Gorman die Zuschauer. Die 22-Jährige träumt davon, selbst einmal US-Präsidentin zu werden
Vor zwei Wochen war Amanda Gorman an einem Tiefpunkt. Die 22-jährige Dichterin hatte kurz zuvor den Auftrag bekommen, einen Text für die Amtseinführung des US-Präsidenten zu verfassen. Eine Mammutaufgabe, der sie sich zwischenzeitlich nicht gewachsen fühlte. Jeden Tag schrieb sie ein paar Zeilen, die Arbeit ging nur langsam voran.
Bis zum 6. Januar, dem Tag, an dem Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump das Kapitol in Washington stürmten. Gorman sah sich die Fernsehbilder an – und plötzlich konnte sie nicht mehr aufhören zu schreiben. In dieser Nacht vollendete sie ihren Text „The Hill We Climb“(„Der Hügel, den wir erklimmen“), den sie bei der Amtseinführung vor Millionen Zuschauern vorgetragen hat – und der sie innerhalb von Minuten weltberühmt machte.
Im zitronengelben Mantel und mit rotem Haarband trat Gorman ans Mikrofon, rezitierte mit fester Stimme, einige Sätze unterstrich sie mit zarten und doch kraftvollen Handbewegungen. In ihrem Text geht es um die USA, die schweren Zeiten, die das Land durchstehen muss, und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf Versöhnung und Einigkeit. Gorman erwähnt den Sturm auf das Kapitol und sie erwähnt auch sich selbst: Ein „dünnes, schwarzes Mädchen“mit einer alleinerziehenden Mutter, das mit dem Traum aufgewachsen ist, einmal Präsidentin werden zu können.
Es ist kein Gedicht im klassischen Sinne, eher eine sprachgewaltige Performance, die in
Text und Form nicht nur zufällig an das Erfolgs-Musical „Hamilton“erinnert. In zwei Passagen nimmt Gorman direkt Bezug zu dem gefeierten Werk über Alexander Hamilton, einen der Gründerväter der USA. Für ihren Auftritt bekam Gorman von vielen Seiten begeistertes Lob. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama nannte ihren Text via Twitter „ein Gedicht, das mehr als nur den Moment traf“. Oprah Winfrey notierte, sie sei noch nie stolzer gewesen, den Aufstieg einer jungen Frau zu beobachten. Von Winfrey hatte Gorman auch den Ring geschenkt bekommen, den sie trug: Das Schmuckstück zeigt einen Vogel im Käfig und erinnerte an die Schriftstellerin Maya Angelou, die bei der Amtseinführung von Bill Clinton gesprochen hatte.
Dass Gorman, die in Harvard Soziologie studiert hat, großes Talent besitzt, hat sich in der Vergangenheit schon öfter gezeigt. Einen derart kometenhaften Aufstieg hätte der Lyrikerin wohl dennoch niemand vorhergesagt. Der Auftritt nun war Gormans allererster Fernsehauftritt überhaupt, ihre Bücher können bisher nur vorbestellt werden. Die Zahl ihrer Fans auf Twitter stieg innerhalb von Stunden von 50 000 auf über eine Million.
Alles erreicht hat die in Los Angeles geborene Gorman aus ihrer Sicht aber noch lange nicht. 2036 will sie für die Präsidentschaft kandidieren. „Sie können das schon mal in Ihren Kalender eintragen“, hat sie 2017 gesagt. Und auf die Frage eines CNNReporters nach ihren Ambitionen kommentierte sie nun erneut: „Madame President Gorman, das klingt gut!“Sarah Schierack