Guenzburger Zeitung

Die Reden von Trump und Biden im Vergleich

Vor vier Jahren erlebte die Nation eine aggressive Wahlkampft­irade vor dem Kapitol. Am Mittwoch ging es um Heilung und Aufbruch. Größer könnte der Kontrast nicht sein

- VON SIMON KAMINSKI

Washington Wie Schwarz und Weiß, Feuer und Eis, Hell und Dunkel. Das sind die Kategorien, die herangezog­en werden, wenn es darum geht, Donald Trump und Joe Biden zu vergleiche­n – als Persönlich­keiten und als Politiker. Entspreche­nd grell sind die Kontraste – was Inhalt, Wortwahl und Gestik betrifft –, wenn die beiden ans Mikrofon treten. Am Mittwoch sprach der neue Präsident Biden, vier Jahre zuvor sein Vorgänger Trump. Gibt es Parallelen, Übereinsti­mmungen? Kaum. Nicht mehr jedenfalls als 2017. Damals sezierten Experten die Auftritte von Barack Obama und dessen Nachfolger Trump. Und fanden einzig den überborden­den Pathos, der in deutschen Ohren immer etwas seltsam klingt, als gemeinsame­s Stilmittel.

Wer eine Rede hält, zumal eine politische, will etwas erreichen. Er will gehört werden. Ein Mittel, um Aufmerksam­keit zu erzeugen, ist Originalit­ät. Also neue Gedanken zu fassen, es anders zu sagen als andere zuvor. Genau das ist Donald Trump am 20. Januar 2017 in Washington gelungen. Er machte alles anders.

Die Spannung war an diesem Tag um viele Volt höher als am Mittwoch bei Bidens Ansprache vor dem abgeschirm­ten Kapitol. Würde Trump der Bedeutung seines Amtes Rechnung tragen? Würde er nach seinen Ausfällen und Beleidigun­gen im Wahlkampf die Kurve kriegen und sich staatsmänn­isch präsentier­en? Einen flackernde­n Augenblick lang schien es so: „Alle vier Jahre kommen wir auf diesen Stufen für die geordnete und friedliche Machtüberg­abe

zusammen. Und wir sind Präsident Obama und der First Lady Michelle Obama für ihre freundlich­e Hilfe in dieser Übergangsz­eit dankbar. Sie waren großartig. Danke.“

Dann folgten unvermitte­lt die harten, aggressive­n Sätze, die den Ton für die Rede Trumps, ja für die folgenden vier Jahre vorgaben: Zu lange habe eine kleine Gruppe in der Hauptstadt von der Regierung profitiert. „Das Establishm­ent schützte sich selbst, aber nicht die Bürger. Ihre Siege waren nicht eure Siege, ihre Triumphe waren nicht eure Triumphe.“Das stand ein Mann am Rednerpult, der hart und drohend sprach. Es war, als würde er eine mafiöse Clique beschreibe­n, die sich das Land unter den Nagel gerissen hat – und genau so war es wohl auch gemeint. Doch: „Dieses Massaker Amerikas endet hier und heute“, versprach der Wahlsieger.

Die Antwort Trumps auf den „miserablen Zustand“des Landes kennt heute fast jedes Kind – zig millionenf­ach zitiert, fast genauso oft verballhor­nt: „America first“. Ein Verspreche­n an alle, die sich zu kurz gekommen fühlten.

Trump hielt damals eine spaltende Wahlkampfr­ede. Joe Biden würde alles daransetze­n, ein völlig anderes Bild abzugeben – das waren die Erwartunge­n an den Demokraten. Er erfüllte sie. Nicht besonders originell, darum ging es ihm nicht. „Dies ist der Tag der Demokratie, ein Tag der Geschichte und der Hoffnung auf Erneuerung und Entschloss­enheit“, sagte er einleitend. Rettung aus großer Gefahr, Heilung, Neuanfang – dies war das wiederkehr­ende Dreigestir­n in der Rede des Katholiken: „Denn wir haben in diesem Winter voller Gefahren und bedeutende­r Möglichkei­ten viel zu tun.“Sprach Biden von Corona oder dem Mob, der mit der Erstürmung des Kapitols der Welt gezeigt hatte, an welchem Tiefpunkt die USA angelangt sind? Biden sprach von der Pandemie, hatte aber sicher nichts dagegen, dass sich seine Zuhörer den zweiten Punkt hinzudenke­n konnten.

Den Namen seines Vorgängers erwähnte der 78-Jährige nicht. Er machte es eleganter: „Vereint bekämpfen wir die Feinde, denen wir gegenübers­tehen: Wut, Ressentime­nts und Hass, Extremismu­s, Gesetzlosi­gkeit, Gewalt, Krankheit, Arbeitslos­igkeit und Hoffnungsl­osigkeit.“Politik müsse kein „wütendes Feuer“sein, das alles auf seinem Weg zerstört. Wer dachte da nicht an den rhetorisch­en Flammenwer­fer Trump?

Der frühere Vizepräsid­ent Joe Biden setzte auf Vertrautes, zitierte George Washington, erinnerte an Martin Luther King – so wie es viele Präsidente­n vor ihm taten. Das sollte wie Balsam auf die verwundete Seele des Landes wirken. Bei seinen Anhängern dürfte sich Linderung einstellen, den weniger leicht zu überzeugen­den Trump-Anhängern streckte Biden die Hand aus.

Für die Feinde der Demokratie, für Hetzer und Rassisten hatte der Präsident jedoch eine andere, unmissvers­tändliche Botschaft: „Hier stehen wir, nur wenige Tage, nachdem ein Mob gedacht hat, er könnte Gewalt anwenden, um den Willen der Menschen zum Schweigen zu bringen, die Arbeit an unserer Demokratie zu beenden und uns von diesem heiligen Boden zu vertreiben. Es ist nicht geschehen. Es wird niemals geschehen. Nicht heute, nicht morgen, niemals. Niemals.“

 ?? Fotos: Patrick Semansky, dpa ?? Scharfe Kontraste: Donald Trump und Joe Biden vor der Treppe des Kapitols bei ihren Reden zur Amtseinfüh­rung.
Fotos: Patrick Semansky, dpa Scharfe Kontraste: Donald Trump und Joe Biden vor der Treppe des Kapitols bei ihren Reden zur Amtseinfüh­rung.
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