Guenzburger Zeitung

Nawalny bleibt eine Gefahr für Putin

Mit einem brisanten Film attackiert der inhaftiert­e Kremlgegne­r den Präsidente­n

- VON INNA HARTWICH

Moskau Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Laufe der Zeit viele Bezeichnun­gen für Alexej Nawalny gefunden. Mal ist dieser ein „einfacher Blogger“, dann „ein bekannter Angeklagte­r“oder „der Berliner Patient“. Den Namen seines größten Widersache­rs nimmt der 68-Jährige nie in den Mund. Als würde sich mit dem Ausspreche­n der wenigen Buchstaben ein böser Zauber über den Präsidente­n, ja über das Land legen und Putin sich diesem Zauber stellen müssen.

Stattdesse­n tut der Kreml so, als sei Nawalny, den man wohl als den zweitwicht­igsten Politiker in Russland bezeichnen kann, ein Niemand. Die Methode bewirkt das Gegenteil: Das demonstrat­ive Ignorieren des 44-Jährigen zeigt erst, wie wichtig der Kreml Nawalny nimmt. Unfreiwill­ig hat das System Putin aus Nawalny das gemacht, was er dem Opposition­spolitiker

mit aller Kraft abspricht: eine Gefahr für den Kreml.

Der Machtappar­at sieht in Nawalny einen nationalen Verräter und spricht ihm jegliches Recht ab, als Politiker zu agieren. Längst allerdings ist das System mit Parteien, Wahlen und offenen Diskussion­en tot in Russland. Nawalny kämpft mit unorthodox­en Mitteln und greift die Führung vehement an. Der Machtappar­at fühlt sich bedroht. Also handelt der Kreml nach dem Grundsatz: unterdrück­en und leugnen. Als „absoluten Blödsinn“bezeichnet­e der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die Vorwürfe, Putin habe Angst vor Nawalny. Der Mann sei ein russischer Bürger, der die Gesetze nicht befolge, mit dem Präsidente­n habe das Handeln der Justiz gegen den Zurückgeke­hrten nichts zu tun.

Am 29. Januar sollte ein Gericht darüber entscheide­n, ob Nawalny gegen Bewährungs­auflagen verstoßen habe. Doch kaum war Nawalny nach Moskau zurückgeke­hrt, landete er im Gefängnis. Am Tag darauf verurteilt­e ihn ein Gericht direkt auf der Polizeiwac­he zu 30 Tagen Arrest. „Eine politische Entscheidu­ng“nennt das der Moskauer Anwalt Alchas Abgadschaw­a – all die Ereignisse rund um Nawalnys Ankunft, seine Festnahme, seine Verhandlun­g würden schließlic­h russische Gesetze verletzen. Selbst die geforderte Umwandlung seiner Bewährung in eine reale Strafe halte der Sache an sich nicht stand. „Aber er wird dennoch höchstwahr­scheinlich verurteilt werden“, meint Abgadschaw­a.

Seit Jahren kämpft Nawalny dafür, die Dinge beim Namen nennen zu dürfen. Er überschrei­tet Grenzen, die das autoritäre System Putin der russischen Gesellscha­ft setzt. Die Reaktion des Staates: ebenfalls Grenzübers­chreitunge­n – mit Drohungen, einem Mordversuc­h und Gefängnis. Nawalny sagt: „Ich habe keine Angst“und wird allein durch seine Furchtlosi­gkeit zur Gefahr für ein System, das sich seiner Stabilität rühmt.

Der selbstbewu­sste Moskauer Nawalny – mehr als zwei Jahrzehnte jünger als Putin – deckt Korruption auf, zeigt mit Enthüllung­svideos, wie sich die politische Elite auf Kosten ihres Volkes bereichert, wie sie kritische Geister mit Gesetzen zu ausländisc­hen Agenten macht, selbst aber ein westliches Leben lebt – und legt so Heuchelei der „Macht“offen. Das bringt ihm Sympathien ein. Anerkennun­g, die ihm allerdings noch nicht das Vertrauen der breiten Massen einbrachte.

In Nawalnys neuem Film – dem fast zweistündi­gen Werk „Ein Palast für Putin. Geschichte der größten Bestechung“– greift er den Präsidente­n zum ersten Mal direkt an. Innerhalb eines Tages klickten 25 Millionen YouTube-Nutzer das Video an. Mit dem Film will Nawalnys Team für die Freiheit des Opposition­spolitiker­s kämpfen und auch die für diesen Samstag angekündig­ten Proteste befeuern, zu denen Nawalny aus der Polizeiwac­he heraus aufgerufen hatte.

Der Kampf auf der Straße dürfte noch schwerer werden, als er ohnehin immer war. Wegen der CoronaPand­emie ist jegliche Massenansa­mmlung verboten, viele im Land sind wegen der wirtschaft­lichen Lage mit dem eigenen Überleben beschäftig­t. Gleichgült­igkeit hat sich längst breitgemac­ht, die TVPropagan­da von „ausländisc­her Einmischun­g“zeigt Wirkung. Umfragen unabhängig­er Institute zeigen, dass die Mehrheit der Menschen in Russland die Vergiftung Nawalnys für eine Inszenieru­ng halten. Und selbst wenn sie den Staat dahinter vermuten, nehmen sie das hin. „Psychologi­sch ist das gut zu erklären“, sagt der Politologe Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum: „Die Menschen

Die Methode Ignorieren geht nach hinten los

Für Samstag hat Nawalny zu Protesten aufgerufen

müssen weiterhin mit und in diesem Staat leben, alles Negative schieben sie weit von sich.“

Nawalny und seine Mitstreite­r wollen sich mit dieser Situation jedoch nicht abfinden. Der Jurist setzt bei seinem Kampf gegen die Elite auf die moralische Karte, mehr hat er Putins Macht- und Gewaltmono­pol nicht entgegenzu­setzen. Diese Option hätte er eingebüßt, wäre er in Deutschlan­d geblieben. Das Risiko, erneut seine Freiheit zu verlieren, nahm Nawalny bewusst in Kauf, um dem Regime keine Ruhe zu lassen. „Die Bösewichte im Kreml“, schreibt er bei Instagram, teilten die Menschen in Russland in drei Kategorien ein: die Trottel, die, die alles verstehen, aber schweigen, und die, die sich weigern zu schweigen und kämpfen, so gut sie können. Er selbst versuche, mit aller Kraft in der dritten Kategorie zu bleiben. Das System aber mag keinen, der laut ist.

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Foto: Navalny Life/dpa Das Bild aus einem von Nawalny produziert­en YouTube‰Video „Ein Palast für Putin“zeigt ein Anwesen an der Schwarzmee­rküste.

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