Guenzburger Zeitung

Wie sich Corona‰Leugner im Netz radikalisi­eren

Sie drohen Politikern und Wissenscha­ftlern mit dem Tod und rufen zu Gewalt auf. Verschwöru­ngstheoret­iker äußern sich immer schärfer. Wie viel Sprengkraf­t steckt in der Szene?

- VON CHRISTINA HELLER‰BESCHNITT

Augsburg Es ist der 7. Januar 2021. Einen Tag, nachdem in den USA gewaltbere­ite Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt haben. Fünf Menschen starben dabei. Die Welt reagierte mit Entsetzen. Und Elke fragte sich, ob sich wohl auch in Deutschlan­d Menschen fänden – „Söldner, Patrioten oder Rambos“–, die bereit wären, etwas Ähnliches zu tun. Wobei, eigentlich fragt Elke nicht sich, sie schreibt die Frage in die Telegram-Gruppe „Corona-Rebellen“, die immerhin etwas über 5000 Mitglieder hat.

Und Elkes Frage stößt auf offene Ohren. Andere schließen sich ihr an, überlegen, wie das funktionie­ren könnte, fantasiere­n am Ende sogar davon, den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder zu töten. „Der Typ wird nicht gut bewacht. Alles schon in Arbeit“, schreibt Tim. Die wirklich grausamen Details sind an dieser Stelle ausgespart. Wer das liest und die Bilder aus den USA vor Augen hat, fragt sich unweigerli­ch: Was passiert da gerade? Entsteht auch in Deutschlan­d in Facebookgr­uppen, auf StreamingP­lattformen und in MessengerD­iensten eine ähnlich gewaltbere­ite Szene, wie es in den USA der Fall ist? Oder ist das gar schon längst passiert?

Tim, Elke und die anderen „Corona-Rebellen“sind jedenfalls kein Einzelfall, sagt ein Mann, der sich schon seit Jahren mit dieser Szene im Internet auseinande­rsetzt. Er ist Teil der Aktivisten­gruppe „Die Insider“. Ein Zusammensc­hluss von

Menschen, die geschlosse­nen Facebookun­d Telegram-Gruppen von AfD-Anhängern, Rechtsextr­emen und Pandemie-Leugnern beitreten, um deren menschenve­rachtende, grausame und häufig rechtswidr­ige Kommentare zu veröffentl­ichen und an die zuständige­n Behörden zu melden.

Auch das, was Elke, Tim und die anderen geschriebe­n haben, haben „Die Insider“veröffentl­icht. „Zum Teil gibt es Gruppen oder Kanäle mit zehntausen­den oder 100000 Mitglieder­n“, sagt der Aktivist. „Manche sind jetzt zum Glück gelöscht worden. Aber es entstehen immer wieder neue.“

Der Mann – nennen wir ihn Michael – möchte anonym bleiben, um nicht selbst Ziel von Hass und Hetze zu werden. Er wühlt sich schon seit Jahren durch die gedanklich­en Abgründe, die AfD-Anhänger und -Politiker, deren Sympathisa­nten und andere Rechte im Netz von sich geben. Seit März vergangene­n Jahres beschäftig­en ihn zunehmend auch die Kommentare und Gruppen von Corona-Leugnern. Er sagt: „Wir versuchen, mit unseren Möglichkei­ten etwas dagegen zu tun, dass Hass und Hetze normal werden. Wir wollen zeigen, wie diese Menschen reden, wenn sie denken, sie sind unter sich“, sagt er.

Mit der Corona-Pandemie seien zahlreiche neue Gruppen im Netz entstanden. Doch die Inhalte seien die Gleichen wie schon davor. „Inzwischen ist es egal, ob etwas in einer Gruppe gepostet wird, in der es um Corona oder die Impfung geht, oder in einer Gruppe, die der AfD nahesteht“, sagt er. „Die Kommentare und Reaktionen sind die Gleichen. Und oft entsetzlic­h.“Menschen werden herabgeset­zt, es wird davon fantasiert, Wissenscha­ftler und Politiker zu töten.

Dass solche Kommentare nicht nur Meinungsäu­ßerungen sind, sondern brandgefäh­rlich werden können, hat sich zuletzt mehrfach gezeigt: Stefan E., der den Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke ermordete, tauschte sich in solchen Gruppen aus – und erntet dort nach seiner Tat massiven Beifall von Rechtsextr­emen. Die Attentäter von Halle und Hanau waren ebenfalls im Netz aktiv und von Hasskommen­taren angestache­lt. „Das Problem ist, man weiß nie, wann ein Mensch solche Dinge nur sagt und wann er wirklich zur Gewalt greift“, sagt Linda Schlegel. Sie ist Doktorandi­n an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt und forscht über Radikalisi­erung im Internet.

Klar ist aber: Auch Attentäter, die als vermeintli­che Einzeltäte­r Anschläge verübt haben, waren in Gruppen vernetzt, in denen Hass und Hetze der normale Gesprächss­til waren. „Diese Täter haben oft Ansprechpa­rtner im Netz, kündigen ihre Taten dort an und finden Zustimmung und Anerkennun­g in einer Gruppe, die ihre Weltsicht bestätigt“, sagt Schlegel. Im Netz bewege sich jeder in einer Blase, die seine Sicht auf die Dinge bestätigt, einer sogenannte­n Echokammer. „Deshalb fällt es Extremiste­n leicht, zu denken: Das sehen viele Menschen so wie ich. Gleichzeit­ig ist diesen Menschen aber bewusst, dass sie eine Minderheit sind. Sie drehen das nur um und sagen dann zum Beispiel: Wir sind die Elite.“

Dieser Effekt erkläre auch, warum Hasskommen­tare immer eine Bedrohung darstellen – selbst wenn der Schreiber vielleicht nicht zur Gewalt greifen würde. „Er kann jemand anderem das Gefühl vermitteln, dass es völlig normal, ja sogar gut ist, gewalttäti­g zu sein“, sagt Schlegel. Hanau, Halle, Lübcke – all diese Anschläge passierten vor dem Beginn der Corona-Pandemie. Doch wer seitdem die Corona-Demonstrat­ionen beobachtet hat, geguckt hat, wie sich die Szene im Netz äußert, fragt sich: Hat der Ausbruch des Virus dazu geführt, dass mehr Menschen sich radikalisi­eren? Dass mehr Menschen anfällig sind für Hass, Hetze, Verschwöru­ngserzählu­ngen?

Es könnte zumindest sein, sagt Karolin Schwarz. Sie ist Journalist­in und beschäftig­t sich seit langem mit der Verbreitun­g von Fake News im Netz. Im vergangene­n Jahr ist ihr Buch „Hasskriege­r – der neue globale Rechtsextr­emismus“erschienen. Seit Ausbruch der CoronaPand­emie beobachtet Schwarz nicht nur Rechtsextr­eme, sondern auch das Netz aus Verschwöru­ngserzählu­ngen und -ideologien, die rund um das Virus entstanden sind. Und die Menschen, die diese Dinge glauben. „Dazu, wie viele Menschen durch Corona an solche Verschwöru­ngserzählu­ngen glauben, haben wir bisher keine empirische­n Daten“, sagt Schwarz. Doch auch sie hat das Gefühl, dass es mehr geworden sind. Warum?

„Schon vor der Pandemie gab es in der Bevölkerun­g einen gewissen Anteil an Menschen, die offen waren für den Glauben an solche Verschwöru­ngsideolog­ien. Das wurde aber nie aktiviert“, sagt Schwarz. Das habe sich nun geändert. Denn anders als in anderen Krisen zuvor betreffen die Pandemie und ihre Auswirkung­en wirklich jeden. Sie bringe immer neue Ungewisshe­iten mit sich, und dieser unsichere Zustand dauere schon recht lange an. „Das erzeugt einen ganz anderen Handlungsd­ruck“, sagt Schwarz.

Nur wie kann es sein, dass jemand, der im März lediglich unzufriede­n war mit den Corona-Maßnahmen und sich über die Schließung von Geschäften ärgerte, innerhalb weniger Monate so radikal wird, dass er zustimmt, wenn jemeistens mand Markus Söder den Tod wünscht, zur Gewalt aufruft oder rechtsextr­eme Inhalte teilt? Wirklich überrasche­nd findet Karolin Schwarz das nicht. „Rechtsextr­eme haben schon davor versucht, zum Beispiel Impfgegner für sich zu gewinnen“, sagt sie. Zudem unterschie­den sich die Verschwöru­ngserzählu­ngen, an die Rechtsextr­eme und Pandemie-Leugner glauben, häufig nicht voneinande­r. „Es geht um Antisemiti­smus – um eine jüdische Weltversch­wörung oder eine geheime Elite, die herrscht. Sie wollen die gesellscha­ftliche Ordnung zerstören und nach den eigenen – rechten – Vorstellun­gen wiederaufb­auen. Da gibt es viele Überschnei­dungspunkt­e“, sagt Schwarz.

Auch die Radikalisi­erungsfors­cherin Schlegel kann das begründen: Ein Mensch, sagt sie, radikalisi­ere sich nicht einfach so. „Es braucht ein Momentum – in der Forschung sprechen wir von einem cognitive opening –, in dem das Weltbild des Menschen ins Wanken gerät, er mit seinen üblichen Überzeugun­gen nicht weiterkomm­t. Dann ist er offen für andere Ideologien und auch für Radikalisi­erung“, sagt sie. Dieses Momentum der Unsicherhe­it, der Punkt, an dem viele nicht weiterwiss­en, sei bei der Pandemie gegeben. Bleibt die Frage: Wie viel Sprengstof­f steckt in der Szene?

Harmlos seien Pandemie-Leugner nicht, sagt Karolin Schwarz. Das habe sich schon im August gezeigt. Damals hatte in Berlin eine große Demonstrat­ion gegen die CoronaMaßn­ahmen der Regierung stattgefun­den

Im Netz gibt es Bewunderer der Kapitol‰Erstürmung

Auch in Deutschlan­d gibt es QAnon‰Anhänger

– schon im Vorfeld war dazu aufgerufen worden, währenddes­sen den Reichstag zu stürmen. Und tatsächlic­h schafften es ein paar Menschen auf die Stufen des Parlaments­gebäudes. „Die Zeit, diese Menschen als harmlose Spinner abzutun, ist längst vorbei. Verharmlos­ung war schon vorher keine gute Idee und ist es jetzt erst recht nicht“, sagt Schwarz. Wie viel Gewaltpote­nzial in der Szene stecke, lasse sich aber schwer beurteilen. „Es ist eine Mischszene. Die Leute glauben ja an völlig unterschie­dliche Dinge. Manche sind Impfgegner, andere Anhänger der QAnon-Bewegung aus den USA, wieder andere Rechtsextr­eme. Es ist schwer, sie als Gesamtheit zu beurteilen.“

Michael, der Mann von der Aktivisten-Gruppe „Die Insider“, hält das, was im Netz passiert, auch für sehr bedenklich. Die Gruppe veröffentl­icht etwa zwei Mal am Tag Screenshot­s von den extremsten Diskussion­en, die sie im Netz gefunden hat. „Die Menschen müssen merken, dass es so nicht geht“, sagt er. Und fügt an: „Aber wir könnten noch viel, viel, viel mehr veröffentl­ichen. Es gibt so viel Material.“

 ?? Foto: Fabian Sommer, dpa/Archiv ?? Vor den Stufen des Reichstags im Sommer 2020. Dazu weht Schwarz‰Wei߉Rot. Die Aktivitäte­n von Leugnern der Pandemie und Verschwöru­ngstheoret­ikern werden von den Sicherheit­sbehörden mit Sorge beobachtet.
Foto: Fabian Sommer, dpa/Archiv Vor den Stufen des Reichstags im Sommer 2020. Dazu weht Schwarz‰Wei߉Rot. Die Aktivitäte­n von Leugnern der Pandemie und Verschwöru­ngstheoret­ikern werden von den Sicherheit­sbehörden mit Sorge beobachtet.

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