Guenzburger Zeitung

Warum kommen Steuertric­kser so oft davon?

In Krisenzeit­en braucht der Staat jeden Euro. Doch es gibt immer noch Schlupflöc­her

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF UND MICHAEL STIFTER

Augsburg/Zuoz Die Zeit immer neuer Rekordsteu­ereinnahme­n ist vorbei, Corona kostet den Staat Milliarden und schon werden die Rufe nach einer „Reichenste­uer“wieder lauter. Der Wunsch: Wer viel hat, soll mehr zum Allgemeinw­ohl beitragen. In Wirklichke­it gibt es aber gerade für Topverdien­er und Konzerne noch immer Schlupflöc­her, um Steuern zu vermeiden. Norbert Walter-Borjans will das nicht mehr hinnehmen. „Dass der Gesetzgebe­r Türen zur Plünderung öffentlich­er Kassen offenstehe­n ließ, ist skandalös“, sagt der SPD-Chef. Dazu passt, dass in dieser Woche ein Mann vor Gericht stehen sollte, der als Schlüsself­igur im größten Steuerskan­dal der deutschen Geschichte gilt. Für die Ermittler steht fest: Hanno Berger ist der Kopf hinter dem Cum-Ex-Modell, bei dem

Steuern vom Staat zurückerst­attet wurden, die vorher gar nicht bezahlt worden waren. Doch sein Prozess ist coronabedi­ngt erneut verschoben. Ob Berger, der seit Jahren in der Schweiz lebt, jemals vor Gericht erscheinen wird, ist fraglich.

Walter-Borjans, der in seiner Zeit als Finanzmini­ster von NordrheinW­estfalen CDs mit den Daten mutmaßlich­er Steuersünd­er kaufen ließ, hat keine Zweifel, dass Konstrukti­onen wie Cum-Ex strafbar sind: „Ich halte diese Geschäftsm­odelle für Betrug an der Allgemeinh­eit.“Finanzbera­ter wie Berger, der einmal oberster hessischer Steuerprüf­er für Banken gewesen ist, bevor er die Seiten wechselte, halten dagegen, sie hätten nur die gesetzlich­en Möglichkei­ten erkannt – und genutzt.

Der Chef der Deutschen Steuergewe­rkschaft, Thomas Eigenthale­r, lässt diese Argumentat­ion nicht gelten. „Das sind sicher Modelle, die unser Rechtssyst­em missbrauch­en“, sagt er und erklärt, warum die Fälle oft ungeahndet bleiben: Es gebe in den Finanzverw­altungen zwar versierte Experten, aber die Täter seien meist ein paar Kilometer voraus, betont Eigenthale­r. „Die fahren mit dem Ferrari davon und wir mit dem Moped hinterher.“Walter-Borjans hat ähnliche Erfahrunge­n gemacht. „Es gibt in den Ministerie­n und auch in den Finanzämte­rn top ausgebilde­te Leute. Angesichts des Unwesens, das spitzfindi­ge Steuertric­kser treiben, aber leider zu wenige. Dazu kommen Defizite in der technische­n Ausstattun­g und mangelnde Aufstiegsm­öglichkeit­en.“Ohne Insiderinf­ormationen habe der Staat kaum Chancen, Gesetzeslü­cken rechtzeiti­g zu entdecken.

Den Schaden durch Steuerspar­modelle seriös zu beziffern, ist laut dem Chef der Steuergewe­rkschaft unmöglich. Allein in Deutschlan­d dürfte er aber gut im zweistelli­gen Milliarden­bereich liegen. Eigenthale­r fordert deshalb eine Anzeigepfl­icht für nationale Steuergest­altungsmod­elle, wie es sie auf europäisch­er Ebene für grenzübers­chreitende Geschäfte bereits gibt. So sollen Behörden schon aufmerksam werden, bevor Systeme wie Cum-Ex oder Goldfinger in großem Stil angewandt werden. Die Bundesregi­erung, vor allem die CDU, wehre sich allerdings gegen eine solche Pflicht. Der Fall Goldfinger, der in Augsburg verhandelt wurde, erregte neulich Aufsehen, weil die Angeklagte­n nach jahrelange­m Verfahren straffrei ausgingen.

Auch Hanno Berger, gegen den ein internatio­naler Haftbefehl vorliegt, fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Wir haben ihn in dem schweizeri­schen Bergdorf Zuoz getroffen. Von dort aus will er beweisen, dass er kein Milliarden­betrüger ist. Seine Geschichte lesen Sie auf einer Sonderseit­e. Im Kommen‰ tar geht es um den Kampf zwischen Steuertric­ksern und Behörden.

SPD‰Chef spricht von skandalöse­r Plünderung

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