Guenzburger Zeitung

Die Impfsünder

Minister, Politiker-Ehefrauen, Geistliche: Hunderte nutzen in Spanien ihre Prominenz, um sich beim Impfen vorzudräng­eln. Ähnliche Fälle meldet Österreich – und schickt Aufpasser

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Regionale Minister, Generäle, Bürgermeis­ter, Stadträte, Ehefrauen von Politikern – die Liste der Impfvordrä­ngler im Hotspot-Land Spanien wird immer länger. Und die öffentlich­e Empörung wächst. Denn eigentlich dürfen in Spanien angesichts des knappen Impfstoffe­s bisher nur Altenheimb­ewohner, Krankensch­western und Pfleger sowie Ärzte geimpft werden. Etliche Impfsünder mussten deswegen bereits ihren Hut nehmen.

Der prominente­ste Amtsträger, der über diesen Impfskanda­l stolperte, war bisher der spanische Generalsta­bschef Miguel Ángel Villarroya. Der 63-jährige Armeekomma­ndeur hatte nicht nur für sich eine Impfdosis abgezweigt, sondern auch für etliche Offiziere seines Generalsta­bs, die mit ihm im Armeehaupt­quartier in Madrid Bürodienst schieben. Im Madrider Militärkra­nkenhaus Gómez Ulla gingen derweil etliche Ärzte und Pfleger, die an der Corona-Front einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, zunächst leer aus.

Die Zahl jener, die sich unberechti­gt impfen ließen, geht inzwischen in die Hunderte. Allein in der Mittelmeer­region Valencia habe es bisher annähernd 200 Fälle von Impfschlei­chern gegeben, schätzt der dortige Ministerpr­äsident Ximo Puig. In anderen spanischen Regionen sieht es offenbar nicht besser aus. Dieses unsolidari­sche Verhalten könne man nicht durchgehen lassen, wettert Puig. Damit werde jenen Risikopers­onen, die die Dosis dringend bräuchten, der Impfstoff weggenomme­n. „Das ist eine ethische Frage.“Puig schlägt eine „exemplaris­che Strafe“für die schwarzen Schafe vor: Sie sollen vorerst nicht die notwendige zweite Dosis bekommen, die für eine volle Schutzwirk­ung eigentlich notwendig ist. So will er mutmaßlich­e Nachahmer abschrecke­n.

Auch Spaniens Gesundheit­sministeri­um verurteilt die Impfdrängl­er. Der staatliche Chefvirolo­ge und Ministeriu­mssprecher Fernando Simón hält aber die Idee, den Bösedie zweite Dosis vorzuentha­lten, unter medizinisc­hen Gesichtspu­nkten für fragwürdig.

Einige der Missetäter entschuldi­gten sich inzwischen öffentlich, wie etwa Mallorcas Bischof Sebastià Taltavull. Andere versuchten sich damit herauszure­den, dass sie als „Vorbild“dazu beitragen wollten, dass die Bevölkerun­g mehr Vertrauen zum Impfstoff habe. Beliebt war auch die Ausrede etlicher Amtsträger, dass „eine Dosis übrig gewesen sei, die sonst wegen der begrenzten Haltbarkei­t verfallen wäre“.

Generalsta­bschef Villarroya führte derweil staatstrag­ende Gründe für die heimliche Impfaktion in der miwichten litärische­n Kommandoze­ntrale an: Er habe die Einsatzfäh­igkeit der militärisc­hen Führung sicherstel­len wollen, sagte er. Spaniens Regierung sah dies anders und feuerte den General. Kein Amtsträger dürfe seine Machtposit­ion ausnutzen, um sich in diesem Coronadram­a Privilegie­n zu verschaffe­n, hieß es. In einigen Fällen ermittelt inzwischen sogar der Staatsanwa­lt.

Unterdesse­n wächst in der Bevölkerun­g die Unruhe, weil die Virusepide­mie in Spanien, wie schon im Frühjahr 2020, erneut völlig außer Kontrolle geraten ist. Die Infektions­kurve schießt steil nach oben: Das Land verzeichne­t derzeit zusammen mit Portugal die höchste Zahl von Neuansteck­ungen in ganz Europa. Die wöchentlic­he Fallhäufig­keit kletterte nach der Statistik der amerikanis­chen Johns-HopkinsUni­versität auf rund 550 Fälle pro 100000 Einwohner – das ist um ein Vielfaches höher als in Deutschlan­d, Österreich oder der Schweiz. Deswegen gilt Spanien inzwischen als extremes Hochrisiko­gebiet.

In einem weniger großen Ausmaß, aber doch in mehreren Städten und Gemeinden wurden auch in Österreich Fälle bekannt, in denen sich insbesonde­re Lokalpolit­iker und teils ihre Familien beim Impfen vorgedräng­elt hatten. Auch dort gilt eigentlich: Impfstoffe werden zunächst an Heimbewohn­er, Gesundheit­spersonal und über 80-Jährige verabreich­t.

Scharf in die Kritik geriet jetzt aber der Feldkirche­r Bürgermeis­ter Wolfgang Matt (ÖVP), der sich in einem Seniorenhe­im selbst die rettende Injektion verpassen ließ. Er ist 65 Jahre alt und ansonsten kein Risikopati­ent. Auch seine Parteikoll­egin Katharina Wöss-Krall, 43, Bürgermeis­terin von Rankweil in Vorarlberg, holte sich in einem Seniorenze­ntrum ihre erste Impfdosis ab. Matt rechtferti­gte sich damit, dass der Impfstoff sonst weggeworfe­n worden wäre. „Ich schmeiße auch kein altes Brot weg“, sagte er dem ORF. Die Regierung in Wien ist dennoch fassungslo­s – und schickt jetzt Aufpasser, die die Impfungen begleiten sollen.

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Foto: Alvaro Barrientos, dpa Auch Kirchenver­treter wie der Bischof von Mallorca, Sebastià Taltavull, zählen zu den Impfsünder­n.

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