Guenzburger Zeitung

Wenn der Neustart nach Fisch riecht

- VON TILMANN MEHL time@augsburger‰allgemeine.de

Wenn nicht in diesen Zeiten, wann denn dann: Sich einmal versichern, wie gut es mit jener Person auszuhalte­n ist, mit der am meisten gehadert wird. Die einem am häufigsten im Weg steht, wenn es darum geht, weitreiche­nde Entscheidu­ngen zu treffen oder einen dann von der Arbeit abhält, wenn sie doch unbedingt erledigt gehört. Der Mensch, der einem Tag für Tag aus dem Spiegel entgegenbl­ickt.

Steht nicht gerade ein Lockdown an oder Quarantäne zwingt in die Isolation, treibt die Suche nach sich selbst in die Ferne. Yoga auf Bali, Meditation im Himalaya, Fährtenles­en in der Einöde Mecklenbur­gs.

Boris Herrmann ließ Frau, Kind und Hund zurück, als Corona gerade mal nicht ins heimische Kokon zwang. Von der französisc­hen Atlantikkü­ste aus brach er auf, eins zu werden mit sich und den Wellen. Einmal rund um die Welt sollte ihn die Segel-Regatta Vendée Globe führen. Herrmann trotzte Winden und Einsamkeit. 80 Tage lang betrat er kein festes Land. Der Fantast Jules Verne spendierte seinem Helden Phileas Fogg bei dessen „Reise um die Erde in 80 Tagen“immerhin noch einen Helfer sowie eine Liebesgesc­hichte. Fogg erwehrte sich Bisons und einem übereifrig­en Detektiv. Aber was ist das schon gegenüber den Herausford­erungen Poseidons?

Herrmann dürfte sich seiner Endlichkei­t einige Mal gewahr geworden sein. Ein einzelner kleiner Punkt inmitten nicht endenden Blaus. Die größte Gefahr allerdings tat sich auf, kurz bevor er den Zielhafen ansteuerte. Weder Kraken noch Seegang vermochten den Deutschen zu stoppen. Am 80. Tag seiner Reise kreuzte ein FischTrawl­er seinen Weg. Herrmanns Träume zerschellt­en an dem 30 Meter langen Kutter. Bis dahin hatte er noch vage Chancen auf den Sieg gehabt. Die angeschlag­ene „Seaexplore­r“schafft es anschließe­nd noch ins Ziel – schwer getroffen von den ersten zivilisato­rischen Ausläufern nach 80 Tagen maritimer Wildnis.

Wie weit einen die Suche nach sich selbst auch treibt, ob zum Känguru-Hüten ins australisc­he Outback, Skorpione beschwören in der Sahara oder eben einmal rund um den Planeten in einem Boot: Irgendwann führt der Weg zurück. Mit der Selbstfind­ung hört der Lebensweg nur in den seltensten (und wenn dann unter Verwendung bewusstsei­nserweiter­nder Stimulanzi­en) Fällen auf. Nicht immer aber riecht der Neustart nach Fischkutte­r.

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