In heikler Mission
Vom Wildtiermarkt zum Labor: Eine Delegation der Weltgesundheitsorganisation untersucht in Wuhan den Ursprung des Coronavirus. Wie kommen die Wissenschaftler voran?
Wuhan Die öffentliche Inszenierung erinnerte an einen präsidialen Staatsbesuch: Als die Autokarawane der WHO-Delegation kürzlich den abgesperrten Parkplatz des Seuchenpräventionszentrums verließ, wurde sie von dutzenden Fernsehjournalisten umzingelt und gleichzeitig von mindestens doppelt so vielen Polizisten abgeschirmt. Durch ein geöffnetes Beifahrerfenster konnte einer der Kameramänner den O-Ton eines Virus-Experten erhaschen, demnach es ein gutes Treffen gewesen sei. Dann brachen die Wissenschaftler in Rekordtempo zum nächsten Termin auf.
Mit Hochspannung – aber auch Argusaugen – blickt die Welt derzeit auf die Untersuchungskommission der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die mehr als ein Jahr nach den ersten dokumentierten CoronaFällen im chinesischen Wuhan dem Ursprung des Coronavirus auf die Spur kommen möchte. Es geht um die zentrale Frage, wie genau der Erreger vom Tier auf den Menschen übertragen wurde – und damit einhergehend, welche Lehren sich zur Prävention künftiger Pandemien ziehen lassen.
Auch für die Volksrepublik ist es eine heikle Mission. Die Angst vor einer Politisierung der „Ursprungsfrage“hat sich seit den Seitenhieben des früheren US-Präsidenten Donald Trump über das „China-Virus“inzwischen noch weiter verstärkt. China möchte verhindern, als Herkunftsort für eine Pandemie zu gelten, an der weltweit schon mehr als zwei Millionen Menschen starben. Zumal das auch erneut Diskussionen über das Fehlverhalten der dortigen Behörden und der Regierung entfachen würde.
Denn auch wenn China das Coronavirus als eines der ersten Länder überhaupt unter Kontrolle bringen konnte, hatte die Regierung noch zu Beginn der Pandemie Infektionszahlen fälschen, Virus-Proben zerstören und warnenden Ärzten einen Maulkorb verpassen lassen.
Dabei ist eine gewisse Skepsis, die die WHO-Untersuchung begleitet, berechtigt. Zum einen blieb der Weltgesundheitsorganisation bei einer vorläufigen Untersuchung in China im Juli der Zutritt zu Wuhan verwehrt. Zum anderen haben sich die chinesischen Behörden gegen die jetzige Delegation lange gewehrt und sie Anfang Januar noch durch verspätete Einreisevisa behindert. Dementsprechend hängt vieles vom Aufklärungswillen der Chinesen ab.
Und damit scheint es nicht weit her zu sein. So wurde die Reisegruppe nach ihrer zweiwöchigen Zwangsquarantäne Mitte Januar erst einmal in eine Propaganda-Ausstellung über Chinas Kampf gegen das Coronavirus geschickt. Ein australischer Journalist bezeichnete den Termin als „absolute Zeitverschwendung“. Die Ausstellung ist eine reine Selbstinszenierung der Kommunistischen Partei unter Vorsitz von Xi Jinping, der als Retter des Volkes präsentiert wird.
Immerhin wurde es danach etwas besser. Die Wissenschaftler konnten zwei Krankenhäuser besuchen, Seuchenpräventionszentren – und den Huanan-Markt, auf dem der erste Großausbruch des Virus dokumentiert wurde. Hier wurden wilde Tiere zum Verzehr gehandelt.
Seit Januar 2020 ist der mittlerweile weltbekannte Ort abgeriegelt und desinfiziert. Das Areal wird von blauen Plastikplanen und mannshohen Zierpalmen vor neugierigen Blicken abgeschirmt. Wer sich als Ausländer länger an der Absperrung aufhält, wird von schwarz uniformierten Männern nach seinen Beweggründen gefragt.
Peter Ben Embarek, Experte für Nahrungsmittelsicherheit, zog im Interview mit dem US-Sender CNN dennoch ein positives Fazit über den Besuch: Man habe einen guten Eindruck von der Infrastruktur, Hygiene und dem Warenfluss erhalten. Zudem hätten die Wissenschaftler offen mit einstigen Marktmitarbeitern sprechen können. Der britische Zoologe Peter Daszak sagte, es sei dort „ein bisschen unheimlich“.
Von Bedeutung könnte sein, dass die Wissenschaftler in den Besitz wichtiger Datensätze kamen: Sie enthalten, wie zu hören ist, Informationen über Grippefälle in Wuhan und der umliegenden Provinz Hubei von Ende 2019. Damals hatte es in mindestens zwei Städten außerhalb Wuhans einen signifikanten Anstieg an Grippefällen gegeben. Inwiefern diese in Verbindung mit dem Coronavirus stehen, ist bislang nicht bekannt.
Am Mittwoch schließlich besuchten die Wissenschaftler das Institut für Virologie in Wuhan. Es forscht seit langem mit Coronaviren von Fledermäusen, die wegen genetischer Ähnlichkeiten als Ursprung für die Pandemie verdächtigt werden. Die US-Regierung unter Trump hatte behauptet, dass das Virus aus dem Labor entwichen sein könnte. Internationale Experten sind sich jedoch einig, dass es sich um ein natürliches Virus handelt.