Das CoronaProblem der CSU
Das Ziel des Lockdowns ist es, Kontakte weitestgehend zu vermeiden. Dennoch hält die Regierungspartei im gesamten Landkreis Günzburg Präsenzversammlungen ab. Welche Auflagen zu beachten sind und wie das begründet wird
Günzburg Das Wort könnte sich zum Reizwort entwickeln: Ortshauptversammlungen. Um die 20 der CSU gibt es diesen Monat im Landkreis Günzburg – und das nicht digital. Alle Treffen sind Präsenzveranstaltungen. Mit einem mehrseitigen Brief wurden die etwa 1300 CSUMitglieder in der Region eingeladen. Die Versammlungen sind ganz offensichtlich auch für die Mitglieder selbst erklärungsbedürftig. Denn da kommen während der Corona-Pandemie ganz bewusst Menschen zusammen, obwohl es doch das Ziel nahezu aller Auflagen ist, Kontakte zu begrenzen. Deshalb wird den Parteifreunden – nicht wenige davon zählen allein schon altersbedingt zur Risikogruppe – ausführlich erklärt, warum ein solches Zusammenkommen in Ordnung ist.
Der „wichtige Hinweis zur Zulässigkeit der Ortshauptversammlung“erstreckt sich über eine eng beschriebene Seite. Darin heißt es, dass die Satzung der CSU derzeit noch keine andere Möglichkeit zulässt als die persönliche Anwesenheit bei einer solchen Veranstaltung. Eine Satzungsänderung wäre nur im Rahmen eines Parteitags möglich, der wiederum als Präsenzveranstaltung erfolgen müsse. Außerdem wird darauf verwiesen, dass die CSU keinen Sonderweg für sich in Anspruch nimmt, da „überall im Land seit Monaten entsprechende Versammlungen unterschiedlichster Parteien“stattfinden.
Die Treffen dienen hauptsächlich dem Ziel, Voraussetzungen für die Bundestagswahl am 26. September zu schaffen. Denn dort werden die Delegierten gewählt. Das ist der erste Schritt, um mit dem mutmaßlichen CSU-Kandidaten Georg Nüßlein überhaupt an der Wahl zum Deutschen Bundestag teilnehmen zu können.
Ein weiteres Zulässigkeits-Argument in dem Schreiben, dessen Gerüst von der CSU-Landesleitung formuliert worden ist, bezieht sich auf die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Parteien, die an der politischen Willensbildung mitwirkten. Das unterscheide sie von
oder Gruppen aus dem vorpolitischen Bereich. Damit seien auch Wahl- und Aufstellungsversammlungen der Parteien von der Verfassung geschützt und unterlägen im Bereich des Freistaats dem Bayerischen Versammlungsgesetz. Unter Beachtung der Auflagen, die die Infektionsschutzmaßnamenverordnung vorschreibt, sind demnach Versammlungen bis zu 100 Personen zugelassen. Darüber hinaus müsse eine Sondergenehmigung von den örtlichen Behörden eingeholt werden.
„Es wird keine einzige Veranstaltung in dieser Größenordnung geben“, sagt der Vorsitzende des Günzburger Kreisverbandes, Alfred Sauter, voraus. Der CSU-Landtagsabgeordnete und frühere Justizminister rechnet mit 30 bis 40 Teilnehmern in größeren Ortsverbänden. Bei mittleren und kleineren CSUVerbänden vor Ort werden es nach seiner Einschätzung zwischen zehn und 20 Mitglieder sein. „Das ist alles nicht so spektakulär, wie sich das vielleicht anhört.“
Die Zusammenkünfte seien zum Teil in Stadeln, Turnhallen, Gasthöfen und im Freien geplant. Gerne würde Sauter nach eigenen Worten auf den Präsenzcharakter verzichten. „Mir wäre alles andere lieber“, sagt er – und bekräftigt, keine andere Wahl zu haben.
Theoretisch gibt es die Alternative doch, denn kürzlich haben Bundestag und Innenministerium den Weg für digitale Nominierungsversammlungen frei gemacht. Das allerdings sei für die CSU zu spät gekommen, sagt der Kreisvorsitzende. Elektronische Wahlergebnisse müssten dann auch per Briefwahl bestätigt werden. Und die Fehleranfälligkeit eines so noch nicht erprobten Systems will er nicht unterschätzen. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass es dann nicht wenige Ansatzpunkte für mögliche Anfechtungen gibt.“
Eine dieser Ortshauptversammlungen findet am Aschermittwoch, 17. Februar, im Gasthof „Sonne“in Jettingen statt. Vielleicht ist die Wirtschaft dann immer noch nicht für den Publikumsverkehr geöffnet. Sauter stellt klar, dass die Zusammenkunft in einer ausreichend großen Räumlichkeit eines Lokals nichts mit einem gemütlichen Beisammensein zu tun hat. Die HygieVereinen neregeln müssen strikt eingehalten werden, auf Abstände ist zu achten, Teilnehmer haben permanent FFP2-Masken zu tragen. Es gibt weder etwas zu essen noch zu trinken, sagt er. Die Delegierten seien in 30 bis 45 Minuten gewählt. „Das ist auch nicht länger als mancher bei Aldi oder Lidl fürs Einkaufen benötigt.“Den Ortsverbänden ist überlassen, ob sie beispielsweise noch Vorstandswahlen abhalten. „Sehr zügig“soll das dann ablaufen. In Jettingen stehen insgesamt vier Punkte und bei den Neuwahlen fünf Unterpunkte auf der Tagesordnung.
Die Kritik, dass viele Einzelhändler, die ebenfalls mit einem ausgefeilten Hygienekonzept in der Vergangenheit gearbeitet haben, schließen mussten und die CSU sich jetzt flächendeckend im Landkreis treffe, lässt Sauter wegen der strikten Regeln nicht gelten. „Kein Händler würde akzeptieren, dass er am Tag nur eine Stunde öffnen darf“, vergleicht er mit der mittleren Zeitdauer der Parteiveranstaltungen.
Unterstützt wird er von Gerd Olbrich, dem Vorsitzenden der SPDKreistagsfraktion. Er hält vergleichbare Veranstaltungen unter diesen strengen Maßgaben für „vertretbar“. Die Sozialdemokraten sind wie die Grünen bei dieser Fristenkaskade, die bis zur Bundestagswahl einzuhalten ist, allerdings weiter als die CSU. Entsprechende Veranstaltungen auf Ortsebene haben die Genossen bereits im Spätsommer und Frühherbst des vergangenen Jahres abgehalten. „Zum Glück“, wie Olbrich sagt. „Damals waren die Gasthäuser noch offen.“
Aber auch die SPD hat am Samstagvormittag eine Veranstaltung im Landkreis, die das Landratsamt unter strengen Hygieneauflagen genehmigt hat. In der Mindelhalle in Offingen soll die Kreisvertreterversammlung den SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Brunner zum Kandidaten küren. Von den 54 Delegierten aus den Kreisen Günzburg, Neu-Ulm und Teilen des Unterallgäus haben 43 ihr Kommen zugesagt. Die bereits zweimal verschobene Landesvertreterversammlung der SPD (dort wird die Landesliste aufgestellt) soll am 13. März stattfinden. „Wenigstens hier hat die SPD gegenüber der CSU die Nase vorn“, sagt der Fraktionschef im Kreistag am Telefon und lacht.
Gar nicht zum Lachen zumute ist einem Geschäftsmann aus der Region, dessen Name der Redaktion bekannt ist. Er will ihn aber an dieser Stelle nicht nennen, weil er sonst fürchtet, dass seine Kritik bei vielen seiner Kunden nicht auf Gegenliebe stößt, da sie der CSU nahe stehen. Den Ärger über die Parteitreffen formuliert er dennoch: „Wir sollen möglichst Kontakte beschränken, ich darf nur allein einen anderen Haushalt besuchen, es gibt Homeoffice und Homeschooling, mein Geschäft darf ich nicht betreiben – und dann erfahre ich, dass es möglich ist, eine Massenveranstaltung mit bis zu 100 Leuten abzuhalten. Da fehlt mir jegliches Verständnis.“
Die CSU findet ihre Präsenzversammlungen alternativlos. In der Mitgliedereinladung heißt es auch: „Bei aller berechtigten und notwendigen Vorsicht: Das Nicht-Antreten der CSU zur Bundestagswahl kann nicht die Alternative sein; weder für uns als aktive CSUler noch für unsere Demokratie.“»Kommentar