Guenzburger Zeitung

Acht Stunden Unterricht am Computer

Die Mindeltal-Schulen in Jettingen-Scheppach senden während des Lockdowns alle Schulstund­en digital und live nach Hause. Was Rektoren, Lehrer, Eltern und Schüler dazu sagen

- VON HEIKE SCHREIBER

Jettingen‰Scheppach Seit über vier Wochen findet der Unterricht für die meisten Schüler nicht mehr in den Klassenzim­mern, sondern zu Hause statt. Statt vor der Tafel sitzt ein Großteil der Kinder und Jugendlich­en vor dem Computer und wird digital unterricht­et. Doch während an den meisten Schulen nur die Lehrer der Kernfächer „live“in die Kinderzimm­er senden, gehen die Mindeltal-Schulen in Jettingen-Scheppach einen anderen Weg: Hier wird sowohl an der Realschule als auch am Gymnasium von der fünften bis zur Abschlussk­lasse der komplette Unterricht gestreamt. Da es sich um Ganztagssc­hulen handelt, müssen Schüler und Lehrer bis zu acht Schulstund­en täglich am Computer aushalten. Wie ertragen sie das, läuft das Homeschool­ing besser als an anderen Schulen und spielt die Technik überhaupt mit? ● Das sagen die Rektoren Thomas Schropp ist seit 2018 Rektor des Mindeltal-Gymnasiums. Nach den Erfahrunge­n im ersten Lockdown im vergangene­n Jahr setzt er jetzt auf kompletten Live-Unterricht am PC via Zoom. 182 Schüler von der fünften bis zur zwölften Klasse werden täglich nach Stundenpla­n unterricht­et, teilweise von 8.15 bis 16 Uhr, unterbroch­en nur von kurzen Pausen und einer einstündig­en Mittagspau­se. Lediglich der Sportunter­richt fällt aus, aber auch nur, da die Kollegin derzeit in Mutterschu­tz Schropp ist überzeugt: „Es ist viel effektiver, wenn ein Lehrer den Kindern vor dem Endgerät gegenüber sitzt, ihnen helfen und auf Fragen eingehen kann, als wenn er nur Arbeitsblä­tter bearbeiten lässt.“Für weiterführ­ende Schulen sei es die „bestmöglic­he Lösung und die größtmögli­che Schadensbe­grenzung in Corona-Zeiten“. Zum Glück spiele die Technik an der Schule mit, seit dem vergangene­n Sommer ist neben den Schulgebäu­den auch das Internat mit WLAN ausgerüste­t. In den Klassenzim­mern stehen 16 Laptops und 25 I-Pads zur Verfügung. Homeschool­ing laufe sehr gut, die Rückmeldun­gen von Lehrern, Schülern und Eltern seien durchwegs positiv. Er hofft, „dass wir den Eltern Arbeit abnehmen“. Bei seinen eigenen Kindern, zwei davon in der Grundschul­e, könne er dies nicht behaupten. Zu Beginn der Woche erhielten sie einen Aufgabenpl­an, der an der Schule abgeholt werden müsse. Sei alles erledigt, müsse die Mappe wieder an der Schule abgeliefer­t werden. Digitaler Unterricht? Fehlanzeig­e. Ohne seine Frau, die daheim Lehrerin spiele, sei es nicht machbar. Von einem solchen Konzept hält Schropp gar nichts, „mir tun Kinder und Eltern leid“. Realschull­eiterin Fikriye Bedir ergänzt: „ Es kann nicht Aufgabe der Eltern sein, alles zu erklären.“● Das sagt eine Lehrerin Katharina Huber unterricht­et seit diesem Schuljahr Geschichte und Englisch an der Realschule. Nur wenige Monate hat sie ihre neuen Schüler persönlich im Klassenzim­mer gesehen, bevor der Lockdown kam. Seit dem

10. Januar unterricht­et sie vom PC aus ihrem heimischen Büro. Bis auf die Lehrer der Abschlussk­lassen ist der Rest des 25-köpfigen Teams ins Homeoffice gewechselt. An diesem Montag sitzt die junge Lehrerin ausnahmswe­ise im Klassenzim­mer vor Ort, allein vor einem Laptop, auf dem Bildschirm sind ihr die Schülerinn­en der achten Klasse zugeschalt­et. Sie verbessert mit ihnen Hausaufgab­en, fragt Vokabeln ab, macht Übungen im Buch, lässt ein Video anschauen und stellt Fragen dazu. Nach 45 Minuten ist eine kurze Pause, dann kommt die nächste Klasse dran. Anstrengen­d sei das schon, die ganze Zeit vor dem Computer. Aber sie habe sich daran gewöhnt – ebenso wie an die Tatsache, dass manchmal die Technik bei den Schülern nicht mitspiele und sie dann kein Gesicht, sondern nur ein schwarzes Bild sehe. „Ich glaube, dass dieser Unterricht vor dem PC die einzige Möglichkei­t ist, den Schülern etwas mitzugeben“, sagt Huber.

● Das sagt eine Zwölftkläs­slerin Drei Wochen musste auch Zeynep Buttanri ausschließ­lich vor dem PC in ihrer Heimat in Erlangen lernen. Die 19-Jährige besucht das Internat in Jettingen-Scheppach, geht in die zwölfte Klasse, steht kurz vor dem Abitur. Sie sei „sehr dankbar“, dass sie seit 1. Februar wieder im Klassenzim­mer sitzen darf, zumindest an jedem zweiten Tag. Denn die zehnist. köpfige Klasse muss geteilt werden, der andere Teil bekommt den Unterricht digital vermittelt. Sie selbst habe lieber Präsenzunt­erricht, wenn auch das ständige Tragen einer Maske unangenehm sei. Streamen sei eine riesige Umstellung gewesen, letztlich habe sie es sich aber „viel schlimmer vorgestell­t“. Es sei anstrengen­d, sie habe viel öfter Kopfweh als früher, doch sie sei froh um jede digitale Unterricht­sstunde.

● Das sagt eine Mutter An das Homeschool­ing im ersten Lockdown denkt Sabine Bayr mit Grausen zurück. Damals ging ihre Tochter Luna noch in die Grundschul­e, bekam keinen digitalen Unterricht, nur bergeweise Arbeitsblä­tter, „60 in der Woche waren normal“. Sie selbst musste gewaltig mithelfen. Für eine Berufstäti­ge in Vollzeit – Bayr hat eine Heilprakti­ker-Praxis in Konzenberg – sei dies eine unglaublic­he Zusatzbela­stung gewesen. Das jetzige Homeschool­ing laufe ganz anders ab. Denn seit September besucht Luna die fünfte Klasse der Mindeltal-Realschule und erlebt jetzt kompletten digitalen Unterricht. Für die Mutter ist dies „Gold wert“, der Unterricht sei optimal organisier­t. Es sei eine riesige Entlastung für sie selbst und gebe ihr ein gutes Gefühl, dass die Tochter Unterricht unter Aufsicht und einen geregelten Tagesablau­f habe. Dass sie stundenlan­g am PC sitzt, findet die Zehnjährig­e nicht „so schlimm“. Dann habe sie wenigstens keine Zeit, sich zu langweilen.

 ?? Foto: Heike Schreiber ?? An den Mindeltals­chulen in Jettingen‰Scheppach wird seit Januar der komplette Unterricht digital vor den Computerbi­ldschirmen gehalten. Realschull­ehrerin Katharina Huber unterricht­et an diesem Tag die achte Klasse in Englisch.
Foto: Heike Schreiber An den Mindeltals­chulen in Jettingen‰Scheppach wird seit Januar der komplette Unterricht digital vor den Computerbi­ldschirmen gehalten. Realschull­ehrerin Katharina Huber unterricht­et an diesem Tag die achte Klasse in Englisch.

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