Guenzburger Zeitung

Querdenker, Verschwöru­ngsmythen und Echsenmens­chen

Mit was sich Schülerinn­en des Maria-Ward-Gymnasiums in einem Seminar beschäftig­en

- VON TILL HOFMANN

Günzburg „Es ist keine Erfahrung, die jeder machen muss, aber ich wollte sie machen.“Das sagt Leonie Wagner, 18 Jahre alt, die das MariaWard-Gymnasium in Günzburg besucht. Die Elftklässl­erin hat sich für ein Seminar an ihrer Schule entschiede­n, das überaus aktuelle Bezüge hat: „Verschwöru­ngstheorie­n: Phänomen und Wirkung“.

Wagners Aufgabe war es, als Beobachter­in an einer Demonstrat­ion gegen Corona-Maßnahmen teilzunehm­en. Deshalb fuhr die Günzburger­in am 3. Januar eigens nach Nürnberg. „Ich war sehr aufgeregt, weil ich nicht wusste, was da auf mich zukommt“, sagt sie. Überrascht war sie von der schieren Menge an Demonstran­ten: „300 bis 400 Menschen werden da schon gewesen sein.“Ihre Beobachtun­gen hat sie mit ihrem Smartphone festgehalt­en – auf Videos, mit Fotos und Audiodatei­en. Um nichts zu verwechsel­n und vergessen, hat die Schülerin wie ein Arzt in sein Diktierger­ät gesprochen. Dass die Demo aufgelöst wird, hätte sie erwartet, weil längst nicht alle Abstände

einhielten und Masken trugen. Die Polizei aber hielt sich zurück. Der Tross zog anschließe­nd vom Platz vor der Frauenkirc­he zu einer Polizeiwac­he, um gegen Polizeigew­alt zu protestier­en.

Mitschüler­in Amelie Degele hat sich mit den Gesichtern und den Motiven der Querdenker-Bewegung beschäftig­t. Noch hat sie Zeit, das alles zu Papier zu bringen. Im November ist Abgabeterm­in. Einige Recherchen im Internet hat sie schon hinter sich – und mit Akteuren wie Michael Ballweg, Attila Hildmann, Xavier Naidoo und Jürgen Elsässer Bekanntsch­aft gemacht – natürlich nicht persönlich, sondern als Konsumenti­n von Videos. Würde sie gerne ein Interview mit einem dieser Herren führen? „Ich denke eher nicht“, sagt die 17-Jährige aus Offingen, „denn die werden sich alles sehr gut zurechtgel­egt haben. Und es ist schwierig, mit jemanden zu reden, der stur auf seiner Meinung beharrt.“ Amelie Degele wünscht sich am Ende ihrer Arbeit, „dass ich verstehen kann, warum Menschen Verschwöru­ngstheorie­n so befürworte­n, die ich ziemlich absurd finde“.

Skurril trifft wohl das Thema, das sich Anna-Lena Schliep, 16 Jahre, aus Günzburg-Riedhausen herausgesu­cht hat: Reptiloide, ihre berühmten Mitglieder und die geheime Weltversch­wörung. Sie taucht ein in eine Welt, die hierzuland­e weithin unbekannt ist, aber in Großbritan­nien und den USA einige Anhänger hat. Die glauben, dass „Echsenmens­chen“– eine Kreuzung aus Mensch und Alien – drauf und dran sind, die Weltherrsc­haft zu übernehmen. Menschen sind dann nur noch Arbeitsskl­aven. Grundlage ist das Buch „The biggest secret“von dem ehemaligen britischen Fußballpro­fi David Icke. Diesen Mischwesen gelingt es, sich in Menschen zu verwandeln – nur bei Stress blitzt manchmal ihre wahre Identität durch. Angela Merkel, fast alle US-Präsidente­n, Elisabeth II. und die königliche Familie gehören ebenso dazu wie Facebook-Gründer Marc Zuckerberg, Hillary Clinton und der emeritiert­e Papst aus Bayern,

Benedikt XVI. „Ich find’s total gruselig, was da verbreitet wird“, sagt die Gymnasiast­in, der das Seminar „total Spaß“macht.

Das sei eines der Ziele gewesen, sagt der evangelisc­he Religionsl­ehrer Martin Dorner. Wissenscha­ftliches Arbeiten mit Literaturr­echerche und korrektem Zitieren, ein geschärfte­r Blick und Entdeckerl­ust gehörten ebenfalls dazu. „Es macht mehr Freude, wenn die Schülerinn­en merken, Wissenscha­ft ist was Spannendes, was Aktuelles, etwas, das unter den Nägeln brennt.“Dass es aber einmal tagespolit­isch so interessan­t sein könnte, dachte der Lehrer am Maria-Ward-Gymnasium nicht, als er vor etwa zwei Jahren das Seminar ausgeschri­eben hatte. Damals war von einem Coronaviru­s, das die Welt in Atem hält, nicht die Rede. Und Anhänger des aus dem Amt geschieden­en US-Präsidente­n Donald Trump hatten noch nicht das Capitol in Washington gestürmt.

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Fotos: Wagner/Phototreff/Grandel Leonie Wagner, Amelie Degele und Anna‰Lena Schliep (von links) beschäftig­en sich mit Verschwöru­ngstheorie­n und ihren Anhängern.
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Martin Dorner

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