Haarscharf am Aufstand vorbei
Wie der Friseur zum Sehnsuchtsort der Deutschen wurde
Und, haben Sie schon einen Termin? Nein, nicht zum Impfen. Das kann ja noch warten. Aber die Haare nicht. Fast hatte man in den letzten Tagen das Gefühl, die Menschen vermissen nichts so sehr an ihrem alten Leben wie den Friseur. Nun also die erlösende Nachricht: Die Bierbar um die Ecke bleibt zu, der Barbier macht wieder auf. Halleluja! Ähnlich groß dürfte die gesamtdeutsche Euphorie zuletzt im Frühjahr gewesen sein, als die Klopapierversorgung doch noch sämtlichen Bedürfnissen gerecht wurde und das „Volksbegähren“nach Hefe gestillt war. Der Deutsche hat es eben gerne ordentlich. Auch auf dem Kopf. An den Haaren der Kollegen, die man ja nur noch per Videokonferenz zu sehen bekommt, lässt sich gut ablesen, wie lange dieser Lockdown schon dauert. Ein paar verlieren zwischendrin die Nerven und greifen selbst zum Schneidewerkzeug. Der Rest ist der wachsenden Verwahrlosung schutzlos ausgeliefert.
Für die Politik wird die Angelegenheit zum Ritt auf der Rasierklinge. Als der bayerische Ministerpräsident gepflegtes Haupthaar schließlich zu einer Frage der Menschenwürde erklärt, ist die Sache gelaufen. Am Ende schrammen die Regierenden um Haaresbreite am Volksaufstand vorbei. Bleibt die
Frage, wie Friseursalons zum neuen Sehnsuchtsort der Deutschen werden konnten. Möglicherweise steckt mehr dahinter als Eitelkeit. Gerade in diesen Zeiten braucht der kontaktbeschränkte Mensch schließlich jemanden, der auch dann noch zuhört, wenn alle anderen längst abgeschaltet haben. Und es heißt ja nicht umsonst: „Das kannst du deinem Friseur erzählen.“Ab 1. März dürfen die Salons also endlich wieder öffnen. Dann wird es zwischen Waschen, Schneiden und Legen viel zu erzählen geben. Wir haben schon vorab mit einem Friseur geplaudert. Was er sagt, steht auf Bayern.