Das Pfandhaus darf nicht helfen
Ein Handwerker verpfändet den Bohrhammer, eine Frau den Ehering: Das Geschäft unterstützte Menschen kurzfristig. Jetzt ist das verboten
NeuUlm Liberdade de Sousa Santos Keller steht im Geschäftsraum des Pfandhauses, das sie mit ihrem Mann Tomas Ostermann neben ihrer Goldschmiede „Danubius“in Neu-Ulm betreibt. Eine Panzerglasscheibe trennt den Raum, in dem die Goldschmiedin Gegenstände bewertet, von dem Bereich ab, in den jeweils nur ein Kunde treten darf. Zwischen Kunde und Pfandleiher befindet sich einzig ein Schubfach, durch das ein verpfändeter Gegenstand und das geliehene Geld jeweils die Seite wechseln. Berührungen gibt es nicht.
Dennoch: Seit der Verschärfung der Corona-Maßnahmen darf Liberdade de Sousa Santos Keller keine Gegenstände mehr annehmen, die ihr Menschen bringen wollen, um sie zu beleihen. Erlaubt ist einzig, Pfänder auszulösen. Das ist nur in Bayern so – alle anderen Bundesländer, erzählen die beiden Goldschmiede, haben inzwischen die Pfandhäuser als systemrelevant eingestuft, sodass sie öffnen dürfen.
Immer wieder während des Gesprächs treten der Deutsch-Portugiesin Tränen in die Augen – immer dann, wenn sie von den Szenen berichtet, die sie in letzter Zeit erlebt. Denn sie und ihr Mann erleben die Folgen der Corona-Krise ganz unmittelbar und direkt – schon vor der Verschärfung der Maßnahmen und auf andere Weise seitdem. Der Kreis der Menschen, die ins Pfandhaus kamen, um Gegenstände zu verpfänden, hat sich in den vergangenen Monaten sehr vergrößert. „Da sind Gastronomen dabei, Selbstständige, Freiberufler, Künstler – viele, die seit Monaten kaum eine Chance haben, Geld zu verdienen.“Tomas Ostermann berichtet vom Handwerker, der seinen HiltiBohrhammer verpfändete, weil die Novemberhilfen noch nicht angekommen waren, der ihn aber umgekehrt brauchte, um arbeiten zu können. Putzfrauen sind dabei, deren 450-Euro-Job fürs Familieneinkommen wichtig war und jetzt wegfällt. Menschen sind darunter, die in guten Zeiten Gold- und Silbermünzen gekauft haben und die diese jetzt beleihen oder verkaufen wollen, um für das Bezahlen von Rechnungen oder für den Einkauf notwendiger Dinge dringend benötigtes Geld zu haben.
„Und in dieser Situation ist es nicht einmal möglich, diese für schlechte Zeiten angelegten Rücklagen zu nutzen“, ist Liberdade de Sousa Santos Keller empört. Vor wenigen Tagen, so berichtet sie, musste sie eine Frau wegschicken, die Eheringe beleihen wollte. Die Sozialhilfe war gesperrt, weil das Girokonto der Frau überzogen war. „50 Euro, die man für ein beliehenes Schmuckstück bekommt, können da bis zum Monatsende helfen.“Von einer Familie weiß sie, bei der der Ehemann arbeitslos wurde und die Frau ihren geschlossenen Schönheitssalon aufgeben musste. „Sie hatten ein Haus gebaut; das wird wohl in der Zwangsversteigerung enden“, befürchtet sie. „Es ist beschämend, dass Leute, die bisher gut verdienten, jetzt bei der Tafel anstehen müssen.“
Was sie und Tomas Ostermann zusätzlich umtreibt: Oft wollen Menschen die Pfandverträge verlängern, indem sie ein weiteres Schmuckstück für die Zinsen beleihen möchten – aber das ist nicht möglich. „Auch den Übererlös können die Leute nicht abholen, wenn ein Stück vor der Schließung in die Versteigerung gegangen ist“, sagt Tomas Ostermann. „Dabei würden sie den doch gerade dringend brauchen.“
„Wir sind für die Menschen, die in Not sind, auch Ansprechpartner – sie erzählen von der schlimmen Situation, in der sie sind“, berichtet das Paar. Die beiden Goldschmiede fragen sich, ob die Politik überhaupt etwas ahnt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, die durch die Krise seit langer Zeit nichts mehr oder deutlich weniger verdienen, bei denen Hilfen aber nicht oder verspätet ankommen. Sie frage sich, ob die Sichtweise der Entscheider in Bayern geprägt sei von US-Pfandhaus-Serien im Fernsehen, sagt Liberdade de Sousa Santos Keller. „Radausender beschädigen mit solchen Sendungen den Ruf der Pfandleihhäuser in Deutschland.“Hier benötigt man für die Pfandleihe nicht nur ein Führungszeugnis, sondern auch geordnete finanzielle Verhältnisse und Versicherungen für die Pfänder. Menschen seien inzwischen resigniert und hoffnungslos, sagt Tomas Ostermann frustriert, „ohne Perspektive und Hoffnung“. Er frage sich, wohin das alles führen werde.