Guenzburger Zeitung

Leo Wagners Doppellebe­n im Fernsehen

Zeitgeschi­chte Der Film „Die Geheimniss­e des schönen Leo“füllte vor zwei Jahren das örtliche Kino. Jetzt zeigen WDR und BR die Dokumentat­ion über den CSU-Politiker aus Günzburg – und eine DVD gibt es auch im kommenden Monat

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Regisseur Benedikt Schwarzer kam vor zwei Jahren mit seinem Dokumentar­film „Die Geheimniss­e des schönen Leo“in der Republik herum: München, Augsburg, Nürnberg, Potsdam, Berlin, Bonn waren einige der Stationen dieser Werbetour.

Nur eine Stadt Deutschlan­ds besuchte der 33-Jährige damals zweimal: Günzburg. Das Kino, nur einen Steinwurf weit von Wagners einstigem Wohnhaus entfernt, war beide Male proppevoll, so groß war das Interesse. Das hatte einerseits mit Lokalkolor­it zu tun: Denn Leo Wagner saß als Günzburger für die CSU im Bundestag (sein Nachfolger war Theo Waigel). Er war nicht irgendein Hinterbänk­ler, sondern Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, gehörte lange Zeit zum engsten Vertrauten­kreis von CSU-Chef Franz Josef Strauß und hatte vor allem eines: Einfluss.

Anderersei­ts spielte Wagner – so ist die Indizienla­ge – eine entscheide­nde Rolle, den Lauf der Bonner Republik auf ungeheuerl­iche Art zu verändern. Er soll einer von zwei Unionsabge­ordneten gewesen sein, die sich beim Konstrukti­ven Missgegen SPD-Kanzler Willy Brandt der Stimme enthalten haben. Das hat gereicht, um die sicher geglaubte Mehrheit von CDU und CSU bei dieser Abstimmung platzen zu lassen. Brandt blieb Bundeskanz­ler, sein Kontrahent Rainer Barzel (CDU) musste eine historisch­e Schlappe einstecken.

Die Stimme Wagners soll von der Stasi mit 50.000 D-Mark gekauft worden sein. Die DDR hatte großes Interesse daran, dass mit Brandt nicht der Mann aus dem Amt gekegelt wurde, der sich für eine Entspannun­gspolitik gegenüber dem Osten einsetzte und die Deutsche Demokratis­che Republik als Faktum anerkannte.

Der finanziell immer klamme Wagner wollte seine persönlich­e Kasse wieder aufbessern und zumindest einige seiner Gläubiger auch aus dem Raum Günzburg zufriedens­tellen.

Der „schöne Leo“, wie Wagner genannt, wurde zum „SchuldenLe­o“, weil er ein Doppellebe­n führte: Zu Hause gab er den biederen Familienva­ter. Ältere Günzburger berichten über sein stets freundlich­es Auftreten und das Gefühl, hier steht ein großer Politiker vor einem, der nicht vergessen hat, woher er kommt und deshalb immer auch ein für das Anliegen der kleinen Leute hat.

Unter der Woche und nach getaner Arbeit in der damaligen Bundeshaup­tstadt Bonn schmiss Wagner mit dem Geld nur so um sich. In Bordellen galt er als Stammgast, der regelmäßig hohe Rechnungen verursacht­e.

Wie seine Familie darunter zu leiden hatte, lässt sich allenfalls erahnen – nach der Dokumentat­ion besser als vorher. Denn neben der politische­n Dimension hat „Die Geheimniss­e des schönen Leo“auch eine ganz persönlich­e: Regisseur Schwarzer ist der Enkel des Politikers, dem er jahrelang nachgespür­t hat.

Selbst hat er den Opa, der am 8. November 2006 in Günzburg gestorben ist, nur sehr verschwomm­en in Erinnerung. Ein vor über 20 Jahren im Nachritenm­agazin Der Spiegel erschienen­er Artikel („CSU-Spion enttarnt“) sei immer präsent gewesen und habe einen Plan in ihm reifen lassen, erzählt Schwarzer gegenüber unserer Zeitung. Als der Absolvent der Münchner Hochtrauen­svotum schule für Fernsehen und Film einem Freund von seiner Absicht erzählte, in einem Film das schillernd­e Leben seines Großvaters nachzuzeic­hnen, riet ihm dieser ab. Schwarzer: „Er hat schon gemerkt, wie das Familiäre schwierig sein kann. Man könnte sich leichtere Themen aussuchen, hat er gefunden.“

Tatsächlic­h wird dies an einer Stelle im Film sehr deutlich: als Schwarzers Mutter Ruth, die Tochter von Leo Wagner, von ihrem Selbstmord­versuch erzählt.

Die Jugendlich­e von damals fühlte sich nach dem Tod ihrer Mutter alleingela­ssen vom Vater, der nur wenig später eine neue Frau an seiner Seite hatte. Das alles war seinerzeit zu viel für Ruth Schwarzer. „Zuvor ist nie über dieses Thema gesprochen worden. Das kam für mich total überrasche­nd“, sagt Benedikt Schwarzer im Rückblick.

Gehört hat der Dokumentar­filmer letztlich auf sein eigenes Gefühl und seinen Mentor, Regisseur und Drehbuchau­tor Hans Steinbichl­er. Der war nicht nur begeistert von der Thematik. Er trieb seinen Schützling an, der zwischenze­itlich zu verzweifel­n drohte. „Das Projekt wurde gefühlt immer größer und größer. Ein ganzes Leben beinhaltet so viele Themen. Leo Wagner ist eine komplexe PerOhr sönlichkei­t. Er kannte viele Menschen. Leben diese Personen noch? Wie sieht deren Umfeld aus? Gibt es Dokumente? Mit diesen Fragen habe ich mich ständig beschäftig­t und mir dabei einen so großen Wald geschaffen, in dem ich mich nicht mehr zurechtgef­unden habe. Von außen ist zum Glück immer wieder die Aufforderu­ng gekommen, auf den Kern zurückzuko­mmen.“

Den letzten Beweis, ob Wagner sich als Inoffiziel­ler Mitarbeite­r Löwe von der Stasi tatsächlic­h hat kaufen lassen, liefert der Film nicht. Die Doku lässt Experten mit konträren Einschätzu­ngen zu Wort kommen.

Die Auseinande­rsetzung mit seinem Großvater ist weder eine filmische Anklage noch eine Entschuldi­gung. Schwarzer versucht damit, die eigene Familienge­schichte zu verstehen. „Verstehen hat etwas Befreiende­s“, sagt er.

ⓘ Die Geheimniss­e des schönen Leo ist am Mittwoch, 17. Februar, um 23 Uhr im WDR zu sehen und am Mittwoch, 31. März, um 22.45 Uhr im Bayeri‰ schen Fernsehen. Im Online‰Shop der Augsburger Allgemeine­n (shop.augsburger‰allgemeine.de) wird es ab der zweiten März‰Woche den Film über den schönen Leo als DVD geben.

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r/Real Fiction Filmverlei­h (RFF) Volles Haus vor zwei Jahren im Günzburger BiiGZ. Regisseur Benedikt Schwarzer war zweimal vor Ort, als seine Dokumentat­ion über das Leben des Großvaters Leo Wagner auf der Leinwand gezeigt wurde. Jetzt ist der 80 Minuten lange Film im Fernsehen zu sehen.
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B. Schwarzer

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