Die Uhren ticken noch unterschiedlich
Melbourne Im denkwürdigen Moment seines einzigartigen neunten Australian-Open-Titels ließ sich Novak Djokovic auf den blauen Hartplatz fallen und streckte Arme und Beine von sich. „Ich möchte der Rod-Laver-Arena danken. Ich liebe dich jedes Jahr mehr und mehr. Die Liebesbeziehung geht weiter“, sagte der einfach nicht schlagbare Melbourne-Champion.
Mit einem seligen Lächeln hielt der 33-Jährige nach seiner Machtdemonstration und dem erstaunlich einseitigen 7:5, 6:2, 6:2 im Endspiel am Sonntag gegen den zunehmend frustrierten Herausforderer Daniil Medwedew den Norman Brookes Challenge Cup in den Händen. Seine Fans auf den etwa zur Hälfte gefüllten Rängen feierten ihn mit serbischen Flaggen sowie „Nole, Nole“-Rufen und ließen den dominanten Spieler der Australian-OpenGeschichte mit ihrer Autogrammjagd nicht so schnell von seinem Lieblingsplatz gehen.
Gnadenlos hatte der Serbe den Erfolgslauf des 25-jährigen Russen beendet, der zuvor 20 Partien nacheinander gewonnen hatte, und schaffte seinen nächsten Titel-Hattrick in Australien. Es sei eine Frage der Zeit, wann Medwedew seinen ersten Grand-Slam-Titel gewinne, sagte Djokovic. Aber er solle doch noch ein paar Jahre warten, fügte er verschmitzt hinzu.
Die Debatte, wann endlich ein Spieler der inzwischen nicht mehr ganz so jungen Nachfolge-Generation einen Vertreter des prägenden Herren-Trios Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer in einem der wichtigsten Endspiele bezwingen kann, wird weitergehen. Mit seinem 18. Grand-Slam-Titel rückte der Serbe näher an die Bestmarken seiner Rivalen Federer und Nadal heran, die jeweils 20 haben. Die Hälfte aller seiner nun 18 GrandSlam-Titel hat der WeltranglistenErste bei den Australian Open gewonnen. Aller Skepsis zum Trotz erteilte der 33 Jahre alte Topstar dem acht Jahre jüngeren Medwedew eine Lehrstunde.
Zum zweiten Mal hat Djokovic in der Millionen-Metropole am Yarra River dreimal in Serie triumphiert. 2008, 2011, 2012, 2013, 2015, 2016, 2019 und 2020 hatte er den Norman Brookes Challenge Cup ebenfalls in den Händen gehalten. Alle seine Endspiele in der Rod-Laver-Arena hat er gewonnen. Djokovic kassierte ein Preisgeld von rund 1,8 Millionen Euro.
Während bei den Männern die Uhren immer noch im Takt der alten Generation schlagen, ist bei den Frauen die Wachablösung voll im Gange. Im Halbfinale hatte die 23-jährige Japanerin Naomi Osaka die Königin der vergangenen Tage, die 39-jährige Serena Williams mit 6:3 und 6:4 geschlagen. 52 Stunden später gewann Osaka auch das Finale gegen Jennifer Brady (USA) mit 6:4 und 6:3.
Osaka sei als Nachfolgerin von Serena Williams der nächste „Superstar“, meinte Eurosport-Experte Boris Becker. Vergleiche mit der vielleicht besten Tennisspielerin der Geschichte, über deren Karriereende nach dem Halbfinal-Aus gegen Osaka mal wieder gerätselt wird, sind vielleicht nie erfüllbar.
Aber die erst 23 Jahre alte Osaka ist zu einer faszinierenden Athletin gereift und hat mit ihrem zweiten Australian-Open-Titel bekräftigt, dass ihr die Gegenwart und die Zukunft ihres Sports gehören können. Sie kann in den seit Jahren munter wechselnden Siegerlisten die Konstante werden. Von Montag an ist Osaka wieder die Nummer zwei der Welt, sie ist eine herausragende Spielerin für die großen Momente. „Meine Einstellung ist, dass die Menschen sich nicht an die Finalisten
Naomi Osaka präsentiert den Daphne Akhurst Memorial Cup.
erinnern“, sagte Osaka: „Der Name der Siegerin ist der, der sich einprägt.“
Mit einem sanften Lächeln stand Osaka am Sonntag mit dem Daphne Akhurst Memorial Cup für die Fotografen auf dem Gelände des Government House in Melbourne. Vier Grand-Slam-Titel hat sie nun. Von den aktiven Spielerinnen haben nur Serena Williams (23) und Venus Williams (7) mehr. Das nicht hochklassige 77-minütige Endspiel vom Samstag gegen die amerikanische Final-Debütantin Brady mit einer zu Beginn auch zu nervösen Osaka wird nicht lange in Erinnerung bleiben. Wohl aber die Statistik, die daraus resultiert: Ihre ersten vier Grand-Slam-Endspiele hat sie gewonnen.
Dass sie damit auf einer Stufe mit Roger Federer und Monica Seles steht, nannte die japanische Athletin „verrückt“. Charmant, stets höflich und mit Bedacht, aber auch weiter mit einer nicht gewöhnlichen Offenheit geht sie inzwischen mit den Fragen der Weltpresse um. Manchmal wirkt sie noch etwas schüchtern. Osaka, die Tochter einer Japanerin und eines haitianischen Vaters und auch US-Staatsbürgerin, ist aber dafür bekannt, dass sie über die Sportszene hinausblickt und selbstbewusst ihre Meinung vertritt.
Bei den vergangenen US Open trug sie zu jedem Match einen Mundschutz mit dem Namen eines Opfers der Polizeigewalt in den USA. Es habe sie „verängstigt“, räumte sie nun ein, dass sie sich dann zu Themen äußern sollte, über die sie nichts gewusst habe. Derr Sieg von Melbourne sei nicht mit einer Botschaft verknüpft.