Warum der Spaziergang mit Hund jetzt so guttut
In den langen Monaten der Krise ist der Spaziergang mit dem Hund für viele noch mehr als sonst zu einem besonders wohltuenden Ritual geworden. Was Hundefreunde derzeit im Freien erleben können
Ziemetshausen Zunächst ist da vielleicht nur ein sanftes Stupsen. Je nach Größe des Stupsers etwa an der Wade des Menschen oder des Oberschenkels oder gar an dieser einen, empfindlichen Stelle oberhalb der Hüfte. Schenkt man dem Stups keine Beachtung, schiebt sich alsbald eine feuchte Schnauze in die Menschenhand. Wer jetzt nach unten auf den Störenfried schaut, hat schon verloren. Ein Blick aus Hundeaugen – mahnend, bettelnd, fordernd. Jeder Widerstand ist zwecklos.
Es ist Gassi-Geh-Zeit, nicht nur am heutigen Welt-Gassi-Geh-Tag, sondern an jedem Tag. Genau genommen ist für den Hund sogar jeder Moment ein Gassi-Geh-Moment. Greift Herrchen oder Frauchen zu jener ganz bestimmten Jacke, die mit den Sabberflecken an Ärmel und Saum und mit diesem unvergleichlichen Leckerliduft aus den Taschen, gerät Hund oder Hündchen in Ekstase.
Und egal, ob struppige Straßenkreuzermischung oder wohlfrisierter Rassehund, beim Griff zur Leine mutiert jeder Vierbeiner zum rasenden Derwisch, der mit wild wedelndem Schweif die Wollmäuse unterm Sofa neu aufwirbelt und die Kaffeetassen vom Tisch fegt. Für Joy, die Berner Sennenhündin von Gabi Jungmann aus Ziemetshausen, findet die Gassirunde am frühen Morgen statt. „Ein Ritual, das mich durch den ganzen Tag trägt“, wie Frauchen Gabi betont.
Und beim Blick in die Natur ringsum kann man der Geschäftsfrau nur recht geben. Glitzernder Raureif auf sonnenbeschienen Wiesen, morgendlicher Dunst taucht den fernen Wald in zarte Aquarellfarben und eine Stille, die noch ganz verschont ist von der hektischen Betriebsamkeit des beginnenden Tages. „Ein Jogger mit Ohrstöpseln hat dafür doch kaum einen Blick“, sinniert Gabi Jungmann während Joy schwanzwedelnd jeden Stein und jeden Grashalm abschnüffelt.
Überhaupt habe der Hund ihr ganzes Leben bereichert, seit die Familie ihn vor knapp zwei Jahren angeschafft hat, erzählt Gabi Jungmann. „Es gibt für mich nichts Schöneres als nach Hause zu kommen und von Joy überschwänglich jubelnd und schwanzwedelnd begrüßt zu werden.“
Wie herzzerreißend traurig muss da Argos, der Hund von Odysseus dem Seefahrer gewesen sein, als sein nach jahrelanger Irrfahrt nach Hause zurückkehrte. Um sich vor seinen Feinden, die schon um seine Frau und sein Anwesen buhlten, nicht erkennen zu geben, verkleidete sich der Held. Argos aber erkennt seinen Herrn auch nach der langen Trennung und kam schwanzwedelnd auf ihn zu.
Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, ignoriert Odysseus den Hund. Argos, so erzählt es die Sage, schleicht sich auf seinen Platz zurück und stirbt. Das kann Amy und Pepper, den beiden Neufundländern von Hermann Bicker nicht passieren. Ob sich Hunde oder Herr mehr freuen, lässt sich bei all dem Jubel und Radau nicht sagen, wenn abends die Haustüre aufgeht.
Der anstehenden Gassirunde sieht Hermann Bicker im Moment mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Pepper ist noch jung und neu in der Familie. Überdies ist ihr die Autorität und der Respekt, den Hermann Bicker als stellvertretenSchulleiter der Realschule Krumbach genießt, völlig fremd. „Ich gehe zurzeit am liebsten bei Regenwetter Gassi“, bekennt der Hundefan. „Da begegnen wir kaum jemand, keiner sieht, wie ich dem Hund im Matsch hinterher hechte und ich muss mich nicht ständig bei fremden Menschen entschuldigen, die mein Hund in seiner Kontaktfreudigkeit angesabbert hat.“
Überhaupt, die Menschen. Gerade jetzt in Coronazeiten, wo Wirtshaus, Eislaufanlage und Einkaufcenter geschlossen haben, spaziert die halbe Welt über einsamste Feldwege, wo bisher kaum ein Mensch zu sehen war. Ein Hund bietet da auch schnell ein Gesprächsthema und eine willkommene Gelegenheit, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen in ansonsten eher kontaktarmen Zeiten. „Als es wirklich gar zu langweilig wurde zwischen Fernsehschauen und Brettspielen“, erzählt Manuela Kunst aus Uttenhofen, „haben sogar meine Kinder daHerrchen rum gebettelt, mit unseren Hunden rausgehen zu dürfen. Mitunter so häufig, dass es Jacky und Cara, unseren beiden Mischlingshunden, schon fast zu viel war.“
Auch Manuela Kunst ist aufgefallen, wie viele Spaziergänger und Radler auf den ansonsten einsamen Wegen unterwegs waren. „Da mussten die Hunde natürlich immer an die Leine. Man möchte ja niemand ängstigen oder stören.“Das passiert natürlich kaum, wenn Hund und Herrchen ausgesprochene Nachtwanderer sind.
Dazu gehört zum Beispiel Emma, der Golden Retriever von Mark und Daniela Stammel. Mit Frauchen Daniela spaziert Emma gerne am frühen Morgen. Auf eine ausgedehnte Schnüffelrunde in der Dunkelheit freut sie sich, wenn Herrchen Mark spätabends zur Hundeleine greift. Geräusche und Gerüche sind anders als am Tag, alles scheint fremder und abenteuerlicher und für Mark Stammel ist es ein entspander nender Ausgleich zur Arbeit in seiner Autowerkstatt. „Welt-GassiTag hin oder her, ohne Hund würde mir die Motivation zur Bewegung fehlen“, sagt er.
Der Welttag des Gassi-Gehens hat wie so manche mitunter kurios anmutenden Welttage seine Ursprünge in den USA. Wie bei ähnlichen ist auch beim Walking the Dog Day der Ursprung/Hintergrund nicht näher bekannt. Für alle Leser, die die Liebe zum Hund nur ganz eingeschränkt teilen, sei gesagt, am Montag, 22. Februar ist auch noch Tag der Weißwurst, Welttag der Pfadfinder, der japanische Katzentag und der Koch-mit-Süßkartoffeln-Tag. Und für alle, die vom Hund gar nicht genug bekommen können: Gleich am Dienstag, 23. Februar, wird der Tag des Hundekuchens begangen. Auch so ein Leckerli wird gern mit einem sanften Stupser eingefordert, oder einem Blick aus bettelnden, fordernden Hundeaugen. Wuff.