200 Milliarden für bezahlbare Energie
Wie in der Finanz- und in der Corona-Krise spannt der Staat noch einmal einen Schutzschirm für Bürger und Unternehmen. Trotzdem bleibt die konjunkturelle Lage bei zehn Prozent Inflation fragil.
In der Energiekrise schaltet die Regierung rhetorisch in den Kriegsmodus. „Wir befinden uns in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bei der Vorstellung des neuen Krisenplans der Ampelparteien. Und wer sich im Krieg wähnt, kann alle Mittel mobilisieren. Im Falle der Bundesregierung sind das bis zu 200 Milliarden Euro, die sie an neuen Schulden aufnimmt. Mit dem Geld sollen die Strom- und Gaspreise gesenkt und die großen Gasimporteure gestützt werden, die derzeit teuer Ersatz für ausbleibendes russisches Gas beschaffen. „Die Preise müssen runter“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Im Gegenzug verzichtet die Regierung auf die umstrittene Gasumlage, die ab Samstag greifen und von allen Gaskunden bezahlt werden sollte. Sollten Verbraucher sie bereits gezahlt haben, muss sie ihnen wieder erstattet werden. Die
Mehrwertsteuersenkung auf Gas von 19 auf sieben Prozent bleibt dagegen bestehen. „Man kann sagen, das ist hier Doppel-Wumms“, meinte Scholz, der als Finanzminister in der Pandemie einst noch gesagt hatte: „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen.“
Die Preisbremse soll folgendermaßen funktionieren: Der Staat subventioniert einen Basisverbrauch von Verbrauchern und Unternehmen, dessen Höhe noch festgelegt werden muss. Dazu soll eine Kommission im Oktober Vorschläge machen. Den Gasversorgern zahlt der Bund die Differenz zu den höheren Marktpreisen. Beim Strom soll der Preisdeckel über eine Abschöpfung hoher Gewinne von Stromkonzernen finanziert werden. Sowohl beim Gas als auch beim Strom soll der über dem Basisverbrauch liegende Bedarfnicht verbilligt werden, um Unternehmen und Haushalte zum Energiesparen zu ermuntern.
„Die Energiekrise droht sich zu einer Wirtschafts- und sozialen Krise auszuwachsen“, betonte Wirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne). Der Abwehrschirm sei die Antwort auf Putins Angriff auf die deutsche Volkswirtschaft. Damit Lindner im nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten kann, bedient sich die Regierung eines Buchungstricks, den sie schon zweimal angewendet hat. Wie beim Hilfspaket für die Bundeswehr und dem Klimafonds nimmt sie dieses Jahr vorsorglich enorme Summen auf, um die großen Aufgaben der nächsten Jahre finanzieren zu können. In diesem Jahr ist die Schuldenbremse wegen Corona noch ausgesetzt. Für den Kampf gegen die Pandemie hatte der Bund ein ähnliches Hilfspaket mit 600 Milliarden Euro geschnürt. Für die Bankenrettung in der Finanzkrise stellte er 2008 rund 500 Milliarden bereit.
CSU-Chef Markus Söder lobte den Abwehrschirm im Grundsatz. Er habe stets einen großen Wurf gefordert, „dies scheint der Fall zu sein“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Aus der Wirtschaft kommt ebenfalls Zustimmung: Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der
Chemischen Industrie, einer besonders energieintensiven Branche, sagte: „Das ist ein wichtiger Befreiungsschlag. Geklotzt und nicht gekleckert.“Doch nun sei Tempo bei den Details nötig, denn immer mehr Unternehmen stünden mit dem Rücken zur Wand.
Kurz zuvor hatten die vier führenden Wirtschaftsforschungsinstitute eine düstere Prognose für das nächste Jahr vorgelegt. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose erwarten sie einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent. Im ungünstigsten Fall, in dem ein kalter Winter auf geringe Einsparungen beim Gasverbrauch trifft, würde die Konjunktur sogar um 7,9 Prozent und 2024 noch einmal um 4,2 Prozent einbrechen. Zum Vergleich: Im ersten Corona-Jahr schrumpfte die deutsche Wirtschaftskraft „nur“um 3,7 Prozent.
„Die krisenhafte Zuspitzung auf den Gasmärkten belastet die deutsche Wirtschaft schwer“, heißt es im Gutachten. Pro Kopf verlieren die Deutschen durch die Krise danach 2000 Euro, die sie sonst mehr zum Leben gehabt hätten. Die Inflation,
die nach Angabe des Statistischen Bundesamtes im September auf zehn Prozent gestiegen ist, wird nach Einschätzung der Konjunkturforscher in diesem Jahr im Schnitt bei 8,4 Prozent liegen und im kommenden Jahr sogar auf 8,8 Prozent steigen.
Den Einsatz der 200 Milliarden Euro sieht Lindner auch als „eine Art Inflationsbremse“, da die Preisentwicklung gedämpft werde. An die Kapitalmärkte solle das Signal gesendet werden, dass Deutschland an seiner stabilitätsorientierten Finanzpolitik festhalte. Die Preise für Strom, Sprit und das Heizen seien der „entscheidende Kanal, der die deutsche Wirtschaft in die Inflation treiben wird“, betonte auch Torsten Schmidt vom Essener RWI-Institut. Erst 2024 wird die Teuerung danach allmählich in Richtung der angestrebten Zwei-Prozent-Marke zurückgehen. Die rasant anschwellenden Preise führen dazu, dass sich die Leute weniger leisten können, etwa teure Lebensmittel, den Kinobesuch oder die Fahrt in den Urlaub.