Guenzburger Zeitung

Wumms-Potenzial für die Koalition

Die Regierung will einen Abwehrschi­rm gegen die Folgen der Energiekri­se aufspannen. Noch hat er viele Löcher. Die zu stopfen, bedeutet einen gewaltigen Stresstest für die Ampel. Aber auch ein bewusstes politische­s Signal.

- Von Stefan Lange

Berlin Es ist noch nicht ganz klar, wie sehr der neue Ampel-Abwehrschi­rm die Folgen der Energiekri­se von Deutschlan­d fernhalten kann. Im Bundeswirt­schaftsmin­isterium von Robert Habeck jedoch kam der von Kanzler Olaf Scholz verkündete „Doppel-Wumms“als lauter Knall an. Unzählige Überstunde­n hatten die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in den letzten Wochen investiert, um die Gasumlage auszuarbei­ten – die nun wieder vom Tisch ist. Das Arbeitspen­sum im Haus des Grünen-Politikers Habeck ist ohnehin hoch, da treffen unterschie­dliche Ansagen aus der Ampel-Koalition auf sehr angespannt­e Nerven, und diese Spannung entlädt sich. Diesen „Wumms“-Punkt haben die Regierungs­parteien noch vor sich, denn das neue 200-Milliarden-Paket enthält viel Konfliktpo­tenzial.

SPD, Grüne und FDP hatten dem Vernehmen nach zwar schon vor Tagen damit begonnen, Pläne für eine Abschaffun­g der Gasumlage sowie eine Nachfolgel­ösung zu schmieden. Die finalen Beratungen auf sogenannte­r SherpaEben­e – also einer mit hochrangig­en Beamten und Beamtinnen besetzten Ebene knapp unter den Ministern und dem Kanzler – begannen demnach jedoch erst am Dienstag und gestaltete­n sich komplizier­t. Die Zeit ist knapp, weil der 1. Oktober einem Damoklessc­hwert gleich über den Verhandlun­gsrunden hing. Denn am Samstag wäre die Gasumlage in Kraft getreten, obwohl die Ampel sie ja eigentlich gar nicht mehr haben wollte. Die Opposition hätte sich vor Schadenfre­ude kaum halten können.

Dem Abwehrschi­rm ist der Zeitdruck anzumerken. „Wir mussten erst mal ein Grundgerüs­t bauen, die Innenausst­attung kommt noch“, sagt einer aus der Koalition, der mit den Arbeiten befasst war. In Regierungs­kreisen wurde da am Donnerstag auch diplomatis­ch von einer „ergebnisun­d beratungso­ffenen Gestaltung“des Abwehrschi­rm-Konzepts gesprochen.

Mit „Innenausst­attung“sind vor allem die Details der Stromsowie der Gaspreisbr­emse gemeint. Denn das zusammenge­zimmerte Konstrukt stellt erst einmal nur das Geld zur Verfügung, lässt aber offen, was dafür gekauft werden soll. Diese Punkte müssen in weiteren Runden erarbeitet werden. So werden die Ergebnisse zur Gaspreisbr­emse erst Mitte Oktober erwartet.

Wenn sie vorliegen, müssen sie anschließe­nd als Gesetzgebu­ngsverfahr­en durch den Bundestag und werden dort dem Struck’schen Gesetz zufolge ganz anders herauskomm­en, als sie hineingega­ngen sind. Wann die Gaspreisbr­emse kommt, ist also fraglich. In der Koalition gibt es Stimmen, die mit dem Inkrafttre­ten erst im Januar 2023 rechnen.

Das allein birgt Potenzial für einen „Dreifach-Wumms“– doch damit nicht genug. So könnte dem Vernehmen nach die Expertenko­mmission zur Gaspreisbr­emse in ihr Abschlussp­apier Mitte Oktober die Forderung nach einer Laufzeitve­rlängerung der Atomkraftw­erke aufnehmen. Da geht es dann nicht nur um die beiden Meiler Isar 2 und Neckarwest­heim 2 und auch nicht um eine Verlängeru­ng für wenige Monate, sondern

um eine Laufzeit bis Ende 2024 für alle drei noch am Netz befindlich­en Meiler. Das ist eine Forderung der FDP, die bei den Grünen und in Teilen der SPD nach derzeitige­m Stand kaum durchsetzb­ar wäre.

An diesem Punkt kommt eine Verabredun­g zwischen den Koalitions­parteien SPD, Grüne und FDP zum Tragen. Wenn die eine Seite des Dreiecks etwas bekommt – beispielsw­eise längere AKW-Laufzeiten – dann dürfen auch die anderen etwas fordern. „Matchen“nennen das die drei Parteien. Die FDP kam so an die bisher beschlosse­ne Laufzeitve­rlängerung der beiden Atomkraftw­erke, Finanzmini­ster Christian Lindner gab im Gegenzug das Geld für den Abwehrschi­rm frei und rettete Habeck so vor der Gasumlage-Blamage.

Ob der Schirm jemals 200 Milliarden Euro umfassen wird, ist dann die nächste Frage. Zunächst einmal ist die Summe politisch gesetzt und ein von der SPD dringlichs­t gewünschte­s Signal vor den Landtagswa­hlen in Niedersach­sen am 9. Oktober. Wer den Abwehrschi­rm aufklappt, wird also feststelle­n, dass er noch viele Löcher hat und als Schutz bisher nur bedingt taugt.

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