Guenzburger Zeitung

Maschinenb­auer sind noch zuversicht­lich

In der größten deutschen Industrieb­ranche sollen die 1,35 Millionen Arbeitsplä­tze trotz hoher Energiepre­ise gehalten werden. Warum es für den Wirtschaft­szweig deutlich besser als für die chemische Industrie aussieht.

- Von Stefan Stahl

Frankfurt am Main Wenn derzeit eines in Deutschlan­d Hochkonjun­ktur hat, sind das dramatisch­e Appelle von Branchenve­rbänden an die Politik, um auf die Folgen der extrem hohen Energiepre­ise für Unternehme­n zu verweisen. Auch wenn jetzt eine Gaspreis-Bremse kommt, ist die Lage gerade für die chemische Industrie mit mehr als 530.000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn besonders prekär.

Statements des Verbandes der Chemischen Industrie – kurz VCI – lesen sich wie Brandbrief­e. So fleht VCI-Hauptgesch­äftsführer Wolfgang Große Entrup die Bundesregi­erung an: „Wenn Chemie-Unternehme­n wegen astronomis­cher Energiekos­ten ihre Produktion drosseln oder gar einstellen müssen, ist das eine Katastroph­e für unseren Industries­tandort Deutschlan­d.“Fast schon resigniere­nd fügt der Lobbyist hinzu: „Ein Mittelstän­dler nach dem anderen bricht uns weg. Ohne Chemie steht unser Land still.“Seit Juli häufen sich die Nachrichte­n, dass Produktion­sanlagen in der Grundstoff­Chemie wegen der exorbitant­en Gas-Preise runtergefa­hren werden, weil sie sich nicht mehr rechnen. Deutschlan­d im Herbst des Jahres, als Russlands Diktator Wladimir Putin die Ukraine mit einem Krieg überzogen und Berlin das Gas abgedreht hat, gibt indes kein einheitlic­hes wirtschaft­liches Bild ab. Denn der mit 1,35 Millionen Beschäftig­ten größte Industriez­weig, der Maschinen- und Anlagenbau, befindet sich trotz aller Widrigkeit­en und Rezessions­erwartunge­n in einem stabilen Zustand.

Ralph Wiechers, Chefvolksw­irt des Branchenve­rbandes VDMA, sagt unserer Redaktion: „Wir blicken mit Zuversicht nach vorne, wenn auch mit einem gewissen Unbehagen.“Dieses Unwohlsein speist sich daraus, dass der Fortgang des Krieges ebenso unberechen­bar ist wie die weitere Entwicklun­g der Energiepre­ise. Gerade kleinere Maschinenb­auer plagt die Sorge, Energiever­sorger könnten ihnen keinen neuen Vertrag geben, wenn der alte ausläuft. Dann müssten sie sich an den Spotmärkte­n eindecken, was für die Betriebe extrem teuer und vor allem unberechen­bar werden kann.

Woher rührt dennoch die Zuversicht in den Reihen des Maschinenb­aus? Hier kommen den Unternehme­n des Wirtschaft­szweigs zwei Faktoren zugute, die VDMAKonjun­ktur-Experte Olaf Wortmann hervorhebt: Einerseits liegt der Anteil der Aufwendung­en für Energie bei den Betrieben in Bezug auf die Gesamtkost­en nur „in einem niedrigen einstellig­en Prozentber­eich“. Das Statistisc­he Bundesamt nennt hier einen Wert von 3,0 Prozent, während die Kennziffer in der Chemie- und Pharmaindu­strie mit 11,0 Prozent fast vier Mal so hoch ausfällt. In der Grundstoff-Chemie

schlagen die Energiekos­ten hinsichtli­ch der BruttoWert­schöpfung gar mit 19 Prozent zu Buche, was nur noch von der Stahlindus­trie übertroffe­n wird.

Kann der Maschinenb­au den Energie- und insbesonde­re Gaspreis-Anstieg gelassen betrachten? Hier warnt VDMA-Chefvolksw­irt Wiechers: „Der Gaspreis frisst sich durch die ganze Wertschöpf­ungskette durch.“Auch wenn die Bundesregi­erung die Energiepre­ise staatlich deckelt und dafür Unsummen in die Hand nimmt, heißt das: Durch steigende Energiekos­ten werden Vorprodukt­e wie Stahl und Alu ebenso deutlich teurer, wie viele Komponente­n, die für den Bau von Maschinen benötigt werden. Dennoch ist die Lage für die Betriebe der Branche zwar angespannt, aber deutlich besser als zum Beispiel für Chemie-Unternehme­n. Das ist der Hintergrun­d der VDMA–Formel „Zuversicht mit einem gewissen Unbehagen“.

Die zweite und nach wie vor verlässlic­he Quelle für das intakte positive Denken unter vielen Maschinenb­auern speist sich aus dem rekordverd­ächtig hohen durchschni­ttlichen Auftragsbe­stand von 12,1 Monaten. So lange haben die Unternehme­n des Wirtschaft­szweigs rechnerisc­h Aufträge in den Büchern, um die Produktion auszulaste­n. „Das ist ein enormer Beruhigung­sfaktor“, sagt VDMAKonjun­ktur-Experte Wortmann. Und so rechnet der Verband noch mit einem Produktion­splus von preisberei­nigt plus 1,0 Prozent für 2022. Nach der Prognose können sich die Maschinenb­auer im kommenden Jahr aber dem allgemeine­n Abwärtstre­nd nicht entziehen. Hier soll die Produktion um 2,0 Prozent zurückgehe­n. Das Minus wäre – im langjährig­en Vergleich betrachtet – nicht tragisch: Denn 2008, im Jahr der Finanzmark­tkrise, musste die Branche einen Produktion­srückgang von 25 Prozent verkraften. Und 2020, in der Corona-Zeit mit Produktion­seinschrän­kungen, rutschte die Zahl um 12,0 Prozent in den negativen Bereich. Was in dem Pandemie-Jahr interessan­t war: Die Zahl der Beschäftig­ten ging hier nur um 3,0 Prozent zurück. Daher gibt sich Wortmann zuversicht­lich, „dass die Maschinenb­auer im kommenden Jahr die Zahl von 1,35 Millionen Beschäftig­ten halten werden“. Natürlich könne es auch vereinzelt zu Insolvenze­n kommen: „Doch einige unserer Unternehme­n werden die Gunst der Stunde nutzen, um so dringend benötigte Spezialist­innen und Spezialist­en zu gewinnen.“Denn nach wie vor ist für die meisten Maschinenb­auer der Fachkräfte­mangel die größte Herausford­erung noch vor den hohen Energiepre­isen. Oft denken die Verantwort­lichen der Firmen langfristi­g: Sie halten am Fachperson­al auch in Krisenzeit­en weitgehend fest, weil sie wissen, wie schwer es wird, beim nächsten Aufschwung neue Expertinne­n und Experten zu finden. Insofern ist der Maschinenb­au eine Stütze für Deutschlan­d.

Branche ist eine Stütze für Deutschlan­d

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Foto: Bernd Weißbrod, dpa Die Energiekri­se strahlt auch auf den Maschinenb­au aus, doch die Branche ist weniger betroffen als andere.

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