Maschinenbauer sind noch zuversichtlich
In der größten deutschen Industriebranche sollen die 1,35 Millionen Arbeitsplätze trotz hoher Energiepreise gehalten werden. Warum es für den Wirtschaftszweig deutlich besser als für die chemische Industrie aussieht.
Frankfurt am Main Wenn derzeit eines in Deutschland Hochkonjunktur hat, sind das dramatische Appelle von Branchenverbänden an die Politik, um auf die Folgen der extrem hohen Energiepreise für Unternehmen zu verweisen. Auch wenn jetzt eine Gaspreis-Bremse kommt, ist die Lage gerade für die chemische Industrie mit mehr als 530.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders prekär.
Statements des Verbandes der Chemischen Industrie – kurz VCI – lesen sich wie Brandbriefe. So fleht VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup die Bundesregierung an: „Wenn Chemie-Unternehmen wegen astronomischer Energiekosten ihre Produktion drosseln oder gar einstellen müssen, ist das eine Katastrophe für unseren Industriestandort Deutschland.“Fast schon resignierend fügt der Lobbyist hinzu: „Ein Mittelständler nach dem anderen bricht uns weg. Ohne Chemie steht unser Land still.“Seit Juli häufen sich die Nachrichten, dass Produktionsanlagen in der GrundstoffChemie wegen der exorbitanten Gas-Preise runtergefahren werden, weil sie sich nicht mehr rechnen. Deutschland im Herbst des Jahres, als Russlands Diktator Wladimir Putin die Ukraine mit einem Krieg überzogen und Berlin das Gas abgedreht hat, gibt indes kein einheitliches wirtschaftliches Bild ab. Denn der mit 1,35 Millionen Beschäftigten größte Industriezweig, der Maschinen- und Anlagenbau, befindet sich trotz aller Widrigkeiten und Rezessionserwartungen in einem stabilen Zustand.
Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Branchenverbandes VDMA, sagt unserer Redaktion: „Wir blicken mit Zuversicht nach vorne, wenn auch mit einem gewissen Unbehagen.“Dieses Unwohlsein speist sich daraus, dass der Fortgang des Krieges ebenso unberechenbar ist wie die weitere Entwicklung der Energiepreise. Gerade kleinere Maschinenbauer plagt die Sorge, Energieversorger könnten ihnen keinen neuen Vertrag geben, wenn der alte ausläuft. Dann müssten sie sich an den Spotmärkten eindecken, was für die Betriebe extrem teuer und vor allem unberechenbar werden kann.
Woher rührt dennoch die Zuversicht in den Reihen des Maschinenbaus? Hier kommen den Unternehmen des Wirtschaftszweigs zwei Faktoren zugute, die VDMAKonjunktur-Experte Olaf Wortmann hervorhebt: Einerseits liegt der Anteil der Aufwendungen für Energie bei den Betrieben in Bezug auf die Gesamtkosten nur „in einem niedrigen einstelligen Prozentbereich“. Das Statistische Bundesamt nennt hier einen Wert von 3,0 Prozent, während die Kennziffer in der Chemie- und Pharmaindustrie mit 11,0 Prozent fast vier Mal so hoch ausfällt. In der Grundstoff-Chemie
schlagen die Energiekosten hinsichtlich der BruttoWertschöpfung gar mit 19 Prozent zu Buche, was nur noch von der Stahlindustrie übertroffen wird.
Kann der Maschinenbau den Energie- und insbesondere Gaspreis-Anstieg gelassen betrachten? Hier warnt VDMA-Chefvolkswirt Wiechers: „Der Gaspreis frisst sich durch die ganze Wertschöpfungskette durch.“Auch wenn die Bundesregierung die Energiepreise staatlich deckelt und dafür Unsummen in die Hand nimmt, heißt das: Durch steigende Energiekosten werden Vorprodukte wie Stahl und Alu ebenso deutlich teurer, wie viele Komponenten, die für den Bau von Maschinen benötigt werden. Dennoch ist die Lage für die Betriebe der Branche zwar angespannt, aber deutlich besser als zum Beispiel für Chemie-Unternehmen. Das ist der Hintergrund der VDMA–Formel „Zuversicht mit einem gewissen Unbehagen“.
Die zweite und nach wie vor verlässliche Quelle für das intakte positive Denken unter vielen Maschinenbauern speist sich aus dem rekordverdächtig hohen durchschnittlichen Auftragsbestand von 12,1 Monaten. So lange haben die Unternehmen des Wirtschaftszweigs rechnerisch Aufträge in den Büchern, um die Produktion auszulasten. „Das ist ein enormer Beruhigungsfaktor“, sagt VDMAKonjunktur-Experte Wortmann. Und so rechnet der Verband noch mit einem Produktionsplus von preisbereinigt plus 1,0 Prozent für 2022. Nach der Prognose können sich die Maschinenbauer im kommenden Jahr aber dem allgemeinen Abwärtstrend nicht entziehen. Hier soll die Produktion um 2,0 Prozent zurückgehen. Das Minus wäre – im langjährigen Vergleich betrachtet – nicht tragisch: Denn 2008, im Jahr der Finanzmarktkrise, musste die Branche einen Produktionsrückgang von 25 Prozent verkraften. Und 2020, in der Corona-Zeit mit Produktionseinschränkungen, rutschte die Zahl um 12,0 Prozent in den negativen Bereich. Was in dem Pandemie-Jahr interessant war: Die Zahl der Beschäftigten ging hier nur um 3,0 Prozent zurück. Daher gibt sich Wortmann zuversichtlich, „dass die Maschinenbauer im kommenden Jahr die Zahl von 1,35 Millionen Beschäftigten halten werden“. Natürlich könne es auch vereinzelt zu Insolvenzen kommen: „Doch einige unserer Unternehmen werden die Gunst der Stunde nutzen, um so dringend benötigte Spezialistinnen und Spezialisten zu gewinnen.“Denn nach wie vor ist für die meisten Maschinenbauer der Fachkräftemangel die größte Herausforderung noch vor den hohen Energiepreisen. Oft denken die Verantwortlichen der Firmen langfristig: Sie halten am Fachpersonal auch in Krisenzeiten weitgehend fest, weil sie wissen, wie schwer es wird, beim nächsten Aufschwung neue Expertinnen und Experten zu finden. Insofern ist der Maschinenbau eine Stütze für Deutschland.
Branche ist eine Stütze für Deutschland