Guenzburger Zeitung

„Die Wiesn ist wie Urlaub“

Bedienung Verena Schulte erklärt, warum das Oktoberfes­t entspannte­r ist als manch anderes Volksfest und wie sie Männer gerne zum Weinen bringt.

- Von Quirin Hönig

München Um zehn Maßkrüge oder elf Hendl gleichzeit­ig durch die Gegend zu tragen, nehmen sich wahrschein­lich die wenigsten Menschen Urlaub. Doch Verena Schulte aus Niederbaye­rn hat sich vor Corona jedes Jahr von ihrem regulären Gastronomi­e-Job freigenomm­en, um auf verschiede­nen Volksfeste­n zu bedienen. In dieser Saison arbeitet die gelernte Köchin zum ersten Mal „hauptberuf­lich“in Bierzelten. Aktuell im HackerFest­zelt auf dem Münchner Oktoberfes­t – obwohl sie dort nie hin wollte. Eigentlich.

„Ich wollte nie auf die Wiesn zum Arbeiten“, erzählt Schulte, „ich habe mich jahrelang geweigert“. Vor etwa sieben Jahren habe sie dann aber eine Freundin um sieben in der Früh angerufen, als sie gerade von einer regulären Schicht nach Hause kam. Ihnen sei eine Bedienung abgesprung­en, habe diese erzählt und versucht, sie zum Einspringe­n zu überreden. „Dann habe ich einfach nur gesagt, wenn ich jetzt Ja sage, darf ich dann weiterschl­afen?“, erzählt Schulte lachend. Bereut hat sie die Entscheidu­ng aber nicht.

„Die Wiesn ist für mich wie Urlaub“, sagt Schulte. Das meint sie im Vergleich zu anderen Volksfeste­n oder zur Arbeit in der „normalen“Gastronomi­e. „Du hast auf einem normalen Volksfest zwischen sechs und zwölf Tische pro Bedienung“, sagt sie, „auf der Wiesn hast du drei.“

Weniger Tische auf der Wiesn bedeuten auch mehr Zeit für ihre Gäste. Dadurch hat sie schon viele internatio­nale Freunde gefunden – und bringt manchmal auch Männer zum Weinen, wenn sie ihnen eine bayerische Tradition beibringt. „Ich habe hinten in meiner Tasche meinen Privat-Schnupftab­ak“, erzählt Schulte. Der sei nicht „das harmlose Zeug, das du auf der Wiesn kaufen kannst.“Die Reaktionen

seien entspreche­nd. „Ich bringe so gerne Männer zum Weinen“, sagt sie und lacht.

Zur Arbeit auf den Volksfeste­n ist die 30-Jährige aus der Nähe von Eggenfelde­n anfangs über ihre Kontakte in der Gastronomi­e gekommen. „Das ist jetzt zehn Jahre her“, erzählt sie. Dabei hat sie sich nicht nur auf Bayern beschränkt, sondern arbeitete auch beispielsw­eise auf einem Schützenfe­st in Hannover. „Seit ein paar Jahren mache ich nur noch die Hauptfeste“, erzählt Schulte. Das heißt für sie: das Gäuboden-Volksfest in

Straubing, das Karpfhamer Fest, das Freisinger Volksfest und zum Abschluss das Oktoberfes­t.

Früher habe man gute Kontakte gebraucht, um an einen der begehrten Jobs auf dem Oktoberfes­t zu gelangen. Dieses Jahr sei das anders gewesen. Die Pandemie hat die Gastronomi­ebranche hart getroffen. „Die haben sie in den letzten zwei Jahren kaputtgema­cht“, sagt Schulte. Sie selbst sei im ersten Corona-Winter sieben Monate arbeitslos gewesen. Viele Kolleginne­n und Kollegen hätten sich dann einen anderen Job gesucht, erzählt sie. Das liege auch an der schlechten Bezahlung in der Branche.

Da viele bewährte Wiesnkräft­e plötzlich nicht mehr zur Verfügung standen, mussten die Zeltbetrei­ber dieses Jahr nach Personal suchen. Auch die anderen Feste blieben nicht verschont, meint Schulte. „Das ist in Karpfham auch so gewesen. Da haben sie alles genommen, was sie gekriegt haben, weil zu wenige Kellner da waren.“

Ein großes Problem für viele Oktoberfes­t-Beschäftig­te gebe es aber nach wie vor: die Suche nach einer Unterkunft. „Das ist das komplizier­teste“, sagt Schulte, „jemanden in München zu finden, bei dem du schlafen kannst.“Die bayerische Landeshaup­tstadt, in der Wohnraum eh schon knapp ist, platzt während der Wiesn aus allen Nähten. Manche Kolleginne­n und Kollegen würden horrende Summen für winzige Zimmer zahlen, erzählt Schulte.

Sie selbst ist bei Bekannten untergekom­men, in einer Wohnung in Gehweite des Festgeländ­es. Das sei ihr wichtig gewesen, sagt Schulte, denn nachts in der Wiesnzeit fährt sie nur ungern U-Bahn. „Ich als Frau versuche das zu vermeiden.“Ansonsten ist sie sehr genügsam, was ihre Unterkunft angeht. „Du brauchst ein Bett, eine Dusche und eine Waschmasch­ine. Mehr brauchst du auf einem Fest nicht“, sagt sie, „weil du eh den ganzen Tag im Zelt bist.“

In ihrer Freizeit würde sie übrigens nie auf das Oktoberfes­t gehen. „Das hat für mich nicht mehr so viel mit einem traditione­llbayerisc­hen Volksfest zu tun“, sagt Schulte und blickt bereits auf die Zeit nach der Wiesn, die an diesem langen Wochenende zu Ende geht. Dann will sie nämlich nach Australien. Dort hat sie bereits vor der Pandemie in einem bayerische­n Restaurant in Sydney gearbeitet, bis alle Ausländer 2020 wegen Corona aus dem Land geworfen wurden. Das Jobangebot dafür hatte sie 2019 auf der Wiesn bekommen.

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Foto: Dominik Gerhards Verena Schulte, 30, arbeitet derzeit im Hacker-Festzelt auf dem Münchner Oktoberfes­t.

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