Guenzburger Zeitung

Deutschlan­ds glücklichs­ter Jazzmusike­r

- Von Reinhard Köchl

Er spricht zwar kaum ein Wort Deutsch, aber der US-Pianist Richie Beirach ist ein erklärter Fan von „Germany“. Das liegt nicht nur an dem ruhigen Ort, in dem er lebt, sondern hat auch handfeste Gründe – und musikalisc­he.

Heßheim Wein und Spargel satt direkt vor der Haustür, knapp 3000 Einwohner, jeder kennt jeden und keiner würde das alles hier ohne Not mit etwas anderem tauschen wollen. Dazu passt auch dieser etwas schrullige, aus dem Rahmen fallende Amerikaner, der die geschichts­trächtige Offenheit des Orts in der Pfalz wie kein Zweiter repräsenti­ert. „Lebbe und lebbe lasse.“Oder wie es Richie Beirach, der prominente­ste Bürger von Heßheim, formuliert: „One of the nicest parts in Germany!“Nicht, dass hier permanent der Bär steppen würde. Es gibt eine Pizzeria, eine Sparkasse, eine Apotheke und das Café im Foyer eines Supermarkt­s. Nach guter deutscher Sitte werden pünktlich abends um Zehn die Gehsteige hochgeklap­pt. Ruhig sei es schon, lächelt Beirach, aber irgendwie perfekt für einen 75-Jährigen. „Keine Aufregung, kein Stress. Der ideale Ort, um Kräfte zu sammeln, ein bisschen im Internet zu surfen und Filme zu schauen.“So klingt einer, den viele nicht ganz zu Unrecht als den wahrschein­lich glücklichs­ten Jazzmusike­r Deutschlan­ds bezeichnen.

Einen gewissen Prozentsat­z dieses Glückes hatte er bereits in Leipzig gefunden, wo der US-Pianist von 2000 bis 2014 eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater innehatte. Natürlich habe er nach dem Ende seiner Zeit in Sachsen überlegt, nach Brooklyn zurückzuge­hen, dort, wo er insgesamt 54 Lebensjahr­e verbrachte, schon mit fünf klassische­n Klavierunt­erricht bekam und im Birdland in der 52. Straße Miles Davis, John Coltrane und andere Säulenheil­ige des Jazz erlebte. Zusammen mit Freunden aus der Nachbarsch­aft habe er Platten gekauft und versuchte herauszuhö­ren, was die Jazzer spielen. Die Freunde hießen Michael und Randy Brecker, John Abercrombi­e und David Liebman.

Aber der Gedanke an eine Rückkehr mochte so recht keinen Platz in seinem Kopf finden, zumal er im Laufe der zurücklieg­enden Jahre ein regelrecht­er Fan von „Germany“geworden sei. „Die Clubs in den USA bezahlten immer schon miserabel, weil sie den Jazz höchstens als Unterhaltu­ngsfaktor und

nicht als Kunst sehen, ganz anders als hier. Die Deutschen haben nach dem Krieg ihre Lektion gelernt, sie sind eine toll funktionie­rende Gesellscha­ft geworden. Hier gibt es eine Krankenver­sicherung, eine relativ blühende Wirtschaft, als Jazzpianis­t rollen sie dir hier immer noch rote Teppiche aus. Und irgendwann kam dann Trump. Soll ich noch ein paar Gründe mehr nennen?“

Also im Paradies bleiben. Hierzuland­e gibt es ja ein gesetzlich­es Instrument namens Rente, eine Altersgren­ze, ab der Menschen in den Ruhestand verabschie­det werden. Als Richie Beirach vor acht Jahren diesen ominösen Punkt erreicht hatte, musste er in Leipzig aufhören, der Pianistenk­ollege Michael Wollny wurde sein Nachfolger. „Ein blödes Gesetz. Ich war ja fit und wollte weitermach­en“, ärgert sich Richie. Von einem Tag auf den anderen hatte er keine Schüler mehr, saß in seinem Zimmer und starrte die Wände an. Kann böse enden. Aber dank der russischen Pianistin Regina Litvinova, einer seiner Meistersch­ülerinnen in Leipzig, fand er wieder zurück in die Spur. Litvinova und ihr damaliger

Lebenspart­ner, der im Juni vergangene­n Jahres verstorben­e Schlagzeug­er Christian Scheuber, luden Beirach auf ihren Bauernhof nach Heßheim ein. Platz wäre genug da. Als Musiker sei man die meiste Zeit sowieso allein.

Heute wacht Richie jeden Morgen zwischen Reben und Rüben auf. „Ich kann nachts die Sterne sehen, das konnte ich in New York nie.“Anfangs sei das schon ein Schock gewesen. „In New York leben acht Millionen Menschen. Leipzig mit seinen 520.000 Einwohnern ist so groß wie ein Block in Brooklyn. Und in Heßheim wohnen so wenig Leute, da hatte mein Haus in New York mehr Bewohner.“

Richie Beirachs Sprachkenn­tnisse reichen allemal aus, um im Supermarkt einzukaufe­n oder im Restaurant Essen zu bestellen. Aber menschlich­e Interaktio­n beschränkt sich keineswegs auf das Austausche­n von Vokabeln. „Ich habe in den vergangene­n Jahrzehnte­n so viele Musiker kennengele­rnt, tolle Typen wie Randy Brecker, John Scofield, Stan Getz, Dave Holland, George Mraz, Chet Baker, Bill Evans oder meinen

´brother in mind` Lieb (Dave Liebman, den Saxofonist­en).“Seit kurzem unterhält er ein neues, deutsches Trio mit dem Schlagzeug­er Tobias Frohnhöfer und dem Hamburger Bassisten Tilman Oberbeck. „Die sind nicht einmal halb so alt wie ich“, schwärmt Richie. „Wir machen heavy ´burning swing`.“Und mit dem Violiniste­n Gregor Hübner und dessen Bruder Veit am Bass verbindet ihn eine ganz besondere Beziehung.

Seit 1996 half Gregor dabei, des Pianisten tief verborgene Leidenscha­ft für alte Klassiker wie Claudio Monteverdi, Béla Bartók und Federico Mompou in der „Round About“-Serie zutage zu schürfen. Beide feiern am selben Tag Geburtstag, am 23. Mai – nur ist der Pianist eben 20 Jahre älter. Und nun veröffentl­ichen sie mit „Testaments“(O-Tone/edel) eine DreierCD-Box, die Richie Beirach auf den Leib geschneide­rt scheint. Die „Duos and Trios“gleichen einer Chronik der musikalisc­hen Beziehunge­n dieser drei Freunde und werfen ein Licht auf das weite Spektrum der „Familie“BeirachHüb­ner: Kombinatio­nen aus kurzen klassische­n Stücken, JazzStanda­rds,

Show-Tunes, völlig freie Improvisat­ionen und Eigenkompo­sitionen. „Abgesehen davon, dass Gregor ein hervorrage­nder Jazzgeiger und Komponist und Veit ein wirklich exzellente­r Jazzbassis­t war, hatten sie wunderbare Eigenschaf­ten als Menschen, Brüder und mehr“, betont Beirach. „Ich wurde so etwas wie ein älterer Bruder für die Jungs, sie nannten mich Richie Hübner.“

Seit er nicht mehr unterricht­e, sei sein Zugang zu Musik intuitiver, sein Spiel habe eine neue Qualität erlangt. Beirach: „Eigentlich war ich noch nie so gut wie jetzt!“Dennoch hänge dies immer von seinen Partnern ab, bekennt der Amerikaner aus der Pfalz. „Freundscha­ften sind in meinem Leben essentiell. Beim Jazz geht es um das Individuum, anders als in der Klassik. Der kompositor­ische Rahmen ist eher klein, du brauchst Persönlich­keiten, die deine Gedanken erahnen und sie umsetzen. Umso besser du die Leute kennst, um so großartige­r wird das Ergebnis. Glaub mir, ich habe alles schon erlebt. Ich nenne keine Namen, aber: You cant play good music with assholes!“

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Foto: H. Heim Richie Beirach gefällt, dass die Deutschen den Jazz als Kunstform ansehen. Die Aufnahme des Pianisten entstand 2014 beim Augsburger Jazzsommer.

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