„Die Gefahr, dass Gebäude verschwinden, war groß“
Hans Frei, ehemaliger Bezirksheimatpfleger von Schwaben, hat in vielen Fällen erst ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass alte Bausubstanz einen besonderen Wert besitzt. Zu seinem 85. Geburtstag zieht er Bilanz und blickt auf die heutige schwäbische Kulturlandschaft.
Herr Frei, Sie werden 85 Jahre alt und feiern mit Freunden und Weggefährten in Oberschönenfeld westlich von Augsburg. Welche Bedeutung hat der Ort für Sie?
Hans Frei: Oberschönenfeld war mit Kloster und Kirche immer ein besonderer Anziehungspunkt für mich. Ich hatte es aus meiner Schulzeit und dem Studium gekannt. Bei Ausflügen in die Stauden kamen wir oft vorbei. Damals ist mir schon aufgefallen, dass sich viele Gebäude in einem schlechten baulichen Zustand befanden. Als ich dann Heimatpfleger wurde, habe ich mich um den Erhalt der Baudenkmäler und der naturnahen Landschaft mit Wiesen, Bäumen und Bächen drumherum gekümmert.
Die Denkmalpflege steckte damals noch in den Kinderschuhen.
Frei: Es war schwierig. 1973 trat ein neues Gesetz in Kraft, das zum richtigen Zeitpunkt eine handfeste Förderung der Sanierung in Oberschönenfeld ermöglichte. Mit dem Landesamt für Denkmalpflege ließ sich einiges erreichen. Wie so oft ging es nur gemeinsam – also mit Bezirk, Landkreis, Gemeinde und dem Freundeskreis der Abtei. Im Laufe von 20 Jahren entstanden dann in den Gebäuden das Volkskundemuseum und das Naturparkhaus.
Das Modell Oberschönenfeld machte Schule in Schwaben.
Frei: Viele haben erkannt, dass sich mit alten Häusern eine sinnvolle Nutzung verbinden lässt. Wichtig war immer auch das Programmangebot: nicht nur erhalten und erforschen, sondern Heimatgeschichte vermitteln mit Veranstaltungen, Ausstellungen oder Seminaren. Das ist in Irsee mit der Schwabenakademie gelungen. Es gibt auch viele andere Beispiele, wie alte Häuser neues Leben bekommen haben. Thierhaupten wäre ein weiteres Beispiel.
Ihnen wurde damals immer wieder Hartnäckigkeit nachgesagt.
Frei: Ja, das war notwendig. Ich musste verbal kämpfen, weil nicht immer Verständnis vorhanden war. Die Gefahr, dass Gebäude plötzlich verschwinden, war einfach zu groß.
Sie mussten viele Kämpfe ausfechten.
Frei: Es waren sehr viele. Ich erinnere mich auch noch an den Streit in Augsburg ums Zeughaus. Dort sollte ein Kaufhaus entstehen. Ich dachte: Das kann doch nicht sein! Ein jahrhundertaltes Gebäude für die Gemeinschaft mitten in der Stadt soll einfach für ein Allerweltskaufhaus verschwinden? Die Diskussion war für mich 1969 auch ein Grund, zur Heimatpflege zu gehen. Es gab früher viele dieser Beispiele und beim Thema Stadtsanierung habe ich viele Probleme gesehen und gleichzeitig Erfolge
mit den Ämtern erreicht. In Nördlingen wurde zum Beispiel immer wieder nach Gründen gesucht, um die Stadtmauer für neue Bauflächen zu beseitigen. Ich sagte: Das darf auf keinen Fall passieren. Die Stadtmauer blieb, Nördlingen ist heute ohne sie nicht vorstellbar. Ich erinnere mich auch an Planungen für den Bau der A7 mitten durchs Ries durch eine intakte Agrarlandschaft mit Biotopen und vielen archäologischen Denkmälern. Oder ein Wasserkraftwerk an der Ostrach im Schutzgebiet. Gemeinsam mit Naturschützern gelang es, das zu verhindern. Ähnlich
verlief der Kampf gegen eine Bergbahn auf das Riedberger Horn, die erhebliche Eingriffe in die Natur der Allgäuer Alpen bedeutet hätte.
Woher nahmen Sie die Energie?
Frei: Ich war immer überzeugt, dass ich etwas für die Menschen vor Ort und die Natur erreiche. Das war immer meine große Motivation. Zu meinen 60. Geburtstag wurde gedichtet: „Er liebt so sehr das Schwabenland, dass nie die Lust zur Arbeit schwand“.
Sie kennen die Museumslandschaft im Bezirk Schwaben wie
kaum ein anderer. Verträgt sie noch etwas?
Frei: Ja und nein. Das ist ein schwieriges Feld. Alte Objekte nur in eine Vitrine zu stellen und sie schön zu beleuchten, ist zu wenig. Heute muss Besuchern die Wertigkeit bewusst gemacht werden. Das habe ich beim Bergbauernmuseum Diepholz im Oberallgäu erlebt. Dort entstand ein Museum mit Blick auf die Alpen, das mehr ist als nur ein Ort mit Schauobjekten. Viele Museen orientierten sich am Oberschönenfeld.
Warum ist Ihnen Schwaben so ans Herz gewachsen?
Frei: Das hängt sicherlich mit meiner Schul- und Jugendzeit zusammen, als wir in den Ferien oft mit dem Rad in Schwaben unterwegs waren und die verschiedenen Landschaften hautnah erlebten und die Wertigkeit erkannten. Im Studium hat sich das dann vertieft. Mit der Zeit wuchs mein Einsatz für den Erhalt dieser Werte.
Ist es nicht ungewöhnlich, als junger Mensch seine Heimat als besonderen Ort wahrzunehmen und ihn dann entsprechend wertzuschätzen? Kommt das nicht erst mit dem Alter?
Frei: Ich kann es nachvollziehen, wenn man als junger Mensch andere Interessen verfolgt und vielleicht auch Aufgaben hat. Aber das Wissen und die Wertschätzung müssen in der Jugendzeit geweckt werden. Das gilt auch für das Brauchtum, Tracht, Volksmusik und Mundarttheater, für die ich eigene Beratungsstellen mit Experten eingerichtet habe.
Wie kann ich heute mehr Menschen dazu bringen, ihre Heimat und auch die Kulturlandschaft um sich herum zu entdecken?
Frei: Bücher, Vorträge oder Exkursionen spielen dabei eine wichtige Rolle. Bei meiner 40-jährigen Lehrtätigkeit an den Unis Augsburg und München habe ich diese Ziele umgesetzt. Auch viele Heimatvereine oder historische Vereine bemühen sich um junge Menschen. Beim Stichwort Kulturlandschaften fällt mir immer das Zitat eines Geografen aus meiner Studienzeit ein: „Kulturlandschaften sind neben den Bibliotheken und Museen die wichtigsten Speicher der geistigen Leistungen der Menschheit.“
Zur Person
Prof. Hans Frei, 1937 in Augsburg geboren, war von 1970 bis 1987 Schwabens Bezirksheimatpfleger und von 1988 bis 2003 Museumsdirektor für den Bezirk. Frei war Lehrbeauftragter der Uni Augsburg, Honorarprofessor der TU München und verfasste zahlreiche Publikationen zu Themen wie Denkmalpflege und Kulturförderung.