„Das kann auch ein Füllfederhalter sein“
Ein hochkarätiges Podium debattierte in Ichenhausen, wie das jüdische Schulleben im Schulmuseum auf der Höhe der Zeit präsentiert werden soll und auf was es ankommt.
Ichenhausen Auf 200 Quadratmetern soll im Bayerischen Schulmuseum in Ichenhausen ein Mikrokosmos entstehen: In einem Raum ist eine Neuinstallierung der jüdischen Schulgeschichte geplant. Zeitgemäß soll das Ergebnis ausfallen, möglichst viele Menschen ansprechen und überhaupt einen Einblick über die Schule auf das jüdische Leben in Vergangenheit und Gegenwart gewähren.
Das Schulmuseum ist eine von neun Außenstellen des Bayerischen Nationalmuseums im Freistaat. Momentan wird in dieser Museumsabteilung noch eine Sonderausstellung gezeigt. Danach aber geht es daran, ein neues, innovatives Konzept der musealen Präsentation zu entwickeln. Um dafür Anregungen zu bekommen, kamen Expertinnen und Experten am Mittwochabend in der früheren Synagoge in Ichenhausen zu einer Podiumsdiskussion zusammen. Frank Matthias Kammel, der Generaldirektor
des Bayerischen Nationalmuseums, moderierte die Runde, um Ideen aufzuschnappen, die danach sortiert werden müssten. Das Konzept solle, wie er gegenüber unserer Zeitung nach der Veranstaltung sagte, im nächsten Jahr stehen. Und für 2024 wird angestrebt, dass die jüdische Schulgeschichte wieder für die Öffentlichkeit erlebbar ist.
Braucht’s denn überhaupt im Nationalmuseum einen Bereich, in dem auf die jüdische Schule eingegangen wird? Diese provokante, aber auch rhetorische Frage stellte Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Die 89-Jährige ist eine der bekanntesten Kämpferinnen gegen antisemitische Umtriebe in Deutschland. Es ist gut möglich, dass sie selbst im Schulmuseum in einem (noch nicht existenten) Video mahnen oder über ihre Schulzeit erzählen wird. Die Ohrenzeugen in der früheren Synagoge Ichenhausen waren ergriffen, als die Frau auf dem Podium von ihrer
Einschulung im Jahr 1938 berichtete. Plötzlich habe ein Lehrer, dann eine Lehrerin gefehlt, dann Mitschülerinnen und Mitschüler. „Und jeder hat gefragt, wo sie sind.“Der Unterricht konnte irgendwann nicht mehr aufrechterhalten werden. „Das war bedrückend.“Und – ach ja – 1938 war auch das Jahr des Novemberpogroms. Knobloch erinnerte an die wichtigsten Quellen überhaupt: Zeitzeugen. Diejenigen, die noch aus erster Hand über die Judenverfolgung in Deutschland berichten können, „sind bald nicht mehr da“. Man müsse sich also beeilen, sie zu befragen.
Dass das Museum im Herzen Ichenhausens die Geschichte der jüdischen Schule auf vielfältige Art und Weise zeigt, steht für Ludwig Spaenle außer Frage. Aktuell ist der Münchner CSU-Politiker Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Im Kabinett selbst war er fast zehn Jahre lang Kultusminister (2008-2018). Das sei ein wahrer Schatz, den Ichenhausen hier habe, spielte er nicht nur auf die Außenstelle des Nationalmuseums an, sondern ebenso auf die ehemalige Synagoge, die „Haus der Begegnung“heißt, und den jüdischen Friedhof. Als Kombination sei dies „einzigartig“in Bayern.
„Ich wünsche mir, dass im neu zu gestaltenden Ausstellungsteil insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene einen persönlichen Anknüpfungspunkt finden werden, dass sie neugierig gemacht werden, Fragen stellen, sensibilisiert werden für eigene Vorurteile, eine Ahnung davon bekommen, welch hohes Gut die Toleranz in unserer Gesellschaft darstellt“, sagte Ichenhausens Bürgermeister Robert Strobel in seiner Begrüßung. Dieser „Strategie“pflichtete Spaenle voll bei.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hat der frühere Schulminister in dem sogenannten Lernzirkel Judentum entdeckt, den er sich vor einigen Wochen erklären ließ. Seit über 20 Jahren vermitteln
Neuntklässler des Günzburger Dossenberger-Gymnasiums in einer Schulwoche Grundschülern aus den vierten Klassen, was es mit der Weltreligion und der Art, sie zu leben, auf sich hat. Etwa 1000 Viertklässlerinnen und Viertklässler aller Grundschulen aus dem gesamten Landkreis werden auf diese Weise Jahr für Jahr erreicht. Spaenle ist so begeistert davon, dass er sich zum Ziel gesetzt hat, den Lernzirkel an den über 200 jüdischen Lernorten, die vor allem in Schwaben, Franken und der nördlichen Oberpfalz stehen, auszudehnen. Multiplikatoren dafür könnten in Ichenhausen geschult werden.
Personalisierung war neben Wissensvermittlung ein wichtiges Stichwort. Und Emotion. Carmen Reichert, seit Mai Direktion des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben, machte das an Ausstellungsstücken fest. Es müsse nicht das teuerste Exponat präsentiert werden, „sondern eines, an dem eine Geschichte hängt. Das kann auch ein Füllfederhalter sein“.