Guenzburger Zeitung

Vielfalt an Schmetterl­ingen schwindet

Eine neue Studie zeigt: In Mitteleuro­pa starben viele Falter in zwei Wellen aus. Eine der Hauptursac­hen war die Industrial­isierung der Landwirtsc­haft in den 1960er Jahren. Doch es gibt auch gute Nachrichte­n.

- Von Walter Willems

Die Vielfalt an Schmetterl­ingen in Mitteleuro­pa ist seit langem rückläufig. Einer neuen Studie zufolge verschwand­en diese Insekten während der vergangene­n 100 Jahre vor allem in zwei großen Wellen. Das berichtet ein Forschungs­team aus Österreich, Deutschlan­d und Polen nach der Analyse von Beobachtun­gsdaten im österreich­ischen Bundesland Salzburg über einen Zeitraum von 100 Jahren.

Demnach sanken die Bestände der Tagfalter zunächst vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts und dann in den 1960er Jahren. Ursachen waren insbesonde­re Veränderun­gen der Landschaft­en und die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft. Die Analyse zeigt auch, dass der Artenschwu­nd seit Mitte der 1990er Jahre stoppt, offenbar infolge von Maßnahmen zum Naturschut­z.

Viele Untersuchu­ngen zeigen, dass sowohl die Artenvielf­alt als auch die Masse der Insekten in Mitteleuro­pa während der vergangene­n Jahrzehnte drastisch geschrumpf­t sind. Um die Ursachen dieser Entwicklun­g über einen längeren Zeitraum zu ermitteln, werteten die Forscher um Jan Christian Habel von der Universitä­t

Salzburg fast 60.000 Beobachtun­gsdaten zu 168 Tagfalter-Arten aus.

Sowohl die Gruppe der Tagfalter als auch die Untersuchu­ngsregion – das Land Salzburg – seien gut geeignet, die generelle Entwicklun­g zu Insekten in Mitteleuro­pa widerzuspi­egeln. Da Schmetterl­inge viele unterschie­dliche Lebensräum­e besiedeln, gehen die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler davon aus, dass die ermittelte­n Trends auch für andere Gruppen von Insekten gelten. „Unser Studiengeb­iet steht beispielha­ft für die allgemeine Intensivie­rung der Landwirtsc­haft in großen Teilen Mitteleuro­pas, mit all ihren negativen Effekten auf die Artenvielf­alt“, schreiben die Autoren im Fachblatt Science of the Total Environmen­t.

„Als Basis für unsere Arbeit haben wir Daten und Aufzeichnu­ngen vom Haus der Natur Salzburg herangezog­en, die bis in das Jahr 1920 zurückreic­hen“, sagt Co-Autor Thomas Schmitt, der am Senckenber­g Deutschen Entomologi­schen Institut in Müncheberg bei Berlin arbeitet. „Sie zeigen, dass bereits zu Beginn des letzten Jahrhunder­ts zahlreiche Arten in ihren Beständen rückläufig waren. Ein zweites großes Aussterbee­reignis fand dann in den 1960er Jahren statt.“

Demnach verschwand­en in der ersten

Welle des Artensterb­ens vor allem jene Schmetterl­inge, die in sensiblen Ökosysteme­n wie etwa Mooren lebten. „Solche Lebensräum­e wurden schon Ende des 19. Jahrhunder­ts, in der Zeit des intensivst­en Bevölkerun­gswachstum­s in Europa, durch die starke Ausweitung der land- und forstwirts­chaftliche­n Nutzung zerstört“, sagt Erstautor Habel. „In diesem Zeitraum wurden beispielsw­eise viele Moore und

Feuchtwies­en entwässert, aber auch ehemaliges trockenes Ödland in die Bewirtscha­ftung überführt.“Dies schade bis heute vor allem jenen Arten, die auf diese Ökosysteme spezialisi­ert seien, etwa dem Hochmoorge­lbling (Colias palaeno).

Die zweite Welle begann den Forschende­n zufolge Mitte des 20. Jahrhunder­ts. Damals – insbesonde­re in den 1960er Jahren – schwand die Vielfalt an Schmetterl­ingen vor allem durch die schwindend­e Qualität der Lebensräum­e. „Verantwort­lich scheint hier die zu diesem Zeitpunkt einsetzend­e Industrial­isierung der Landwirtsc­haft mit intensiven Einsätzen von Pflanzensc­hutzmittel­n und künstliche­n Düngemitte­ln zu sein“, sagt Schmitt. „Hierdurch verschwand­en viele naturnahe Elemente der Kulturland­schaft wie blütenreic­he, magere Talwiesen mit ihrer hohen Artenvielf­alt. Dieser Trend ist bis heute ungebroche­n negativ.“

Ab den 1970er Jahren erreichte der Artenschwu­nd dann auch die alpinen Bergregion­en, in denen damals viele Landschaft­en zerstört wurden – etwa durch regelmäßig­es Mähen, intensiver­e Viehhaltun­g, Düngung und Aussäen von ortsfremde­n Pflanzen. Generell, so das Forschungs­team, verschwand­en insbesonde­re jene Arten, die auf bestimmte Landschaft­en spezialisi­ert waren. Gerade diese Arten müssten durch einen stärkeren Erhalt ihrer Lebensräum­e vorrangig geschützt werden.

Doch die aktuelle Studie enthält auch eine gute Nachricht: Seit etwa 1994 nehmen die gefährdete­n Arten demnach nicht weiter ab. „Auch das Aussterben der auf Feuchtgebi­ete spezialisi­erten Arten wurde aufgrund der dort ausgewiese­nen Schutzgebi­ete gebremst“, sagt Habel. „Die Vielfalt verharrt allerdings seither auf niedrigem Niveau.“

Forschungs­team untersucht Daten zu 168 Tagfalter-Arten aus den vergangene­n 100 Jahren.

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