Guenzburger Zeitung

Hält der Gaspreisde­ckel vom Sparen ab?

Der Gasverbrau­ch in Deutschlan­d steigt. Experten und Politiker fordern Zurückhalt­ung.

- Von Michael Kerler und Holger Sabinsky-Wolf

Berlin/Augsburg Zwei Sorgen haben Verbrauche­r und Unternehme­n beim Gas zuletzt umgetriebe­n: Dass sich viele die exorbitant hohen Preise nicht mehr leisten können und dass Gas im Herbst und Winter knapp werden könnte. Das erste Problem soll der Gaspreisde­ckel regeln. Das zweite ist noch nicht gelöst. Zwar sind die Gasspeiche­r gut gefüllt, aber der Verbrauch der Deutschen ist angesichts des nassen und kalten Wetters bereits jetzt sehr hoch. So hoch, dass Experten und Politiker Alarm schlagen.

So ruft der Chef der Bundesnetz­agentur, Klaus Müller, eindringli­ch zum Energiespa­ren auf: „Wenn wir es nicht schaffen, in den privaten Haushalten mindestens 20 Prozent Einsparung­en zu erzielen, dann werden wir in einem durchschni­ttlichen Winter nicht ohne Kürzungen bei der Industrie zurechtkom­men“, sagte Müller in einem Podcast des baden-württember­gischen Finanzmini­sters Danyal Bayaz (Grüne). Zuletzt lag der Verbrauch von Haushalten und Gewerbe laut Bundesnetz­agentur 14,5 Prozent über dem Durchschni­tt der Jahre 2018 bis 2021. Müller rechnet zudem damit, dass der geplante Gaspreisde­ckel fast zwei Jahre lang gelten muss. Die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA) rät auf europäisch­er Ebene ebenfalls zu Einsparung­en beim Gasverbrau­ch.

Auch der Deutsche Städtetag forderte größere Anstrengun­gen beim Energiespa­ren. „Wir alle müssen uns noch mehr einschränk­en“, sagte Städtetags­präsident Markus Lewe (CDU) der Funke Mediengrup­pe. Ihm mache Sorgen, wie stark der Gasverbrau­ch bei privaten Haushalten angestiege­n ist. Lewe mahnte Bund und Länder zur Geschlosse­nheit. Die Gaspreisbr­emse müsse jetzt „sehr schnell klug konzipiert werden“. Wenn private Haushalte einen Grundbedar­f von 80 Prozent des Gasverbrau­chs vergünstig­t bekämen, bleibe der Sparanreiz

bestehen. Die Ampelkoali­tion hatte am Donnerstag einen neuen „Abwehrschi­rm“von bis zu 200 Milliarden Euro und einen Gaspreisde­ckel angekündig­t, um Verbrauche­r und Unternehme­n zu entlasten. Was das genau bedeutet, ist noch offen. Eine Kommission soll bis Mitte Oktober Vorschläge machen. Nun gibt es vor den BundLänder-Beratungen am Dienstag Befürchtun­gen, dass der Antrieb zum Sparen wegfällt, wenn der Staat einspringt. Auch Bundesnetz­agentur-Chef Müller pocht auf Sparanreiz­e. Ansonsten seien „wir schneller, als uns allen lieb ist, eben in einer Mangelsitu­ation“. Seine Behörde geht wie Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) davon aus, dass zur Vermeidung eines Mangels ein Rückgang des Verbrauchs um mindestens 20 Prozent erforderli­ch ist.

Der Chef des großen regionalen Energiever­sorgers Erdgas Schwaben, Markus Last, hält dieses Ziel für zu hoch angesetzt. „Die von Bundeswirt­schaftsmin­ister Habeck geforderte Gaseinspar­ung von 20 Prozent halte ich für ehrgeizig“, sagte Last unserer Redaktion. Rund 15 Prozent seien eher realistisc­h.

Der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) kritisiert angesichts der Sparaufruf­e die Ampelkoali­tion scharf: „Es grenzt mittlerwei­le an eine politische Unverschäm­theit, den Menschen immer mehr ein schlechtes Gewissen wegen einer warmen Wohnung einzureden, während die Bundesregi­erung nicht alles tut, um den Energieeng­pass zu beseitigen“, sagte Aiwanger unserer Redaktion. Längst müssten die Laufzeitve­rlängerung der Atomkraftw­erke inklusive neuer Brennstäbe für den nächsten Winter beschlosse­n oder alle Beschränku­ngen für Biogasanla­gen aufgehoben sein. „Aber die grüne Ideologie will hohe Energiepre­ise, selbst wenn Menschen frieren und die Wirtschaft einbricht“, so Aiwanger.

Lesen Sie dazu den Kommentar und das Interview mit dem ErdgasSchw­aben-Chef in der Wirtschaft.

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