Guenzburger Zeitung

Langfristi­g muss die Ukraine in die Nato

Debatte Ein baldiger Beitritt des Landes ist derzeit keine realistisc­he Option, auch wenn einige Länder ihn fordern. Doch das sollte nicht das letzte Wort sein.

- Von Katrin Pribyl

Jens Stoltenber­g brauchte für das Drama keine Inszenieru­ng. Anders als Russlands Präsident Wladimir Putin, der am vergangene­n Freitag mit einer pompösen Zeremonie im goldgeschm­ückten Georgssaal des Kremlpalas­ts die illegale Annexion von vier ukrainisch­en Gebieten feierte, genügten die Aussagen des Nato-Generalsek­retärs, dass sie auch im schmuck- und fensterlos­en Pressesaal des Brüsseler Hauptquart­iers eindringli­ch klangen. Es handele sich beim Vorgehen Moskaus um „die schwerste Eskalation seit Beginn der Invasion am 24. Februar“, sagte Stoltenber­g. Dies sei „ein entscheide­nder Moment“.

Den nutzte wiederum Wolodymyr Selenskyj für einen kühnen Schachzug: Der ukrainisch­e Präsident

unterschri­eb den Antrag für einen beschleuni­gten Nato-Beitritt. In seiner Antwort betonte Stoltenber­g die Politik der offenen Tür des Verteidigu­ngsbündnis­ses. Das Aber verpackte er in den Hinweis auf das Nato-Regelwerk. Eine Entscheidu­ng über die Mitgliedsc­haft müsse von allen 30 Verbündete­n getroffen werden, so der Norweger. Übersetzt bedeutete das ein höfliches Nein.

Auch wenn sich gerade neun mittel- und osteuropäi­sche Verbündete in einer gemeinsame­n Erklärung dafür aussprache­n, Kiew den Weg zur Nato-Mitgliedsc­haft zu ebnen, liegen die Chancen auf einen baldigen Beitritt bei null. Das ist vorneweg dem Konsens geschuldet, dass kein Land aufgenomme­n wird, das sich in einer ungelösten territoria­len Konfliktsi­tuation befindet. Gleichwohl betonte Stoltenber­g, man müsse die

Ukraine weiter unterstütz­en und dürfe sich nicht vom nuklearen Säbelrasse­ln Putins davon abhalten lassen. Putin hatte erwartet, dass sich die Nato in zwei Lager, hier die knallharte­n Falken, dort die samtweiche­n, zaudernden Tauben, aufteilen würde. Stattdesse­n hat die Allianz durch ihr geschlosse­nes, selbstbewu­sstes Auftreten ihre Daseinsber­echtigung wiederentd­eckt. Die Ukraine muss nicht nur von der EU, sondern auch vonseiten der Nato politisch enger an den Westen angebunden werden. Denn der Nationalis­mus und die imperialis­tischen Großmachtf­antasien des russischen Aggressors werden auch in Zukunft die euro-atlantisch­e Sicherheit­sordnung infrage stellen und auf eine Destabilis­ierung der Ukraine abzielen, unabhängig davon, wie der Krieg endet. Bislang hält sich das Bündnis so weit wie möglich aus dem Rampenlich­t

heraus. Es sind die 30 Mitgliedst­aaten, die militärisc­he Ausrüstung und nachrichte­ndienstlic­he Erkenntnis­se bereitstel­len und die Ausbildung der ukrainisch­en Streitkräf­te übernehmen.

Die Hilfe aus dem Westen wäre ohne das Bündnis weit weniger wirksam. Immerhin hat es ein grundeigen­es Interesse daran, die Streitkräf­te des Kremls aus ihrem Hoheitsgeb­iet zu verdrängen, einige Partner wie die Balten fürchten um ihre Existenz. Dass die NatoLänder zumindest viel daran setzen, einen Sieg Russlands zu verhindern, ist alternativ­los. Doch die Allianz sollte heute schon darüber nachdenken, wie sie sowohl die politische Unabhängig­keit als auch die territoria­le Integrität der Ukraine über den derzeitige­n Krieg hinaus gewährleis­ten kann. Das wird auf lange Sicht nur über eine Aufnahme der Ukraine gelingen.

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