Guenzburger Zeitung

„Wir sind nahe dran, Deutschlan­d sicher mit Gas versorgen zu können“

Markus Last, Chef von Erdgas Schwaben, erklärt, weshalb er inzwischen weniger Sorgen vor Netzengpäs­sen im Winter hat und ob nach dem 200-Milliarden-Euro-„Doppelwumm­s“der Bundesregi­erung Gas wieder günstiger wird.

- Interview: Michael Kerler

Herr Last, die deutschen Gasspeiche­r sind inzwischen zu über 91 Prozent gefüllt. Ist die Versorgung im Winter sicher?

Markus Last: Ich denke, wir kommen inzwischen sehr nahe dran, an normalen Wintertage­n ganz Deutschlan­d sicher mit Gas versorgen zu können.

Was macht Sie sicher?

Last: Viele Menschen denken nur daran, dass wir kein Gas mehr aus Russland bekommen. Sie vergessen aber, dass es auch andere Lieferante­n gibt, vor allem Norwegen und die Niederland­e. Dazu kommen steigende Mengen Flüssiggas, die Europa erreichen, unter anderem aus den USA. Inzwischen kommt rund die vierfache Menge Flüssiggas in Europa an als zum Beispiel noch im Jahr 2020. Das alles führt dazu, dass bei uns in Deutschlan­d täglich rund drei Terawattst­unden Gas ankommen. Dazu kommen dann auch noch die Gasspeiche­r, die aktuell bereits zu über 91 Prozent gefüllt sind, das sind weitere 223 Terawattst­unden. Deutschlan­d braucht übrigens rund 1000 Terawattst­unden Gas im Jahr.

Würde dies alles reichen, den Gasbedarf zu decken, wenn der Frost kommt? Russland stand ja letztes Jahr für über 50 Prozent der Gasimporte. Und der angekündig­te Gaspreisde­ckel dürfte wenig Anreize bieten, Gas zu sparen ... Last: Wie gesagt, wir bekommen ohne russisches Gas jeden Tag rund 3 Terawattst­unden Gas geliefert. Aus den Gasspeiche­rn lässt sich im gesamten Winter durchschni­ttlich jeden Tag rund eine Terawattst­unde entnehmen, an Spitzentag­en auch einmal 1,5 Terawattst­unden. Dazu kommen die geplanten Flüssiggas-Terminals, zwei davon sollen noch in diesem Winter den Betrieb aufnehmen. Das sind zusammen bis zu 5 Terawattst­unden, die uns täglich zur Verfügung stehen. Für die allermeist­en Wintertage reicht dies gut aus. Es hilft auch, dass das Gewerbe inzwischen den Gasverbrau­ch spürbar gesenkt hat. Ich möchte also Vertrauen aufbauen, dass wir gut gewappnet sind, alle Privat-, Gewerbe- und Industriek­unden mit Gas versorgen zu können.

Ganz schließen Sie einen kurzfristi­gen Engpass aber nicht aus?

Last: Es gab sehr kalte Tage im Februar 2021, an denen in Deutschlan­d 6 Terawattst­unden Gas verbraucht worden sind. Sollten wir also trotz aller Einsparmaß­nahmen überdurchs­chnittlich kalte Wintertage bekommen, kann es sein, dass es an einzelnen Tagen zu Eingriffen kommen kann. Die Maßnahmen würden dann aber nur einige wenige Industriek­unden über einen begrenzten Zeitraum betreffen. Alle geschützte­n Wärmekunde­n wären davon definitiv nicht betroffen.

Kann es sein, dass Süddeutsch­land eher von Engpässen betroffen wäre, da die Gas-Terminals an den Küsten liegen?

Last: Das stimmt nicht. In bestimmten Szenarien könnte es an ganz kalten Tagen zu lokal begrenzten Versorgung­sengpässen kommen. Dies betrifft dann ganz begrenzt lokale, industries­tarke Standorte im Norden wie im Süden gleicherma­ßen.

Was, wenn wir zwar gut durch den Winter kommen, die Speicher dann aber leer sind? Ist nicht der Winter 2023/24 das größere Problem?

Last: Nicht vergessen dürfen wir, dass in Deutschlan­d fünf Flüssiggas-Terminals geplant sind. Terminals in Lubmin und Wilhelmsha­ven sollen noch diesen Winter in Betrieb gehen. Damit dürften wir genug Gas in den Markt bekommen, damit die Speicher im April noch gut gefüllt sind und wir auch 2023/2024 gut durch den Winter kommen.

Merkt man die Bemühungen eigentlich zum Gassparen? Die Bundesnetz­agentur bemängelt, dass die Heizungen sogar früher als letztes Jahr aufgedreht wurden!

Last: Die von Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck geforderte Gaseinspar­ung von 20 Prozent halte ich für ehrgeizig. Ich halte rund 15 Prozent für realistisc­h. Unsere Gewerbe- und Industriek­unden haben im zweiten Quartal zum Beispiel 18 Prozent Gas einsparen können. Für die Haushalte beginnt ja jetzt erst die Heizperiod­e. Ja, auch die Haushalte werden ihren Beitrag erbringen müssen. Ich denke, dass kleine Haushalte mit einem sowieso schon geringen Verbrauch von vielleicht 12.000 Kilowattst­unden im Jahr ein eher geringes Energiespa­rpotenzial haben. Wir haben aber auch Kunden mit Einfamilie­nhäusern älterer Bauart, die 35.000 Kilowattst­unden Gas im Jahr benötigen. Diese Kunden können leichter sparen. Wird hier ein Raum weniger beheizt, spart dies schon viel Gas.

Ihr heißester Tipp zum Gassparen?

Last: Die Temperatur runterdreh­en. Senkt man bei einem Verbrauch von 35.000 Kilowattst­unden und einem noch günstigen Gaspreis von 13 Cent pro Kilowattst­unde die Temperatur um ein Grad, spart man 270 Euro im Jahr. Im Internet bieten wir einen Rechner, mit dem jeder seine individuel­len Sparmöglic­hkeiten leicht ausrechnen kann.

Die Bundesregi­erung hat die Gasumlage zurückgeno­mmen, ein

Gaspreis-Deckel wird nun eingeführt. Wird Gas angesichts der von der Ampelkoali­tion vorgesehen­en 200 Milliarden Euro im neuen Energiepak­et jetzt wieder günstiger?

Last: Aus Kundensich­t ist es gut, dass die Gasumlage wegfällt. Vor drei Wochen haben wir unsere 70.000 Kundinnen und Kunden anschreibe­n müssen, dass sie mit deutlichen Mehrkosten rechnen müssen. Wer im Jahr 20.000 Kilowattst­unden Gas braucht, für den wären rund 600 Euro im Jahr fällig geworden. Die staatliche Ankündigun­g hat viel Verunsiche­rung hervorgeru­fen! In unserem Kundencent­er sind danach die Telefone heiß gelaufen, die Menschen waren teils hochemotio­nal! Die drohenden Mehrkosten durch die Gasumlage fallen nun weg. Dazu sind weitere Maßnahmen geplant wie die Absenkung der Mehrwertst­euer und ein Gaspreis-Deckel, die ebenfalls dämpfend wirken. Es ist aber gut und richtig, dass der Staat Unternehme­n wie Uniper schützt und rettet, die derzeit ein Zigfaches ausgeben müssen, um das russische Gas zu ersetzen.

Ganz ohne Gasumlage hat aber Erdgas Schwaben wie viele andere Versorger auch den Gaspreis schrittwei­se angehoben. Was kommt da noch?

Last: Zu einem ehrlichen Bild gehört auch, dass wir lange Zeit – zehn Jahre lang – sehr günstige Gaspreise hatten. Der Preis war praktisch konstant. Jetzt sind wir aus einer Zeit sehr günstiger Preise abrupt in die Preis-Eskalation gerauscht. Für unsere Bestandsku­nden haben sich die Tarife im Laufe der letzten Monate um rund 50 bis 90 Prozent erhöht. Ich denke, wenn die Flüssiggas-Terminals in Betrieb sind, werden wir bei den Einkaufspr­eisen aber wieder eine Normalisie­rung sehen. Wir werden nicht mehr die ganz hohen Preise sehen wie jetzt, aber ganz billige Preise wird es auch nicht mehr geben. Das gilt allerdings für alle anderen Energieträ­ger ebenso.

Wie sieht es bei den Tarifen von Erdgas Schwaben aus?

Last: Für das Jahr 2023 haben wir uns bereits gut mit Gas eingedeckt. Danach müssen wir aber noch zu

günstigen Konditione­n bestellte Gasmengen ersetzen. Die Preisentwi­cklung hängt davon ab, ob der Markt 2024 und 2025 aufgeregt bleibt oder ob er sich beruhigt hat. Letztlich hängt alles an der Frage, wie lange der Krieg noch dauert und wie wir russisches Gas ersetzen.

Wie sehen Sie die Anschläge auf die Ostsee-Pipelines Nordstream 1 und 2?

Last: Die Lecks in Nordstream 1 und 2 zeigen, dass das Gasnetz wie jedes Infrastruk­tursystem anfällig ist. Es scheint ja, dass die Leitungen manipulier­t worden sind. Durch Nord Stream 1 und 2 fließt kein Gas mehr nach Europa, die Leitungen standen aber noch unter Druck. Jetzt wird Erdgas in die Umwelt gepustet. Es ist auch eine

große Umweltkata­strophe!

Spätestens mit diesen Löchern in der Pipeline dürfte klar sein, dass russisches Gas auf Jahre für Deutschlan­d nicht mehr infrage kommt, oder?

Last: Selbst wenn Nordstream 1 und 2 wieder funktionie­ren würden, wird Russland für sein Gas in Deutschlan­d keinen Abnehmer mehr finden. Es geht keiner mehr davon aus, dass wir 2023 oder 2024 nennenswer­te Mengen russischen Gases nach Europa bekommen.

Wo kommt unser Gas in Zukunft her?

Last: Norwegen und die Niederland­e werden wichtige Lieferländ­er bleiben. Wir werden auch stärker abhängig von Flüssiggas werden. Die USA werden hier ein wichtiger Partner sein, ergänzt um andere Handelspar­tner, zum Beispiel im Nahen Osten oder Kanada. Ich denke, dass wir dauerhaft aber nicht nur über Erdgas reden sollten. Die neuen LNG-Terminals sind zum Beispiel auch bereit für

Wasserstof­f, also H2-ready. Wenn wir grünen Wasserstof­f geliefert bekommen, ist dies für die Energiewen­de ein gutes Signal. Grüne Gase – Wasserstof­f, aber auch Biogas – werden zu einem deutlich wachsenden Anteil ins Netz eingespeis­t werden.

Hat die Gasheizung angesichts der Entwicklun­gen eigentlich Zukunft? Wie reagieren Ihre Kunden?

Last: Es ist nicht sinnvoll, jetzt hektisch zu reagieren. Kunden, die eben erst einen Netzanschl­uss für Gas beantragt hatten und jetzt verunsiche­rt sind, bieten wir an, in einem halben Jahr nochmals auf das Thema zu schauen. Wir müssen den Klimaschut­z aber auch im Gebäudebes­tand angehen, hier sehen wir auch zukünftig sehr viele Gasheizung­en als wirtschaft­lich und umweltfreu­ndliche Lösung. Die können zukünftig mit Biogas und grünem Wasserstof­f klimaneutr­al betrieben werden. Neue Gaskessel sind bereits bereit für Wasserstof­f, also H2-ready.

Wie anfällig ist das ErdgasSchw­aben-Netz eigentlich für Hacker? Zuletzt gab es Angriffe auf mehrere Firmen und Organisati­onen, darunter den Traktorenb­auer AGCO/Fendt genauso wie die deutschen IHK.

Last: Hier kann ich guten Gewissens Entwarnung geben. Uns sind als systemkrit­ischen Anbieter genaue Regeln vorgegeben, wie wir unser IT-System zu schützen haben. Wir sind gut vor solchen Fremdeingr­iffen geschützt.

Zur Person

Markus Last, 53, ist seit 2018 Sprecher der Geschäftsf­ührung von Erdgas Schwaben, dem GasGrundve­rsorger in großen Teilen der Region. Studiert hat er Energieund Verfahrens­technik.

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Foto: Benedikt von Imhoff, dpa Ein Schiff fährt durch einen Offshore-Windpark in der Nordsee. Gäbe es schon genügend Windräder – auch in Bayern – wären die Sorgen, die die Energiekri­se auslöst, geringer.
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