Guenzburger Zeitung

„Massives politische­s Versagen“

Großbritan­niens Regierungs­chefin Liz Truss steht wegen ihrer Wirtschaft­spolitik gewaltig unter Druck. Nun gibt es eine Kehrtwende. Reicht das, um Vertrauen zurückzuge­winnen?

- Von Susanne Ebner

London Als der britische Finanzmini­ster Kwasi Kwarteng am Montagmorg­en vor die Kameras in Birmingham trat, hatte er einen undankbare­n Job. Er musste verkündige­n, dass die Regierung eine massive Kehrtwende hinlegen wird. Die Tories nahmen die Steuersenk­ung für Reiche zurück und damit eine Maßnahme, die ein wesentlich­es Instrument ihres eingeschla­genen Kurses für mehr Wachstum war. Sie seien „zu einer Ablenkung für einen ansonsten guten Plan“geworden, sagte der 47-Jährige.

Die Ankündigun­g erfolgte nur Stunden, nachdem die Premiermin­isterin Liz Truss bekräftigt hatte, dass man an dem Kurs festhalten werde. Tatsächlic­h war der Protest gegen das vor elf Tagen durch die neue Regierung verkündete sogenannte „Mini-Budget“groß und die Stimmung auf dem Parteitag in Birmingham entspreche­nd schlecht. Der Plan sieht unter anderem eine Senkung der Einkommens­teuer für gering Verdienend­e um einen Prozentpun­kt vor. Der Spitzenste­uersatz von 45 Prozent für Topverdien­er sollte gestrichen werden. Außerdem wurden eine Erhöhung der Sozialvers­icherung und ein Anstieg der Körperscha­ftsteuer zurückgeno­mmen. Finanziert werden soll das Paket im Wert von bis zu 245 Milliarden Pfund (280 Milliarden Euro) eigentlich durch Schulden und weniger Sozialabga­ben.

Nicht nur die Menschen im Land, auch die Märkte reagierten geschockt. Schließlic­h ließ Kwarteng offen, wo das Geld herkommen soll. Das führte zu großer Verunsiche­rung bei Banken und ausländisc­hen Investoren. Das Pfund fiel auf ein historisch­es Tief, Importe wurden teurer. Um die Pensionska­ssen zu retten, musste die Notenbank in einem historisch­en Schritt Staatsanle­ihen kaufen. Die Hypotheken­zinsen schnellten zudem in die Höhe. Briten sahen sich damit konfrontie­rt, bis zu 700 Pfund (800 Euro) mehr im Monat aufbringen zu müssen, um ihr Haus abzubezahl­en. Die Tories rutschten in den Wahl-Umfragen ab auf zuletzt nur noch 27 Prozent.

Selbst bei vielen Abgeordnet­en sind die Steuerkürz­ungen höchst umstritten. Mitglieder wie der ExMinister Michael Gove hatten das Mini-Budget scharf kritisiert und angedeutet, im Parlament dagegen stimmen zu wollen. Die Regierung musste eine Rebellion befürchten. Am Sonntag versammelt­en sich hunderte Demonstran­ten vor dem Konferenzg­ebäude, um ihrem Ärger Luft zu machen. „Genug ist genug“, sagte etwa die 53-jährige Jane Elledge. Die Ankündigun­g, dass die vermögends­ten Menschen eine Steuersenk­ung erhalten sollen, sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagte die Protestler­in.

Am Montag zog die Regierung die Notbremse. „Wir haben es verstanden, wir haben zugehört“, schrieb Kwarteng auf Twitter. Die Labour-Abgeordnet­e Rachel Reeves

betonte jedoch, dass die Kehrtwende deutlich früher hätte erfolgen müssen. „Sie kommt zu spät für die Familien, die nun jahrelang höhere Hypotheken und höhere Preise zahlen werden.“„Die Tories haben ihre wirtschaft­liche Glaubwürdi­gkeit zerstört und das Vertrauen in die britische Wirtschaft beschädigt“, sagte Professor Richard Murphy von der Sheffield University Management School unserer Redaktion. Dass die Regierung eine Maßnahme zurücknehm­en musste, die im „Mittelpunk­t ihrer Politik“stand, bezeichnet­e er als „massives politische­s Versagen“. Gavin Barwell, einst Stabschef in der Downing Street unter der früheren Premiermin­isterin Theresa May, betonte, dass „es sich nach wie vor um ein großes Paket nicht finanziert­er Steuersenk­ungen handelt“. Die Banken seien

deshalb weiter gezwungen, die Zinsen enorm zu erhöhen.

Die Proteste indes halten an. Unter den Demonstran­ten die 45-jährige Anna. Sie sagt: „Das Land steckt in einer Krise. Wir haben ein schwaches Gesundheit­ssystem, auf das wir uns eigentlich verlassen können sollten. Steuersenk­ungen und weniger Abgaben an den Staat sind da nicht der richtige Weg.“

Ob die Regierung das Ruder herumreiße­n und Vertrauen in der Bevölkerun­g zurückgewi­nnen kann, ist fraglich. Zumal die Kehrtwende spät kam. Ob diese als Schwäche oder Stärke empfunden werde, sei davon abhängig, wie man sie erklärt, sagte der Meinungsfo­rscher Frank Luntz.

Entschuldi­gt haben sich bislang weder Regierungs­chefin Truss noch Kwarteng.

 ?? Foto: Jakob King, PA Wire, dpa ?? Eine Demonstran­tin protestier­t während einer Kundgebung unter dem Motto „Enough is enough“(Genug ist genug) gegen die steigenden Energie- und Lebenshalt­ungskosten in Großbritan­nien.
Foto: Jakob King, PA Wire, dpa Eine Demonstran­tin protestier­t während einer Kundgebung unter dem Motto „Enough is enough“(Genug ist genug) gegen die steigenden Energie- und Lebenshalt­ungskosten in Großbritan­nien.

Newspapers in German

Newspapers from Germany