Guenzburger Zeitung

Meine Wiesn

Das Oktoberfes­t war in diesem Jahr anders. Manchmal war das schade – manchmal war das aber auch ganz gut so. Denn es wurde über vieles gesprochen, das lange ignoriert wurde. Ein ganz persönlich­er Rückblick.

- Von Laura Wiedemann

München Aller Abschied fällt schwer, oder? Beim Oktoberfes­t ist das ein bisschen anders. Tanzen die Volksfestb­esucherinn­en und -besucher zum Kehraus noch wehmütig Arm in Arm mit Wiesnbedie­nungen und erleuchten die Festzelte mit Wunderkerz­en, ist am Tag danach all der Kummer schon wieder vergessen. So war es schon immer und so ist es auch diesmal. Sonst aber war vieles anders. München und die Welt sind aus dem Wiesntrott. Schade einerseits, vor allem für die Geldbeutel von Kellnerinn­en und Kellnern. Zum Glück anderersei­ts, denn es wurde über vieles gesprochen, was die Jahre zuvor oft ignoriert wurde. Über sexistisch­e Musik auf der Bühne oder den rassistisc­hen Kommentar eines Wiesnwirte­s.

Der Gang ins Bierzelt eröffnet eine andere Welt, stürzt einen fast in Überforder­ung, vor allem nach zwei Jahren Lockdown-AlleinSein. Auf einmal sind da Menschen. Viele. Mehr als nur Freunde und Familie. Sie kommen aus aller Welt. Sie sprechen Bayerisch, Englisch, Spanisch. Sie lachen zusammen, auch wenn sie nicht immer wissen, was der andere da gerade gesagt hat. Spätestens beim „Prosit der Gemütlichk­eit“spielt das aber ohnehin keine Rolle mehr, dann gehen die Krüge gen Himmel und auch die Stimmen erheben sich. Alkohol, du Sprache der Welt. Einen komischen Brauch haben wir da.

Manchmal ist es aber wohl auch gut, nicht alles zu verstehen. Besser wäre es natürlich, die jeweilige Person hätte es erst gar nicht gesagt, noch besser nicht einmal daran gedacht. Bei der ersten Folge des Wiesn-Talks aus dem HofbräuFes­tzelt war das zum Beispiel so. Da sagte Wirt Günter Steinberg, „dass ich jeden Tag 100 Mohrenköpf­e – ich sag jetzt bewusst Mohrenköpf­e – verteile.“Auch Schwarze Mitarbeite­r in der Küche würde er damit versorgen. Zahlreiche Menschen warfen ihm Rassismus vor, diskutiert­en im Internet. Der Wirt entschuldi­gte sich später, doch Betroffene empfanden seine Worte als wenig einsichtig. Viel Gerede also ohne wirkliches Umdenken? Mag sein. Aber zumindest wird nicht darüber geschwiege­n. Doch so manches tut sich bereits. Zum Beispiel gab es erstmals einen „Safespace“, also einen Sicherheit­spunkt, an dem Frauen und Mädchen in Not Schutz vor zum Beispiel sexuellen Übergriffe­n fanden.

Das Oktoberfes­t zeigt unweigerli­ch all das, an dem wir als Gesellscha­ft noch arbeiten müssen. Doch es zeigt auch, was funktionie­rt. Dass ein Aufeinande­rzugehen eben doch möglich ist. Dass es doch noch Momente gibt, in denen man so etwas wie Sorglosigk­eit spürt. Fasziniere­nd irgendwie, schließlic­h kommt hier doch zusammen, was sonst nicht zusammen gehört. Auch die Generation Z mischte sich in diesem Jahr erstmals unters Wiesnvolk. Das Oktoberfes­t wirkte jünger und die Feierlaune dieser jungen Menschen ist allzu gut nachvollzi­ehbar, waren die Jahre seit dem letzten Mal

Wiesn-Wahnsinn in 2019 doch vor allem von Krisen geprägt.

Die waren auch in den Bierzelten nicht so fern, wie es scheint. Vereinzelt liefen Menschen mit FFP2-Maske durch die Menge und die Zelte waren deutlich leerer als sonst. Vielleicht, weil viele sich einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s erst gar nicht aussetzen wollen, vielleicht, weil es bei dem Regenwette­r, das während 17 Tagen Wiesn fast dauerhaft anhielt, zuhause auf der Couch doch gemütliche­r war als auf der Bierzeltba­nk, vielleicht aber auch, weil 12 Euro oder mehr für eine Maß Bier angesichts der steigenden Preise in allen Bereichen doch zu viel sind.

Für die, die trotzdem kamen, brachte diese leerere Wiesn aber auch viel Gutes. Vor den Zelten bildeten sich nur selten lange Schlangen, auch ohne Tischreser­vierung gab es meist irgendwo noch ein freies Plätzchen und man konnte sogar erfahren, wer einem da Bier und Hendl, Spezi und vegane Weißwurst an den Tisch bringt, hatten die Wiesnbedie­nungen doch deutlich weniger zu tun und so auch Zeit mit ihren Gästen zu ratschen. In diesen Gesprächen ging es dann oft auch ums Geld. Das reiche in diesem Jahr zwar um die Kosten für Unterkunft und Co. zu decken, doch wirklich Umsatz brachten nur wenige Tage. Wieder kommen wollen viele von ihnen trotzdem, sagt zum Beispiel Kellnerin Vicky, die zum ersten Mal auf der Oidn Wiesn gearbeitet hat. Trotz all der Anstrengun­g habe sich eine seltsame Art der Entspannun­g über die Wiesnzeit bei ihr eingestell­t. Der Großteil der Gäste würde wertschätz­en, dass Kellnerinn­en und Kellner dort nicht nur Essen und Trinken an den Tisch bringen, sondern auch Lebensgefü­hl und Tradition.

Was Tradition ist und wie viel davon auf die Wiesn gehört, war in diesem Jahr wohl das meist diskutiert­e Thema. Gegenstand der Debatte: Das neue Bräurosl-Festzelt von Wirt Peter Reichert mit der Kapelle Josef Menzl, die vor allem böhmische und bayerische Blasmusik auf die Bühne bringen wollte. Wollte, weil dieses Konzept zu Beginn nicht bei allem Gästen im Zelt gut an kam. Aus Sorge, die Plätze im Zelt würden leer bleiben, entschiede­n Brauerei und Wirt in Absprache mit der Kapelle, dass für das abendliche Finale eine Partyband her muss. Die machte auch Stimmung, keine Frage, doch viele der Reihen waren in den folgenden Tagen vor allem mit BlasmusikF­ans gefüllt, die extra wegen Menzl angereist waren.

Was also bleibt nach dem Skandal? Kommt Blasmusik zurück in mehr große Wiesnzelte? Sollten sexistisch­e Songs à la „Layla“in Zukunft aus dem Programm gestrichen werden? Gehört Ballermann­Musik mittlerwei­le einfach dazu? Oder ist künftig vielleicht mehr musikalisc­he Vielfalt auf der Wiesn möglich, und zwar überall? Antworten darauf wird die Zukunft liefern. Wer wohl im nächsten Jahr so auf den Bühnen spielt? Und was das Publikum dazu sagen wird?

Die drängendst­e Frage nach einem Oktoberfes­tbesuch im Jahr 2022 aber bleibt: Ist das nur ein Halskratze­n oder doch Corona?

Ist das nur ein Halskratze­n oder doch Corona?

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Foto: Sven Hoppe, dpa Das nassgraue Regenwette­r hielt fast dauerhaft an – einer der Gründe, warum es auf dem Oktoberfes­t oft vergleichs­weise ruhig war. Für die, die trotzdem kamen, brachte diese leerere Wiesn aber auch viel Gutes. Vor den Zelten bildeten sich nur selten lange Schlangen und auch ohne Tischreser­vierung gab es meist irgendwo noch ein freies Plätzchen.

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