Schwangere Lehrerinnen dürfen wieder unterrichten – wollen sie auch?
Zwei Jahre lang durften die Lehrerinnen ihre Klassenzimmer nicht betreten. Das ändert sich nun. Warum eine Betroffene sagt, dass das einen hohen Druck mit sich bringt.
Kritik an der Kommunikation des Kultusministeriums
Augsburg Schwangere Lehrerinnen in Bayern, aktuell sind es etwa 2900, mussten lange kreativ sein, wenn sie ihre Aufgabe gut erledigen wollten. Denn ihre Klassenzimmer durften sie nicht betreten. So wollte das Kultusministerium sie vor Corona schützen. Das Betretungsverbot galt über zwei Jahre. An diesem Dienstag fällt es. Dann dürfen Lehrkräfte auch während der Schwangerschaft wieder vor Ort unterrichten. „Nicht als Zwang, aber als Möglichkeit“, wie Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) ankündigte. Wollen die Betroffenen bei steigender Corona-Inzidenz überhaupt Präsenzunterricht halten?
Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), sagt, die betroffenen Lehrerinnen sollen eine Rückkehr auf jeden Fall mit ihrem Arzt besprechen. Sie kennt Betroffene, denen die Möglichkeit der Rückkehr ins Klassenzimmer bei steigender Inzidenz Sorgen macht. „Es gibt aber auch Stimmen, die sagen: Gott sei Dank“, sagt Fleischmann. In den vergangenen zwei Jahren hätte so manche Lehrerin geweint, weil sie gewusst habe, dass sie mit der Schwangerschaft nicht mehr ins Klassenzimmer dürfe – und in Zeiten des akuten Personalnotstands ihre Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich lassen wollte.
Problematisch kann es laut Fleischmann werden, wenn an der gleichen Schule eine schwangere Lehrerin zurückkommt und eine andere nicht. „Das führt dazu, dass auch Eltern nachfragen: Was soll das jetzt?“Das werde in Verbindung mit dem Lehrerinnen- und Lehrermangel zu Spannungen führen.
Von genau dieser Furcht berichtet eine schwangere Förderschullehrerin, die anonym bleiben möchte, unserer Redaktion. „Der Schulleitung mitzuteilen, dass man nicht zurückkommt, obwohl
man ja jetzt wieder arbeiten könnte, bringt einen hohen Druck und eventuell auch Rechtfertigungen mit sich.“Die Kollegin, die wieder ins Klassenzimmer zurückkehre, stehe natürlich besser da als die, die es nicht tut. Die Lehrerin betont, dass sie bislang nie Angst vor Corona gehabt habe. „Jetzt, wo ich schwanger bin, sieht das etwas anders aus.“Präsenzunterricht mit ausreichend Schutz vor Corona sei nicht in jeder Schule möglich. Das Fazit der Förderschullehrerin fällt deutlich aus: „Ich denke, der wahre Grund für die Beendigung des Betretungsverbots ist der akute Lehrermangel.“
Die Personalnot sorgt auch laut der Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW) Bayern, Martina Borgendale, für zusätzlichen Druck, „freiwillig“zurückzukommen. „Gerade beim massiven Lehrkräftemangel an den Grund- und Mittelschulen ist es schwer, hier Nein zu sagen.“Das Kultusministerium delegiere die Verantwortung an die Schulleitungen. Wie haben betroffene Schwangere reagiert? „Mit Unsicherheit“, sagt Borgendale. Vom Dienstherrn fehlten laut der Gewerkschaftsvorsitzenden lange Zeit Angaben, etwa zur Frage: „Was hat sich nun geändert und welchen zusätzlichen Schutz für Schwangere gibt es am Arbeitsplatz?“
Die Kommunikation des Ministeriums kritisiert auch Borgendales Stellvertreter Florian Kohl. Als
Personalrat habe er schon mit einigen Betroffenen über ihre Sorgen gesprochen.
Sowohl der BLLV als auch die GEW krisitierten am Freitag, dem letzten Werktag vor Ende des Betretungsverbots, dass ein versprochener Leitfaden des Kultusministeriums immer noch nicht da sei. Das Ministerium teilte unserer Redaktion zunächst mit: „Die Umsetzung des Ministerratsbeschlusses vom 13. September 2022 wird derzeit vorbereitet.“Unterlagen und Formulare für die Schulleitungen seien in Arbeit. Am Freitagnachmittag war es dann so weit: Das Ministerium verschickte ein 79-seitiges Dokument.
Da das Betretungsverbot zum Beginn des Schuljahres noch gegolten
habe, seien Schwangere nicht für die „Basisabdeckung des Unterrichts“eingeplant, teilte ein Ministeriumssprecher mit. „Schwangere Lehrerinnen können zum Beispiel für Differenzierungsund Fördermaßnahmen zur Verfügung stehen und ihre restliche Arbeitszeit wie bisher von zu Hause aus ableisten.“Die tägliche Einsatzzeit sei eine individuelle Entscheidung von Schule und Schwangerer.
Simone Fleischmann vom BLLV sieht die nächste Zeit als Herausforderung – und zwar für Lehrerinnen und Schulleiter, Schülerinnen und Eltern. „Wir müssen alle anerkennen, dass die Erwartung an den Unterricht dieses Jahr nicht erfüllt wird.“