Die Spannung um Igor Levit
Um ein Haar hätte es jetzt beim Festival der Nationen in Bad Wörishofen einen reinen Beethoven-Abend gegeben. Aber dann wich der weltweit verehrte Pianist ab vom Pfad.
Bad Wörishofen Soeben war Rolando Villazón beim Festival der Nationen zu hören gewesen, da betritt nun Igor Levit die Bad Wörishofener Bühne. Erst der extrovertierte Tenor, der im Grunde mehr sein Publikum vereinnahmen will als die von ihm gewählten Stücke, dann der zumindest künstlerisch introvertierte Pianist, der die Kunst allein ins Zentrum seines Tuns stellt und gleichsam über die Macht der Musik – und ohne Sperenzchen – das Auditorium fesselt. Das eine: eine Spur zirkushaft; das andere: der feste Wille, Beethovens drittem Klavierkonzert gerecht zu werden.
Und so kam es jetzt im Wörishofener Kursaal zu einem exemplarisch ernsthaften Konzertabend, der durch seine ästhetische Überhöhung gleichwohl mitriss. Um ein Haar wäre es ein reiner Beethoven-Abend geworden, weil doch auch das Signal, das im Foyer zum Konzert ruft, vom „Fidelio“-Komponisten stammt, dieses Signal zur Befreiung eines politischen Todeskandidaten. Aber dann entschloss sich Levit, als zarte Zugabe eines der Moments musicaux von Schubert zu spielen.
Seinem Auftritt stand gewiss nicht entgegen, dass ihn Intendant Winfried Roch über die Agentur Classic Concerts Management weltweit vertritt; auch diese gute Verbindung kommt dem Festival und seinen Künstlern enorm zugute: Metropol-Künstler im Kurort. Da kann sich die Kommune sehr glücklich schätzen.
Und wenn dann noch solch ein Dirigent wie Giovanni Antonini und solch ein künstlerisch offenes – und vergleichsweise junges – Ensemble wie das historisch gebildete Kammerorchester Basel mitwirken, dann ist die Seriosität des Abends doppelt gesichert: Beethoven nicht routiniert repetiert, sondern mit seinem Ideenhaushalt ausgeformt und durchgestaltet.
Das begann mit trockenen, angerissenen Orchesterschlägen für die Ouvertüre von Beethovens „Prometheus“-Ballett, die insgesamt straff und drängend ein signifikantes dramatisches Prinzip des Komponisten umsetzte: die Überwindung eines Konflikts.
Und das endete mit Beethovens siebter Sinfonie als Entfesselung seines hier unwirschen, dort die aufopferungsvolle Liebe beschwörenden musikalischen (und charakterlichen) Temperaments. Das Leichte kann da plötzlich ins Pathos umschlagen (zweiter Satz), das Verspielte ins Derbe (dritter Satz) und der Lebensjubel in gleichsam angeordnete, gepeitschte Euphorie. Giovanni Antonini wirkte wie ein Kraftstoff für das Orchester, das den Abend so dynamisch beendete, wie es ihn begonnen hatte – mit trockenen, jetzt nahezu lapidaren Orchesterschlägen. Fünf an der Zahl. Das saß.
Dazwischen aber Beethovens drittes Klavierkonzert mit Igor Levit an einem perfekt intonierten und gestimmten modernen Flügel. Wenn die Musikwissenschaft das Verbindende zwischen Klassik und Romantik expressis verbis festhält, dann lag in dieser Interpretation quasi die praktische Umsetzung
dazu vor: klassischer, dramatisierter Originalklang des Orchesters – etwa im Naturton-Blech –, dazu der große Konzertsaalflügel, wie er erst im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert durch Metallrahmen entwickelt worden war.
Derart ereignete sich Beethoven gleichsam aus einer Doppel-Perspektive heraus – auch weil Igor Levit das rechte Pedal mitunter prägnant romantisierend einsetzte (Klangwolken in der Kadenz 1. Satz!) und bei höchster Nuancierungskunst ausgesprochen kantabel spielte. Zwei Perspektiven, zwei Wahrheiten: Aus dem Orchester tönte es impulsiv; und gleichzeitig faszinierte Igor Levit durch Verfeinerung und Überhöhung der Beethovenschen Ästhetik. Ein starkes Spannungsfeld. Ein großer, weil allseits hingebungsvoller Abend.