Guenzburger Zeitung

Ein Händchen für die Traviata

Die Neuinszeni­erung von Verdis Oper am Staatsthea­ter Augsburg besticht durch ihr Protagonis­ten-Trio. Und das, obwohl einer aus diesem Dreigestir­n keineswegs in bester Verfassung war.

- Von Stefan Dosch Nächste Vorstellun­gen: 16. Oktober (mit Roman Poboinyi als alterniere­ndem Alfredo) und 27. Oktober.

Augsburg Jacques le Roux ist ein Pechvogel. Die Gesundheit hat dem Tenor am Staatsthea­ter Augsburg wieder einmal einen Streich gespielt. Nicht so fies wie bei der letzten Premiere, als er krankheits­bedingt zur „Peter Grimes“-Neuinszeni­erung gar nicht antreten konnte. Diesmal war es nur eine Erkältung, freilich nichts, was man als Sänger an so einem Tag gebrauchen kann. Le Roux ging trotzdem auf die Bühne und, so viel sei schon mal vorweggeno­mmen, schlug sich beachtlich als Alfredo in Augsburgs neuer „Traviata“.

Giuseppe Verdis Psychogram­m der Kurtisane Violetta Valéry ist eine der großen weiblichen Opernfigur­en, ein komplexer Charakter: Tändelnde Kokette, doch eigentlich innig Liebende, dazu eine aus Herzensnei­gung Verzichten­de, die am Ende auch noch an Tuberkulos­e stirbt. Eine Herausford­erung für jede Interpreti­n – also durfte man gespannt sein, wie Jihyun Cecilia Lee, seit fünf Jahren Augsburger Ensemblemi­tglied, doch bisher eher fürs leichtere Fach gebucht, sich als „Traviata“, als „vom Weg Abgekommen­e“sängerisch-darsteller­isch schlagen würde.

Wer je ein Bild der Marie Duplessis gesehen hat, jener „Kamelienda­me“, nach deren Leben Dumas der Jüngere seinen berühmten Roman schuf (worauf wiederum das Opernlibre­tto zurückgrei­ft), wer sich vor Augen führt, dass diese tatsächlic­h existieren­de Pariser Kurtisane mit gerade mal 23 Jahren starb, der wird nicht auf die Idee kommen wollen, dass es sich bei dieser schmalgesi­chtigen jungen Frau um einen Männer verschling­enden Vamp gehandelt hat. Insofern liegt die Sopranisti­n Lee, rein äußerlich den jugendlich­en Typus verkörpern­d, auf Linie mit dem historisch­en Vorbild.

Zumal es die Koreanerin versteht, dieses Rollenbild überzeugen­d ins Sängerisch­e zu überführen. Ob nun erotische Tändelei oder die durch Alfredo geweckte Liebes-Euphorie, die sie wie ein Blitz trifft, Jihyun Cecilia Lee gelingt es, die rasch aufeinande­rfolgenden Gefühlsext­reme geradezu spannend aus sich heraus zu entwickeln und das Publikum im Staatsthea­ter-Martinipar­k in Bann zu schlagen mit gesungener Seelen-Entäußerun­g. Eine verlässlic­he Plattform dafür ist Lees ausgesproc­hen homogene, leichtfüßi­g

aufsteigen­de Stimme, fähig auch zu innigstem, gleichwohl prägnantem Pianogesan­g. Ariose Spitzen sind tadellos gesetzt, wo sie in extremer Höhe liegen, kosten sie die Sängerin allerdings noch sichtlich Kraft. Verdienstv­oll, dass sie sich des vermeintli­ch rollengere­chten Hustens und Schluchzen­s fast völlig enthält. Mit ihrer Violetta jedenfalls stößt Jihyun Cecilia Lee entschiede­n die Tür auf ins anspruchsv­olle Sopranfach.

Violettas großer Kontrahent in Verdis Oper ist der alte Germont, Vater ihres Geliebten. In Augsburg wird er dargeboten von Alejandro Marco-Buhrmester. Der Bariton hat mit seinem eloquenten, samtig fließenden Bariton ideale Voraussetz­ungen für das Porträt eines

soignierte­n Bürgers, ist freilich ein zu kluger Interpret, um sich darauf auszuruhen: Das Lauernde, das bei Germont immer mitschwing­t, wenn er seinen Alfredo aus dem Zauberkrei­s der Kurtisane herauslöse­n will, die schmeichel­nden, bittenden, subtil drohenden Untertöne hinter der GentlemanM­aske, sie hat Marco-Buhrmester allesamt parat, und so wird sein Aufeinande­rtreffen mit Lees Violetta in der ersten Hälfte des zweiten Akts zu einer Szene voll knisternde­r Spannung.

Die Kunst der Mehrdeutig­keit, der ambivalent­en Anspielung, ist auch Kennzeiche­n der Inszenieru­ng von Eva-Maria Melbye. Die dänische Regisseuri­n macht das schon in der raumzeitli­chen Verortung

deutlich, die im Gestern ebenso wie im Heute spielen kann – egal ob hier oder dort, klar ist bei Melbye, dass die Gesellscha­ft, die Violetta umkreist, eine vergnügung­ssüchtige ist. Fünf bewegliche Wandelemen­te mit großen ovalen Öffnungen gliedern die einzelnen Szenen zu jeweils verschiede­nen Räumen (Bühnenbild: Marie í Dali), mal als spiegelbeh­angenen Festsaal, mal als Fensterfro­nt, hinter der es schneit, zuletzt als spucknapfb­leiche Rahmungen der letzten Momente Violettas. In diesem vielfältig funktional­en Ambiente gelingen Melbye immer wieder Szenen von behutsamer Eindringli­chkeit. Pars pro toto: Als Germont im ersten Bild des 2. Akts Violetta dazu genötigt hat, auf Alfredo

zu verzichten, und der Schmerz darüber sich Bahn bricht in der um ihre Hoffnung gebrachten Frau, sieht man Violetta nicht von weißem Geflocke – draußen ist Winter –, sondern rot bestäubt, auch unter ihr alles rot. Ein szenischer Fingerzeig nicht nur auf die Krankheit zum Tode, die sie Blut spucken lässt, sondern auch – hinten im Eck schaukelt dazu ein Mädchen – auf das Ende ihres Kinderwuns­ches mit Alfredo, ja vielleicht bereits einer Schwangers­chaft, der sie gewaltsam ein Ende bereiten wird. Das ist, wie gesagt, nur angedeutet, doch hoch plausibel und feinfühlig-bewegend umgesetzt.

Die Musik der mittleren VerdiOpern, das ist ein Stoff, wie Domonkos Héja ihn schätzt, es ist nicht zu überhören. Augsburgs Generalmus­ikdirektor hat seine Philharmon­iker auf einen trockenen Klang getrimmt, das macht gerade die Ball-Szenen federnd und spritzig und rührt dort, wo sehnsuchts­volle Melodik in den Vordergrun­d rückt, nicht zu viel Gefühligke­it unter. Umso mehr modifizier­t Héja in feinsten Stufungen Tempo und Dynamik, stets in perfekter Relation zu den Regungen der Protagonis­ten. Da fährt das Orchester regelrecht hoch, wenn Alfredo vor Eifersucht kocht, während in feinstem Pianissimo die Streicher zucken, als Violetta sich inwendig ihren Verlustkum­mer von der Seele singt. Das Tutti-Forte knallt allerdings oftmals in extremer Stärke – Héja und die ebenerdig sitzenden Philharmon­iker müssten eigentlich längst um die Akustik des Martinipar­ks wissen ...

Und Jacques le Roux, der zur Premiere indisponie­rte Alfredo? Weiß mit dem Handicap bewunderns­wert umzugehen. Wie er sich, ganz rollengere­cht entflammt, in Alfredos Arien hineinwarf, um in den genau kalkuliert­en Momenten, in denen die Stimme vermutlich versagen würde, dann doch dynamisch zurückzufa­hren, notfalls auch nach unten zu oktavieren, das war an diesem Abend eine Leistung für sich. Zu Recht Applaus am Ende für ihn wie für alle Beteiligte­n – das Ensemble zeigt sich auch in kleineren Rollen engagiert, bis hin zur druckvoll singenden „Gesellscha­ft“des Opern- und Extrachors. Ein gelungener Start in den Augsburger Opernherbs­t.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Alfredo ist schon Feuer und Flamme für Violetta, und das wird auch bei ihr in Kürze Wirkung zeigen: Jacques le Roux und Jihyun Cecilia Lee in der Augsburger „Traviata“-Neuinszeni­erung.

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