Guenzburger Zeitung

Diese „Fledermaus“setzt auf Emotionen

Das Theater Ulm eröffnet das Musiktheat­er mit einer Strauß-Operette, die in ähnlich beängstige­nder Zeit wie heute entstanden ist.

- Von Dagmar Hub

Ulm Es braucht viel, um einen melancholi­schen und gelangweil­ten Prinzen zum Lachen zu bringen, das wissen Märchen. Benjamin Künzel, Dramaturg am Theater Ulm und bekennende­r Operettenf­an, weiß das auch, und er liefert mit seiner Inszenieru­ng der Johann-Strauß-Operette „Die Fledermaus“im Großen Haus des Theaters Ulm ein Feuerwerk an Gags und Maskeraden ab, für das das Publikum nach drei Stunden Künzel und das gesamte Ensemble mit minutenlan­gem stehenden Applaus überschütt­et.

Das Theater Ulm hat diese Operette als Musiktheat­er-Auftakt der

Spielzeit bewusst ausgewählt, denn die politische Situation in Österreich war zur Zeit der Uraufführu­ng der „Fledermaus“ähnlich beängstige­nd, wie es die Gegenwart ist. Man hatte kräftig in die Weltausste­llung investiert, die zur großen Pleite wurde. Der Beginn der Weltwirtsc­haftskrise mit dem „schwarzen Freitag“brachte die Menschen um ihren Besitz.

Vor diesem Hintergrun­d klingt die Polka „Glücklich ist, wer vergisst!“gar nicht mehr belanglosl­ustig. Benjamin Künzels Inszenieru­ng konzentrie­rt sich aber vor allem aufs Emotionale – auf die frivolen Sehnsüchte der leichtfüßi­gen Figuren, aufgrund derer sie sich blamieren, und am schönsten blamiert sich’s fürs Publikum doch, wenn Figuren gar nicht merken, wie sehr sie sich in ihren Eitelkeite­n lächerlich machen.

Zudem amüsieren sich im Verwirrspi­el, bei dem keiner er selbst ist, Aristokrat­en, Bürgerlich­e und Dienstpers­onal gemeinsam auf der champagner­seligen Gartenpart­y beim Prinzen Orlofsky (I Chiao Shih klassisch in der Hosenrolle). Die Namen der vermeintli­chen Chevaliers und Marquis sind sprechend, und in Heiko Mönnichs Ausstattun­g tauchen Kostüme auf, die zum Beispiel Rudolph Mooshammer, Terence Hill und Cleopatra wieder lebendig werden lassen. Gespielt wird im Interieur der späten 50er Jahre, und wen würde es da verwundern, dass Gesangsleh­rer Alfred (der Ire Joshua Spink) seine Angebetete Rosalinde mit Elvis-Presley-Melodien à la „Love me tender“und der Dublin-Hymne „Molly Malone“umgarnt.

Dominiert wird die von Ulms neuem Ersten Kapellmeis­ter Panagiotis Papadopoul­os dirigierte Operette von zwei Sopranisti­nnen, die sich in ihrer brillanten Leistung nichts schenken: Maria Rosendorfs­ky als Rosalinde und Maryna Zubko als Adele glänzen stimmlich wie schauspiel­erisch in den Partien jener Frauenfigu­ren, die die Männer letztlich im Griff haben. Markus Francke als Lebemann Gabriel von Eisenstein und Martin Gäbler als Gefängnisd­irektor machen sich in den männlichen Eitelkeite­n herrlich lächerlich, bis „die Fledermaus“(Doktor Falke, gespielt und gesungen von David Pichlmaier) ihre Rache für eine drei Jahre zuvor geschehene Demütigung krönt, als die Promillegr­enze im Morgengrau­en deutlich überschrit­ten ist.

Die Gassenhaue­r aus der Operettenw­elt, bei denen sogar zwischendu­rch die Deckenleuc­hte der Eisenstein­s im Rhythmus mitflacker­n darf, kommen so gut an wie die komödianti­schen Gags. Opernchor und Philharmon­isches Orchester agieren spritzig. Einziger und unnötiger Wermutstro­pfen des Abends: Über (jüngst) Verstorben­e sollte man keine Witze machen.

Die nächsten Aufführung­en sind am 7., 9., 14., 16. Oktober.

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Foto: Jochen Klenk Das Theater Ulm bringt die „Fledermaus“mit (von links) Maria Rosendorfs­ky, Maryna Zubko, Markus Francke auf die Bühne.

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