Malta entdeckt sein Erbe neu
Ein Netzwerk lädt Touristinnen und Touristen ein, ursprüngliche Delikatessen der Mittelmeerinsel kennenzulernen. Dafür sollte man als Gast Hunger mitbringen. Eine kulinarische Entdeckungsreise zu Winzern, Salzmachern und Bäckern, die viel zu erzählen habe
Kritisch beäugt der alte Mann mit der sonnengegerbten Haut wie die Neulinge mit ihren Besen an seinen Salzpfannen an der Ostküste Maltas kratzen. Statt die Salzkristalle vorsichtig auf der Wasseroberfläche zusammenzufegen, schrubben sie fast am steinernen Boden der flachen Wasserbassins. Der 85-jährige Zaren greift ein und erklärt zusammen mit seinem Sohn Mario Darmanin das Prozedere der Salzernte noch mal. Klappt schon besser.
Seit 250 Jahren betreibt die Familie Darmanin die Salzpfannen am Strand des Örtchens Marsaskala. Durch Verdunstung in den flachen Becken wird Meersalz gewonnen. Zaren Darmanin macht das, seit er zehn Jahre alt ist. Sein Leben lang arbeitete er jeden Sommer an den Salzpfannen, im Winter war er als Bauer tätig. Noch heute verkauft er sein Salz persönlich auf dem Markt. Ums Geld geht es dabei aber schon längst nicht mehr, sagt Sohn Mario. Die harte Handarbeit in der prallen Sonne sei kaum rentabel. Da mache es dann auch nichts, dass sich der Vater gelegentlich mit den Geldscheinen vertut und großzügig Rückgeld verteilt, erklärt er mit einem Lachen. Der Erhalt der uralten Tradition steht für ihn im Vordergrund – schon zu Römerzeiten wurde auf diese Weise Salz produziert. Die Familie hat sich deshalb der Organisation Merill angeschlossen, ein Netzwerk, das sich die Bewahrung der alten maltesischen Lebensweise zur Aufgabe gemacht hat, indem sie Touristinnen und Touristen mit Einheimischen zusammenbringt und so das Wissen um die Kultur der Insel verbreitet.
Doch nicht nur die Salzernte öffnet auf Malta den Blick in die Vergangenheit. Die Mittelmeerinsel ist seit vielen tausend Jahren durchgehend besiedelt. Mehrere steinzeitliche Tempelanlagen laden auf Malta und der Nachbarinsel Gozo zu Entdeckungstouren ein. Eine Besonderheit ist das Hypogäum von Hal-Saflieni. Die künstlich geschaffene Höhlenanlage stammt aus der Jungsteinzeit und zieht heutige Besucherinnen und Besucher mit seiner besonderen Atmosphäre zuverlässig in seinen Bann. Die Begräbnisstätte wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt und leider auch beschädigt. Der Zugang ist daher heute streng reguliert. Wer das Hypogäum sehen will, muss frühzeitig, also einige Wochen im Voraus, buchen.
Eine Entdeckung kulinarischer Art gibt es bei Gullinu Scicluna. 35 Jahre lang hat er in seiner kleinen Bäckerei in Rabat Pastizzi verkauft. Die Blätterteigtaschen sind der Inbegriff maltesischen Streetfoods, früher waren sie ein beliebter, haltbarer Snack, den die Bauern sich für den harten Arbeitstag auf den Feldern einpackten. Traditionell werden Pastizzi mit zwei verschiedenen herzhaften Füllungen zubereitet – eine orientalisch gewürzte Erbsenpaste und eine Frischkäsecreme mit maltesischem Ircotta, der im Gegensatz zum italienischen Ricotta aus frischer Kuhmilch und nicht aus Molke gewonnen wird. Knifflig wird die Pastizzi-Produktion, wenn es darum geht, die kleinen Blätterteig-Röllchen mit beiden Händen auszudehnen, um sie anschließend zu füllen. Dabei reißt der Teig gern ein. Der 73-jährige Gullinu macht es mit flinken Fingern vor, die Gäste dürfen es nacheinander auch mal probieren. Im Holzofen backen die gemeinsam produzierten Pastizzi knusprig golden-braun, bis sie anschließend von ihren Produzenten direkt verspeist werden. Dazu serviert Gullinus Frau Nancy gewürzten Kaffee, eine weitere Spezialität der Insel.
Der herzhafte Snack ist überall auf Malta erhältlich. Mittlerweile gibt es die leckeren Teigtaschen nicht mehr nur mit Frischkäse und Erbsen, sondern mit ganz verschiedenen Füllungen, auch in süß. Manch traditionsbewusstem Malteser gehen Nutella-Pastizzi zwar einen Schritt zu weit, doch bei einem Preis von rund 50 Cent das Stück lohnt es sich, das ganze Angebot durchzuprobieren.
Zu Maltas Spezialitäten zählt auch der Schafskäse Gbejna, was im übrigen „dschbäina“gesprochen wird. In Sachen Aussprache stellt Maltesisch Touristinnen und Touristen häufig vor Herausforderungen. Es ist die einzige semitische Sprache Europas und die einzige semitische Sprache der Welt, die lateinische Buchstaben verwendet.
Für die Herstellung des Gbejna benötigt Bauer Joseph Vasallo auf seinem Hof in Siggiewi nicht viele Zutaten, nur frische Milch, Salz und etwas Lab. Nach dem Melken seiner Schafe fängt der 30-Jährige, der im Hauptberuf in einem Schlachthaus arbeitet, direkt damit an. Man kann den Käse frisch essen, üblicher ist aber, ihn zu trocknen und mit Kräutern oder Pfeffer einzulegen. Der Gbejna – die kleinen Käselaibchen heißen dann Gbejniet – hat bei den Einheimischen allerdings einen schweren Stand, jahrzehntelang war er als „Arme-LeuteEssen“verpönt und kämpft sich nur langsam zurück auf die maltesischen Teller. Christian Borg von Merill Malta erklärt, woher die Vorbehalte kommen: In den 1940er Jahren brach auf der Insel eine Pandemie aus, die auch heute noch als „Maltafieber“bekannt ist. Ausgelöst wurde die Krankheit durch den Verzehr von unpasteurisierter Frischmilch – verantwortlich waren wohl die Schafsmilch und der Gbejna. Die Regierung startete Kampagnen und machte Kuhmilch populär. Eine Strategie, die bis heute nachwirkt, obwohl die Krankheit unter den heutigen Hygienebedingungen mit lückenloser Kühlung kein Problem mehr sei, so Borg. Erschwerend komme hinzu, dass die Regierung damals selbst in die Kuhmilchproduktion einstieg und bis heute rund 30 Prozent der Milchwirtschaft der Insel in den Händen hält – eine Lobby, gegen die die kleinen Familienbetriebe wie der von Joseph Vasallo schwer hätten.
Wie sich die Kulinarik auf der kleinen Mittelmeerinsel weiter entwickelt hat, lässt sich beispielsweise beim Weinanbau beobachten. Heimisch sind auf Malta die Rebsorten Gellewza und Ghirghentina. Jahrhundertelang spielte Wein nur eine Rolle als Alltagsgetränk, in den vergangenen Jahren versuchen sich die maltesischen Winzer aber immer mehr an Premiumweinen. Edle Tropfen entstehen etwa bei Ta’ Betta, ein Herzensprojekt des Unternehmerpaares
Astrid und Juanito Camillieri. Die beiden Weinliebhaber haben ein altes, brachliegendes landwirtschaftliches Grundstück in ein schickes Weingut verwandelt.
Die Camillieris setzen wie viele andere Weinbauern Maltas auf internationale Rebsorten. Bei ihnen wachsen Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Syrah und als einzige weiße Traube Chardonnay. Der Produktionsprozess ist von kalifornischen Weinen inspiriert. Auf den Etiketten der Weinflaschen spiegelt sich aber der Heimatstolz der Malteser wider. Die Weine von Ta’ Betta laden zu einer kleinen Geschichtsstunde ein.
Sie tragen Namen von Großmeistern des Malteserordens, dem die Insel 1530 vom spanischen König als Lehen übergeben wurde. Die Ritter machten Malta zur Heimat ihres Ordens, der sich infolge auch entsprechend von Johanniter in Malteser umbenannte. Die Insel im Mittelmeer erlebte ihre Blütezeit, kulturell wie auch militärisch. Noch heute prägen die Befestigungsanlagen der Ritter, die aus dem hellen Kalkstein der Insel gebaut wurde, das maltesische Ortsbild. Stadtmauern, Kirchen, Straßen – der leicht gelbliche Kalkstein ist generell allgegenwärtig.
Der maltesische Großmeister Jean Parisot, der die Insel 1565 erfolgreich durch die türkische Belagerung führte und anschließend die heutige Hauptstadt Valetta gründete, steht für Maltas militärischen Erfolge.
Parisot hatte große Kämpfe ausgefochten. Durchaus ein Kampf sei es auch gewesen, die Rebsorte Chardonnay im trockenen maltesischen Klima zum Wachsen zu bringen, erklärt Marie Choquet, General Managerin von Ta’ Betta. So schien der Name Jean Parisot für den dort produzierten Chardonnay ganz passend. Der rote Cuvée Antonio Manoel hingegen machte es den Winzern leicht, die Mischung aus Cabernet Sauvignon und Merlot ergibt einen opulenten, gefälligen Wein. Großmeister Antonio Manoel, Namenspate für diesen feinen Rotwein, führte den Orden zu Friedenszeiten, er war kein Mann des Krieges, sondern ein Förderer von Kunst und Kultur. Auch das Theater von Valetta trägt seinen Namen.
Viele Köchinnen und Köche stellen ihre maltesischen Wurzeln wieder ins Zentrum ihrer Menüs. Jahrzehntelang schielte man in der gehobenen Küche der Insel eher nach den Trends der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien oder des nur knapp 170 Kilometer entfernten Italiens. Heute stehen auch wieder maltesische Gerichte auf den Speisekarten von Sterneküchen wie dem „Under Grain“in der Hauptstadt Valetta.
Bezahlbarer als die Sterneküche, dafür aber noch etwas maltesischer, geht es in der Küche des Verbena zu. Rote Tomatensauce mit Zucchini und Kapern blubbert auf dem Herd vor sich hin. Koch Manuel Schembri steht an der Arbeitsplatte gegenüber und setzt gerade mit einem scharfen Messer an dem frisch glänzenden Fisch an. Wie zu dieser Jahreszeit üblich soll heute Lampuki auf den Tisch kommen. Die Goldmakrele ist der Nationalfisch Maltas, die Fangsaison wird jährlich mit einer großen Segnungszeremonie eingeläutet. Auf dem Markt des Fischerstädtchens Marsaxlokk türmen sich dann die Lampuki auf den Tischen der Händler.
Schembri setzt in seinem Restaurant komplett auf Lokalität. Einen Großteil der Zutaten für seine Küche baut er sogar selbst an, von Kräutern bis Granatäpfel. Fleisch und Fisch – auch seine Lampuki – bezieht er von Bekannten. Bei der Zubereitung nimmt er allerdings Rücksicht auf seine deutschen Gäste. Statt nach landestypischer Art einfach längs in Stücke gehackt, filetiert er den Fisch mit ein paar geschickten Handgriffen. Grätenfrei lässt sich der fangfrische Fisch mit dem zarten weißen Fleisch noch besser genießen. Was Schembri auf die Teller seines Restaurants bringt, ist „Malta pur“.
Gefüllte Pastizzi sind auf Malta der Inbegriff von Streetfood