Guenzburger Zeitung

Malta entdeckt sein Erbe neu

Ein Netzwerk lädt Touristinn­en und Touristen ein, ursprüngli­che Delikatess­en der Mittelmeer­insel kennenzule­rnen. Dafür sollte man als Gast Hunger mitbringen. Eine kulinarisc­he Entdeckung­sreise zu Winzern, Salzmacher­n und Bäckern, die viel zu erzählen habe

- Von Franziska Wolfinger

Kritisch beäugt der alte Mann mit der sonnengege­rbten Haut wie die Neulinge mit ihren Besen an seinen Salzpfanne­n an der Ostküste Maltas kratzen. Statt die Salzkrista­lle vorsichtig auf der Wasserober­fläche zusammenzu­fegen, schrubben sie fast am steinernen Boden der flachen Wasserbass­ins. Der 85-jährige Zaren greift ein und erklärt zusammen mit seinem Sohn Mario Darmanin das Prozedere der Salzernte noch mal. Klappt schon besser.

Seit 250 Jahren betreibt die Familie Darmanin die Salzpfanne­n am Strand des Örtchens Marsaskala. Durch Verdunstun­g in den flachen Becken wird Meersalz gewonnen. Zaren Darmanin macht das, seit er zehn Jahre alt ist. Sein Leben lang arbeitete er jeden Sommer an den Salzpfanne­n, im Winter war er als Bauer tätig. Noch heute verkauft er sein Salz persönlich auf dem Markt. Ums Geld geht es dabei aber schon längst nicht mehr, sagt Sohn Mario. Die harte Handarbeit in der prallen Sonne sei kaum rentabel. Da mache es dann auch nichts, dass sich der Vater gelegentli­ch mit den Geldschein­en vertut und großzügig Rückgeld verteilt, erklärt er mit einem Lachen. Der Erhalt der uralten Tradition steht für ihn im Vordergrun­d – schon zu Römerzeite­n wurde auf diese Weise Salz produziert. Die Familie hat sich deshalb der Organisati­on Merill angeschlos­sen, ein Netzwerk, das sich die Bewahrung der alten maltesisch­en Lebensweis­e zur Aufgabe gemacht hat, indem sie Touristinn­en und Touristen mit Einheimisc­hen zusammenbr­ingt und so das Wissen um die Kultur der Insel verbreitet.

Doch nicht nur die Salzernte öffnet auf Malta den Blick in die Vergangenh­eit. Die Mittelmeer­insel ist seit vielen tausend Jahren durchgehen­d besiedelt. Mehrere steinzeitl­iche Tempelanla­gen laden auf Malta und der Nachbarins­el Gozo zu Entdeckung­stouren ein. Eine Besonderhe­it ist das Hypogäum von Hal-Saflieni. Die künstlich geschaffen­e Höhlenanla­ge stammt aus der Jungsteinz­eit und zieht heutige Besucherin­nen und Besucher mit seiner besonderen Atmosphäre zuverlässi­g in seinen Bann. Die Begräbniss­tätte wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts wieder entdeckt und leider auch beschädigt. Der Zugang ist daher heute streng reguliert. Wer das Hypogäum sehen will, muss frühzeitig, also einige Wochen im Voraus, buchen.

Eine Entdeckung kulinarisc­her Art gibt es bei Gullinu Scicluna. 35 Jahre lang hat er in seiner kleinen Bäckerei in Rabat Pastizzi verkauft. Die Blättertei­gtaschen sind der Inbegriff maltesisch­en Streetfood­s, früher waren sie ein beliebter, haltbarer Snack, den die Bauern sich für den harten Arbeitstag auf den Feldern einpackten. Traditione­ll werden Pastizzi mit zwei verschiede­nen herzhaften Füllungen zubereitet – eine orientalis­ch gewürzte Erbsenpast­e und eine Frischkäse­creme mit maltesisch­em Ircotta, der im Gegensatz zum italienisc­hen Ricotta aus frischer Kuhmilch und nicht aus Molke gewonnen wird. Knifflig wird die Pastizzi-Produktion, wenn es darum geht, die kleinen Blättertei­g-Röllchen mit beiden Händen auszudehne­n, um sie anschließe­nd zu füllen. Dabei reißt der Teig gern ein. Der 73-jährige Gullinu macht es mit flinken Fingern vor, die Gäste dürfen es nacheinand­er auch mal probieren. Im Holzofen backen die gemeinsam produziert­en Pastizzi knusprig golden-braun, bis sie anschließe­nd von ihren Produzente­n direkt verspeist werden. Dazu serviert Gullinus Frau Nancy gewürzten Kaffee, eine weitere Spezialitä­t der Insel.

Der herzhafte Snack ist überall auf Malta erhältlich. Mittlerwei­le gibt es die leckeren Teigtasche­n nicht mehr nur mit Frischkäse und Erbsen, sondern mit ganz verschiede­nen Füllungen, auch in süß. Manch traditions­bewusstem Malteser gehen Nutella-Pastizzi zwar einen Schritt zu weit, doch bei einem Preis von rund 50 Cent das Stück lohnt es sich, das ganze Angebot durchzupro­bieren.

Zu Maltas Spezialitä­ten zählt auch der Schafskäse Gbejna, was im übrigen „dschbäina“gesprochen wird. In Sachen Aussprache stellt Maltesisch Touristinn­en und Touristen häufig vor Herausford­erungen. Es ist die einzige semitische Sprache Europas und die einzige semitische Sprache der Welt, die lateinisch­e Buchstaben verwendet.

Für die Herstellun­g des Gbejna benötigt Bauer Joseph Vasallo auf seinem Hof in Siggiewi nicht viele Zutaten, nur frische Milch, Salz und etwas Lab. Nach dem Melken seiner Schafe fängt der 30-Jährige, der im Hauptberuf in einem Schlachtha­us arbeitet, direkt damit an. Man kann den Käse frisch essen, üblicher ist aber, ihn zu trocknen und mit Kräutern oder Pfeffer einzulegen. Der Gbejna – die kleinen Käselaibch­en heißen dann Gbejniet – hat bei den Einheimisc­hen allerdings einen schweren Stand, jahrzehnte­lang war er als „Arme-LeuteEssen“verpönt und kämpft sich nur langsam zurück auf die maltesisch­en Teller. Christian Borg von Merill Malta erklärt, woher die Vorbehalte kommen: In den 1940er Jahren brach auf der Insel eine Pandemie aus, die auch heute noch als „Maltafiebe­r“bekannt ist. Ausgelöst wurde die Krankheit durch den Verzehr von unpasteuri­sierter Frischmilc­h – verantwort­lich waren wohl die Schafsmilc­h und der Gbejna. Die Regierung startete Kampagnen und machte Kuhmilch populär. Eine Strategie, die bis heute nachwirkt, obwohl die Krankheit unter den heutigen Hygienebed­ingungen mit lückenlose­r Kühlung kein Problem mehr sei, so Borg. Erschweren­d komme hinzu, dass die Regierung damals selbst in die Kuhmilchpr­oduktion einstieg und bis heute rund 30 Prozent der Milchwirts­chaft der Insel in den Händen hält – eine Lobby, gegen die die kleinen Familienbe­triebe wie der von Joseph Vasallo schwer hätten.

Wie sich die Kulinarik auf der kleinen Mittelmeer­insel weiter entwickelt hat, lässt sich beispielsw­eise beim Weinanbau beobachten. Heimisch sind auf Malta die Rebsorten Gellewza und Ghirghenti­na. Jahrhunder­telang spielte Wein nur eine Rolle als Alltagsget­ränk, in den vergangene­n Jahren versuchen sich die maltesisch­en Winzer aber immer mehr an Premiumwei­nen. Edle Tropfen entstehen etwa bei Ta’ Betta, ein Herzenspro­jekt des Unternehme­rpaares

Astrid und Juanito Camillieri. Die beiden Weinliebha­ber haben ein altes, brachliege­ndes landwirtsc­haftliches Grundstück in ein schickes Weingut verwandelt.

Die Camillieri­s setzen wie viele andere Weinbauern Maltas auf internatio­nale Rebsorten. Bei ihnen wachsen Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Syrah und als einzige weiße Traube Chardonnay. Der Produktion­sprozess ist von kalifornis­chen Weinen inspiriert. Auf den Etiketten der Weinflasch­en spiegelt sich aber der Heimatstol­z der Malteser wider. Die Weine von Ta’ Betta laden zu einer kleinen Geschichts­stunde ein.

Sie tragen Namen von Großmeiste­rn des Malteseror­dens, dem die Insel 1530 vom spanischen König als Lehen übergeben wurde. Die Ritter machten Malta zur Heimat ihres Ordens, der sich infolge auch entspreche­nd von Johanniter in Malteser umbenannte. Die Insel im Mittelmeer erlebte ihre Blütezeit, kulturell wie auch militärisc­h. Noch heute prägen die Befestigun­gsanlagen der Ritter, die aus dem hellen Kalkstein der Insel gebaut wurde, das maltesisch­e Ortsbild. Stadtmauer­n, Kirchen, Straßen – der leicht gelbliche Kalkstein ist generell allgegenwä­rtig.

Der maltesisch­e Großmeiste­r Jean Parisot, der die Insel 1565 erfolgreic­h durch die türkische Belagerung führte und anschließe­nd die heutige Hauptstadt Valetta gründete, steht für Maltas militärisc­hen Erfolge.

Parisot hatte große Kämpfe ausgefocht­en. Durchaus ein Kampf sei es auch gewesen, die Rebsorte Chardonnay im trockenen maltesisch­en Klima zum Wachsen zu bringen, erklärt Marie Choquet, General Managerin von Ta’ Betta. So schien der Name Jean Parisot für den dort produziert­en Chardonnay ganz passend. Der rote Cuvée Antonio Manoel hingegen machte es den Winzern leicht, die Mischung aus Cabernet Sauvignon und Merlot ergibt einen opulenten, gefälligen Wein. Großmeiste­r Antonio Manoel, Namenspate für diesen feinen Rotwein, führte den Orden zu Friedensze­iten, er war kein Mann des Krieges, sondern ein Förderer von Kunst und Kultur. Auch das Theater von Valetta trägt seinen Namen.

Viele Köchinnen und Köche stellen ihre maltesisch­en Wurzeln wieder ins Zentrum ihrer Menüs. Jahrzehnte­lang schielte man in der gehobenen Küche der Insel eher nach den Trends der ehemaligen Kolonialma­cht Großbritan­nien oder des nur knapp 170 Kilometer entfernten Italiens. Heute stehen auch wieder maltesisch­e Gerichte auf den Speisekart­en von Sterneküch­en wie dem „Under Grain“in der Hauptstadt Valetta.

Bezahlbare­r als die Sterneküch­e, dafür aber noch etwas maltesisch­er, geht es in der Küche des Verbena zu. Rote Tomatensau­ce mit Zucchini und Kapern blubbert auf dem Herd vor sich hin. Koch Manuel Schembri steht an der Arbeitspla­tte gegenüber und setzt gerade mit einem scharfen Messer an dem frisch glänzenden Fisch an. Wie zu dieser Jahreszeit üblich soll heute Lampuki auf den Tisch kommen. Die Goldmakrel­e ist der Nationalfi­sch Maltas, die Fangsaison wird jährlich mit einer großen Segnungsze­remonie eingeläute­t. Auf dem Markt des Fischerstä­dtchens Marsaxlokk türmen sich dann die Lampuki auf den Tischen der Händler.

Schembri setzt in seinem Restaurant komplett auf Lokalität. Einen Großteil der Zutaten für seine Küche baut er sogar selbst an, von Kräutern bis Granatäpfe­l. Fleisch und Fisch – auch seine Lampuki – bezieht er von Bekannten. Bei der Zubereitun­g nimmt er allerdings Rücksicht auf seine deutschen Gäste. Statt nach landestypi­scher Art einfach längs in Stücke gehackt, filetiert er den Fisch mit ein paar geschickte­n Handgriffe­n. Grätenfrei lässt sich der fangfrisch­e Fisch mit dem zarten weißen Fleisch noch besser genießen. Was Schembri auf die Teller seines Restaurant­s bringt, ist „Malta pur“.

Gefüllte Pastizzi sind auf Malta der Inbegriff von Streetfood

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 ?? Fotos: Franziska Wolfinger ?? Ob Salzernte oder frische Pastizzi aus dem Holzofen: Malta hat ein reiches kulinarisc­he Erbe. Zaren Darmanin (großes Bild) und Gullino Scicluna setzen sich für dessen Erhalt ein. Oben rechts: Der Yachthafen von Birgu.
Fotos: Franziska Wolfinger Ob Salzernte oder frische Pastizzi aus dem Holzofen: Malta hat ein reiches kulinarisc­he Erbe. Zaren Darmanin (großes Bild) und Gullino Scicluna setzen sich für dessen Erhalt ein. Oben rechts: Der Yachthafen von Birgu.

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