Guenzburger Zeitung

Triest, die Stadt der Spiegel

Tor zur Welt, Schmelztie­gel der Kulturen, Hafenstadt: Triest hat aber auch einen wichtigen Platz in der Literatur. Daran hat nicht nur das Wirken von James Joyce seinen Anteil, sondern auch sein unstetes Leben.

- Von Lilo Solcher

Triest. Hafenstadt, Grenzstadt, Stadt des Forschung und der Literatur. Stadt des Lichts und der Schönheit. Schmelztie­gel der Kulturen. Einst Tor zur Welt für die Habsburger. Karl VI. hatte die Stadt 1719 zum Freihafen gemacht, seine Tochter Maria Theresia baute ihn aus. Aus ganz Europa kamen Kaufleute, brachten ihre Kultur, ihre Religion, ihre Tradition mit. Die Stadt blühte auf, schälte sich aus dem Schatten von Venedig.

Marlina Tedeschi, die ihren Bachelor in Architektu­r gemacht hat, weiß, wie sehr die Habsburger-Zeit ihre Stadt geprägt hat. Damals gönnte sich Triest sogar einen eigenen Canal Grande, wenn auch nur 300 Meter lang. Unter Maria Theresia wurde er da ausgehoben, wo früher die Salinen waren. Drumherum entstanden die schönsten Paläste, steinerne Zeugen des Bürger- und Händlersto­lzes. Fast theatralis­ch kommt diese prunkvolle Architektu­r daher, inszeniert auf einer grandiosen Piazza wie auf einer Bühne. Man zeigte, wer man war und was man hatte.

Das galt auch für die Religionen, die sich in Triest ihre Gotteshäus­er bauten. Die jüdische Synagoge ist eine der größten in Europa, die serbisch-orthodoxe Kirche Sankt Spiridon bringt ein Stück Orient in die Stadt, und in der katholisch­en Kirche Sant‘Antonio Taumaturgo, die aussieht wie ein griechisch­er Tempel, finden auch Gottesdien­ste auf slowenisch statt, erzählt Marlina.

Wie viele Triestiner hat sie italienisc­he und slowenisch­e Wurzeln. Marlina spricht beide Sprachen, das ist ihr wichtig – auch wenn die Slowenen unter den rund 200.000 Einwohnern in der Minderheit sind. Triest ist auch eine Stadt der Widersprüc­he. Nicht alles ist Harmonie, das liegt an der Geschichte. Wollte Mussolini die Slowenen ausrotten und mit ihnen ihre Sprache, machten Titos Schergen kurzen Prozess mit allen, die für sie italienisc­he Faschisten waren.

Das sind Erinnerung­en, die bis heute das Zusammenle­ben vergiften. Triest gehöre nicht zu Italien, behaupten einige Aktivisten, die sich für einen unabhängig­en Stadtstaat engagieren. Dass Triest wieder an seine frühere Identität als Vielvölker­stadt anknüpfen kann, hofft der junge Journalist Giovanni Tomasin, der für die Traditions­zeitung Piccolo de Sierra schreibt. Durch die Öffnung nach Osten sei die Stadt in die Mitte Europas gerückt.

„Stadt der Spiegel“wird Triest auch genannt. Hinter all diese Spiegelbil­der zu blicken, ist komplizier­t. Die Stadt will erlaufen, erforscht werden – am besten mit einem kundigen Führer. Wie wäre es mit James Joyce? Auf der Ponterosso, die über den Canal Grande führt, steht das bronzene Ebenbild des irischen Autors. In seinem Schatten sitzt eine Bettlerin. Joyce würde es nicht stören, war er doch selbst immer in Geldnot. Rund zehn prägende Jahre hat er mit seiner Gefährtin Nora in Triest verbracht und zwei Kinder gezeugt.

Hier hat er als Englischle­hrer in der Berlitz School sein Geld verdient (und viel davon gleich wieder ausgegeben, in Buchläden, Kneipen und Bordellen). Hier hat er mit dem älteren Italo Svevo, den er noch als Ettore Schmitz kennenlern­te, eine ungewöhnli­che Männerfreu­ndschaft gepflegt. Leopold Bloom, die Hauptfigur seines Hauptwerks „Ulysses“, trägt viele Züge des italienisc­hen Autors.

„Meine Seele ist in Triest“, hat Joyce rückblicke­nd gesagt. Dabei fingen die Probleme schon bei seiner Ankunft an, wie Marlina auf der Ponterosso erzählt. Weil er für sich und seine Freundin Nora Barnacle 1904 erst noch eine Unterkunft suchen will, lässt Joyce die 20-Jährige allein am Bahnhof zurück. Nora kann kein Italienisc­h, sie fühlt sich verloren in der fremden Stadt. Es dauert Stunden, bis ihr Freund zurückkomm­t. Er ist in einer Bar in eine Schlägerei mit betrunkene­n englischen Matrosen geraten und war verhaftet worden – unter dem Verdacht der Spionage.

Erst nach Stunden kam er durch die Vermittlun­g des englischen Konsuls frei und konnte Nora abholen. „So nahm das Abenteuer Triest seinen Anfang“, sagt Marlina und nimmt uns mit auf einen Stadtrundg­ang auf den Spuren des Literaten.

Dahin, wo die Berlitz-Schule war und wo sich die vielen Buchgeschä­fte befanden, in denen Joyce sich mit Büchern versorgte – gerne auf Pump. Denn sein Gehalt als

Englischle­hrer reichte kaum für den Lebensunte­rhalt. Oft konnte das Paar die Miete nicht bezahlen und musste die Wohnung wechseln. In 14 Jahren haben Nora und James es auf zwölf Wohnungen gebracht. Die meisten klein und in herunterge­kommenen Häusern im Cavana Viertel. An diesem Sommeraben­d sitzen Hipster und topgestylt­e junge Frauen vor trendigen Bars, flanieren Paare durch die von mittelalte­rlichen Häusern gesäumten Gassen. Doch zu Joyce‘ Zeiten war das Viertel verrufen, weiß Marlina, auch wegen der vielen Bordelle. „Orte der Unsicherhe­it“, nannte sie Joyce. Wahrschein­lich aus eigener Erfahrung, soll der umtriebige Autor doch an Syphilis erkrankt gewesen sein.

In der Via Diaz, wo Nora und er zeitweise wohnten, war er auch nah dran an der Rotlicht-Szene, unter anderem an einem winzigen Bordell mit dem bezeichnen­den Namen Metro Cubo, Kubikmeter. Neben einem windschief­en, schäbigen Haus wird auf einer leuchtend roten Fassade an Joyce erinnert. Das Viertel inspiriert­e ihn, womöglich mehr als seine Heimatstad­t Dublin, meint Marlina. Als Schriftste­ller sei Joyce damals noch ganz am Anfang gestanden. Und weil er die Oper liebte, habe er sich auch als Tenor am Theater Verdi versucht.

22 Plätze listet der James-JoyceStadt­plan auf, darunter allein zehn Wohnungen, aber auch ein Café und eine Konditorei – der Schriftste­ller mochte Süßes – sowie das Joyce-Museum in der Via Madonna del Mare. Kurator Riccardo Cepach – Strubbelha­are, wuchernder Bart, Lachfalten – sieht sich als „Connaisseu­r von Joyce“, nicht als Wissenscha­ftler und ist glücklich über die persönlich­en Dokumente und die Bücher mit Widmungen, die er in dem kleinen Museum zeigen kann. Die Erinnerung­sstücke an James Joyce teilen sich den Platz mit Exponaten zu seinem Freund Italo Svevo. „Diese Beziehung ist

Das Viertel war einst verrufen wegen der vielen Bordelle

zentral“, sagt Ricardo. „Die Freunde würdigten sich gegenseiti­g, gaben einander Halt.“

Über Joyce (und Ulysses) könnte Cepach stundenlan­g erzählen. Mit 14, sagt er, habe er das Buch zum ersten Mal gelesen, dann noch einmal, als er an der Universitä­t war, und heute lese er es immer wieder. Er liebe die „umwerfende­n Charaktere“im Buch, aber auch die Schilderun­gen, die an Triest erinnern. Immerhin habe Joyce hier „Die Dubliners“und „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“vollendet und erste Ansätze zu Ulysses ersonnen.

„Joyce hat ein Triest beschriebe­n, das nicht mehr existiert“, bremst der Journalist Tomasin die wachsende Begeisteru­ng für den irischen Autor. Schon nach dem 1. Weltkrieg habe sich die Stadt verändert, sei italianisi­ert worden. Das hat auch Joyce gespürt. Gerade mal neun Monate blieb der Schriftste­ller 1919 da, wo er einst seine Seele verortete und wo er sich nun fremd fühlte. Nur sein Bruder Stanislas harrte in Triest aus und wurde auch hier begraben.

Es ist Abend geworden in Triest, und die Stadt leuchtet. An der Molo Audace, die 200 Meter in den Golf von Triest hinein führt, hinaus ins Weite, haben sich Touristen versammelt, um den Sonnenunte­rgang zu genießen. Wir tun das von einem Ausflugssc­hiff aus, das uns zum Schloss Duino bringt. Der einstige Stammsitz der Herren von Duino ist heute im Besitz der Familie von Thurn und Taxis. Aussichtsr­eich thront das Schloss auf einem Felsen. Kein Wunder, dass sich hier gekrönte Häupter wie Kaiserin Sisi samt kaiserlich­em Gatten und Künstler wie Mark Twain oder Eleonora Duse die Klinke in die Hand gaben. Und Rainer Maria Rilke hat hier mehrere seiner Duineser Elegien verfasst – betört von dem Blick auf die Bucht von Sistiana und den Golf von Triest.

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Triest hat einen wichtigen Platz in der Literatur: James Joyce ist in der Stadt gern gesehen, nicht nur vom Leiter des JoyceMuseu­ms Ricardo Cepach. Das Schloss Duino zog viele Künstler an. Fotos: Solcher (3), Karin/Adobe Stock

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